Seite:Die Gartenlaube (1866) 012.jpg

Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
verschiedene: Die Gartenlaube (1866)

werden, denn es war kein Zweifel: die Bundesleute, welche so gegen die Republik frevelten, konnte Robespierre nicht retten, er mußte sie bluten lassen, und neben dem Verrath stand er lächerlich da, durch die Huldigungen eines alten Weibes und eines fanatischen Mönches zu einem Propheten gestempelt. Hatte man ihn so isolirt, dann sollte der Schlag gegen ihn fallen. Es traf Alles ein. Der Proceß Katharine Theot’s und ihrer Genossen ist die Ursache zu Robespierre’s Sturz, und erst die Zeit hat die Fäden dieses Netzes bloßgelegt, welche den Dictator umstrickten. Furcht vor seiner Macht war sein Fall.




Eine Alpenstraße.


Noch immer schleppt sich der Weltverkehr zwischen dem westlichen und mittleren Deutschland und Italien auf den gewohnten Straßen mit Hülfe des Postillons und Fuhrmanns träg fort, nur einzig im südöstlichen Deutschland, in Oesterreich, Steiermark und Illyrien überspringt das schnaubende Dampfroß die Alpen, um auf dem Umwege über Triest nach Venetien zu gelangen und so Land und Land auf eine dem modernen Fortschritt angemessene Art zu verknüpfen. Die Technik stand rathlos vor den düstern Schluchten der Tiroler und Schweizer Alpen und ihren steilen Pässen, endlich jedoch rafft sie sich auch hier auf, um bisher unbezwungene Gebiete dem rastlosen Verkehr zu erschließen und die Völker mit eisernen Fäden zu verbinden, die stärker sind als die legitimen Bande sterblicher Dynastien.

Der Brennerpaß, viertausendsechshundert Fuß über dem Meer, ist ein tief eingeschnittenes Hochthal in Tirol, kaum eine Wasserscheide; fast scheinen auf der öden Fläche die Sill und die Eisack zu zweifeln, welche Richtung sie einschlagen sollen. Der Brenner ist der niedrigste Paß über die Alpen in ihrer ganzen Ausdehnung von Frankreich bis zur ungarischen Grenze und daher allerdings für den Bau der Eisenbahn günstiger, als die Alpenübergänge der Schweiz sein werden und die über den Semmering und Karst gewesen sind. Freilich muß die Bahn, bis sie die Höhe erreicht, auch hier manche kühne Biegung machen, manchen Felsenvorsprung durchbrechen, über Schutthalden und Abhänge klettern, so daß dem, welcher von ebenen Gegenden kommt, bei dem Blick in die Schlucht schwindelt; wehe, wenn hier ein Waggon entgleist, er reißt den ganzen Zug viele hundert Fuß tief ohne Rettung in den Abgrund! So wird immerhin die Brennerbahn, wenn sie demnächst vollendet, zu den großartigsten Straßenbauten unserer Zeit gehören. Erfordert sie doch nicht weniger als neunundzwanzig Tunnels, von denen verhältnißmäßig die meisten auf die kurze Strecke von Innsbruck bis Patsch fallen, der längste, der bei Ast im Pflerschthal, über zweitausend Fuß lang, der durch den bekannten Berg Isel bei Innsbruck aber nur um Weniges kürzer ist. Außerdem sind über die verschiedenen Thäler, Schluchten, Abgründe, von den kleineren ganz abgesehen, fünfunddreißig größere Brücken zu schlagen, von welchen siebenzehn aus Eisen construirt werden.

Diese Alpenbahn endet südlich bei Botzen, nördlich bei Innsbruck; die siebzehn Meilen, welche zwischen diesen beiden Städten liegen, führen bergauf, bergab, über Sümpfe und Wildbäche, durch Schluchten und Tobel, daß wohl, wie ein Bäuerlein meinte, die Hennen selbst Steigeisen anlegen müßten. Gehen wir einmal zu Fuß dem Bahnbau entlang und schauen nach, ob nicht bald nun das Dampfroß gerüstet werden kann, über die alte Brennerstraße in’s Wälschland hinab zu sausen. Unser nächster Weg führt hin zur Sillschlucht, an deren Seite sich der Berg Isel hebt, wo der Tiroleraar Frankreichs Kaiseradler rupfte, daß die Federn stoben und der Herzog von Danzig vor Bauern das Laufen lernte … plötzlich dröhnen dumpfe Donnerschläge aus dem Boden; regt sich die Hölle und die in ihr verdammten Franzosen, weil wir ihrer zu spotten gewagt? Der weites Schlund einer Höhle gähnt uns entgegen, wir sehen in der schwarzen Tiefe Lichtchen hüpfen; vorwärts! Mit einem freundlichen Glückauf tritt uns ein Bergmann entgegen, er geleitet uns, doch müssen wir von Zeit zu Zeit vor den Karren ausweichen, welche das im Tunnel losgesprengte Gestein – Thonglimmerschiefer, wie uns ein Geognost sagt – zu Tag fördern. Der Gang unter der Erde nimmt kein Ende, es ist der längste Tunnel des Baues, zweitausendreihundert Fuß! Wir stehen an der Rückwand des Stollens; legen wir das Ohr an’s Gestein, so hören wir durch den Felsen ein leises Tik, Tik, Tik! die Maulwürfe auf der Gegenseite haben auch schon wacker vorwärts gewühlt, und in wenigen Tagen können die hüben und drüben sich die Hand reichen. Ein kleines Fest wird dieses unterirdische Ereigniß verherrlichen.

