Seite:Die Gartenlaube (1865) 378.jpg

Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
verschiedene: Die Gartenlaube (1865)

anderes werden, und so wurde die Fabel vom Beichtgeheimniß hereingezogen. Und was ist nun die Folge? Der Johann von Pomuk, der geschichtlich gelebt, keine Wunder verrichtet und noch mit zwei Andern den Tod gefunden, ist nun ganz zurückgetreten, sein Andenken erloschen, sein Name lediglich in Büchern vorhanden. Der Andere dagegen, der legendrische, ist wahrhaftig und viel im Bewußtsein der Menge lebend. Er lebt in Inschriften, Gebeten, Hymnen, Gemälden, Statuen, Anniversarien. Und wenn er auch in der Geschichte nie vorhanden war, im Kalender findet er sich unbestreitbar, und somit wohl auch im Himmel!




Ausplaudereien aus der Apotheke.

Hoch unsere Fahne, empor unsere herrliche Fahne:
Erkämpfen wir dem Volke, was wir können!
 Waldeck als Volksvertreter.

1. Schweineschmalz.

In jeder Apotheke finden wir eine Büchse, meistens Porzellankruke, mit Adeps suillus oder Axungia porci, welche gar mannigfach in den Gebrauch gezogen wird, und deren daher auch gewöhnlich zwei, oft noch mehrere vorhanden sind. Sie enthalten, wie die lateinischen Namen besagen, Schweinefett oder Schmalz, von welchem die preußische gesetzliche Arzneimittellehre vorschreibt, daß „nur gewaschenes“ angewandt und in den Apotheken vorräthig gehalten werden soll. Sehen wir nun einstweilen von seinem Gebrauch als wirkliches Arzneimittel noch ab und wenden uns zuerst zu dem als Volksheilmittel.

Ein junger Mensch mit tiefliegenden Augen, auffallend gerötheten Backen und abgezehrten Gliedern tritt in die Apotheke und kauft Hundefett, um es als Linderungs- und hoffnungsreiches Heilmittel gegen seine Lungenkrankheit zu gebrauchen; er bekommt das Gewünschte aus der Büchse mit Adeps – und verschlingt es voll Zuversicht und Vertrauen. Neben ihm fordert ein Dienstmädchen Hasenfett, welches ihren zusammengetragenen (geschwürigen) Finger aufziehen soll; sie erhält aus der Kruke mit Axungia – und giebt gläubig ihre kärglichen Sparpfennige für Das hin, was sie in der Küche täglich vor sich hat und was sie dort selbst in Wirklichkeit sich sammeln könnte, wenn sie nicht das „präparirte“ Hasenfett der Apotheke für viel wirksamer hielte. Jenes alte Mütterchen wünscht Bärenfett zum Einreiben und Bärinnenfett zum Einnehmen; ihr muß Adeps und Axungia dienen – und mit welcher ängstlichen Sorgfalt ist sie bemüht, die beiden wichtigen Stoffe um Gottes willen nicht zu verwechseln! Selbst eine Fleischersfrau nimmt die Büchse mit Adeps in Anspruch; sie läßt Dachsfett holen – und nimmt es, mit Walrath in Bier gekocht, zum Schwitzen ein. Ein ländlicher Wunderdoctor (deren es im Geheimen noch fast allenthalben giebt und die, aus gewissen Gründen, von vielen Apothekern keineswegs ungünstig betrachtet oder gar verfolgt werden) fordert Adebar-, Hamotter-, Boar-, Katzen-, Mücken-, Murmelthier-, Tap-, Winzer-, Vipern-, Ottern- und Storchfett, um seine Tränklein, Salben etc. daraus zu bereiten. Adebar- und Storchfett, welche meistens keineswegs als ein und dasselbe gelten, muß fast regelmäßig die ländliche Wöchnerin sich einquälen, Hamotter-, Boar- und Murmelthierfett dienen als Einreibungen, bei Ausschlägen, Geschwülsten und dergleichen; Vipern- und Otternfett wird bei den heftigsten und hartnäckigsten Fiebern eingenommen, denn „Schlimm muß Schlimm vertreiben“ – freilich schlimm, bei schon furchtbar geschwächtem und angegriffenem Magen noch das widerliche, rohe Fett! Dem Manne wird dies Alles nun, je für einen Groschen sorgfältig in ein besonderes Papier geschlagen – aus dem großen Axungia-Topfe des Kellers heraufgeholt. Für alle übrigen Fälle, in denen mehrere verschiedene Fettarten verlangt werden, hilft man sich mit den beiden Schmalzbüchsen und zugleich dadurch, daß man abwechselnd bald die eine, bald die andere immer wieder in ihre Reihe setzt. Hier sehen die Büchsen ja sämmtlich ganz gleich aus und die lateinischen Namen schützen ja gar trefflich gegen jede profane, zudringliche Neugierde. Wer besäße da wohl Scharfsinn genug, um eine der Büchsen, mit der unverständlichen Bezeichnung, fest im Auge behalten und dann bestimmt behaupten zu können, daß der Apotheker aus derselben mehrere Heilmittel verabreicht habe? Wahrlich, dazu ist von Hunderten der die Apotheke besuchenden Menschen kaum einer fähig. Außerdem erinnern wir die Leser an jene hübsche – so bezeichnend lebenswahre – Anekdote: „Ein pfiffiges Bäuerlein hatte es sich doch gemerkt, daß man ihm Fuchs-, Dachs-, Katzen- und Gräfingsfett aus ein und derselben Büchse verabreicht, und machte nun entrüstetes Halloh. Allein der Apotheker wußte sich gar wohl zu helfen; in der Geschwindigkeit hatte er einen tiefen Kreuzstich mit dem Spatel in das Schmalz gemacht, und zeigte jetzt ganz gelassen dem leicht verblüfften Bauern die vier Abtheilungen – als sorgfältig gesondertes Dachs-, Fuchs-, Katzen- und Gräfingsfett.“