Froh, wieder oben zu sein an Gottes freier Luft, steigen wir am Kratzbrunnen vorüber gegen Sonnenburg. Von hier überblicken wir eine große Strecke der Schlucht, in deren Tiefe die Sill hinbraust und den Gischt an den grauen Schrofen emporschleudert. Aus dem Abgrund steigen aus Balken, die sich wie Stäbchen ausnehmen und gitterartig gekreuzt sind, erbaute Gerüste, Minen krachen und in riesigen Sprüngen poltern Felsblöcke herab. Die Axt wühlt, die Schaufel schleudert den Schutt in das Wasser, Arbeiter winden die Holzkatze an der Kurbel empor; ein dumpfer Schlag, der sich in langen Tacten wiederholt, und ein Pfahl ist wieder etliche Schuh tief eingerammt.

Diese winzigen Menschlein, die an den Felsen kleben wie Fliegen, wollen die gewaltige Natur der Alpen bezwingen? Ja, sie bezwingen sie, und wir bewundern hier den großartigen Gegensatz geistiger Kraft, welche die schwache Hand stählt, und riesiger Massen rohen Stoffes, deren träger Widerstand Schritt vor Schritt verständig geleiteter Bewegung erliegt. Dieser Kampf erheischt aber auch Opfer! Wehgeheul dringt an unser Ohr. Auf steilem Pfad klettern Arbeiter empor und schleppen eine Bahre, ein Mann liegt darauf und zuckt vor Schmerz, von seinen Gliedern träufelt Blut, nebenan läuft ein Weib und ringt die Hände, gelbe Kinder mit ruppigem Haar stimmen ein in die laute Klage. Wanderer, nimm den Hut ab, das ist ein Märtyrer, der bei der sauren Arbeit für den Fortschritt der Menschheit, als Pionier der Civilisation von einem Stein zerschmettert ward. Ja, er fordert Opfer, dieser Bau, aber nicht so viele wie der Kampf ehrgeiziger Eroberer, Opfer denen wir eine reinere Theilnahme widmen können, als den Dienern des Absolutismus, welche es für Standesehre halten, die Freiheit der Völker zu knechten, oder einige Quadratmeilen Landes zu gewinnen, von dem sie schließlich nichts haben, als ein Grab für den geschundenen und zerfetzten Leib.

Die Leute, die wir hier beschäftigt sehen, sind großentheils Italiener. Die Unternehmer miethen sie gern, denn was sich von Deutschen, mit Ausnahme der Stollenarbeit, verdingen will, ist nur zu häufig zusammengelaufenes Proletariat der schlimmsten Sorte.

Wie man mir erzählte, sah die deutsche Bevölkerung des Wippthales der Ankunft so vieler Italiener, hinter deren jedem man einen Fra Diavolo witterte, mit Angst und Sorge entgegen, die Befürchtungen erwiesen sich jedoch als falsch. Durchschnittlich erwarben sich diese Welschen Achtung durch ihre Arbeitsamkeit, Nüchternheit und Bescheidenheit, der Städter begegnet ihnen viel lieber, als manchen Bauerburschen aus der Umgegend, denn jene sind stets höflich und artig, bei diesen ist man nicht gar selten rohem Schimpf oder Insulten ausgesetzt. Es ist überhaupt gar komisch, wenn sich die frommen „Alttiroler“ so gern ihrer Tugendhaftigkeit rühmen und, um diese jungfräulich zu erhalten, Freimaurer und Protestanten ausschließen möchten, während solche, die Land und Leute genau kennen, mit den statistischen Tabellen in der Hand für Tirol eine sehr große Anzahl zum Theil sehr raffinirter oder gemeiner Verbrechen nachweisen. So ersehen wir auch hier, daß religiöser Fanatismus, den eine herrschsüchtige und eigennützige Kaste pflegt, im umgekehrten Verhältniß zur wahren Sittlichkeit steht. Uebrigens steckt im Tirolervolke ein tüchtiger Kern, und die ehernen Bande der Finsterniß, welche ihm eine pfäffische Clique um die Stirn gelegt, lockern sich zum Entsetzen aller Zionswächter mehr und mehr. Auch hier werden die Wirkungen des Völkerverkehrs den die Eisenbahn im herrlichen Alpenlande einleitet, nicht ausbleiben.

Bleiben wir jedoch vorläufig bei unseren Welschen. Schön sind sie eben nicht die kleinen Burschen mit den zerzausten Haaren, der offenen Brust und dem schlampigen Gewand, aber lustig trällern sie ein Liedchen und es ist recht gut, daß es das Mädchen, welches dort über die Straße geht, nicht versteht, sonst müßte es erröthen. Sie kauern oder stehen um das Feuer, die Polenta ist gahr gekocht und auf ein Bret gestrichen, ein Alter zerschneidet sie mit

Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1866). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1866, Seite 12. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1866)_012.jpg&oldid=- (Version vom 23.2.2020)