So finden wir das Schmalz unter mindestens zwanzig verschiedenen Namen, oder vielmehr als zwanzig durchaus verschiedenartig geglaubte Arzneimittel in den Apotheken, so wird es all- und tagtäglich, ohne Bedenken, für zwanzigfaches Geld dort verkauft. In der That, es müßte fast zu lächerlich erscheinen, wenn es nicht so entsetzlich traurig wäre, daß unsere Zeit noch solchen – gesetzlich privilegirten – Unfug dulden muß.

Dazu dienen auch noch einige ganz besondere Kunstgriffe, die wir keineswegs unbeachtet lassen dürfen. Als Krebsblut wird das Schweineschmalz mit Alcannawurzel roth gefärbt verabreicht, als Hasenfett mit Curcumäpulver gelb gefärbt, oder mit ein wenig Burgunderharz versetzt; zum Unterschiede des Gräfings- von dem Dachsfette (abgesehen von dem Schmalze auch sonst thatsächlich beides dasselbe, dem Volksglauben gegenüber aber zwei verschiedene wichtige Arzneimittel) wird das erstere mit ein wenig Oel verdünnt und dann in einem Glase verabreicht; auch giebt man, zur Abwechselung, als das eine oder andere dieser Fette zuweilen Baumöl, Leberthran und dergleichen; und endlich wird das Schweineschmalz, einfach mit wohlriechenden Oelen vermischt, als die feinste Haarpomade, je nach Belieben roth gefärbt (als „Rosenpomade“) oder weiß, verkauft.

Recht bezeichnend für allen diesen Schwindel sind einige Worte des Medicinalassessors, Sanitätsraths und Apothekers Dr. Mohr[1] in Coblenz: „Das Schweinefett macht jedes andere weiche Fett (für den Arzneigebrauch) ganz entbehrlich, und nur um dem Aberglauben des Volkes nachzugeben (ihm zu huldigen und ihn auszubeuten nämlich!), bereitet man noch hier und da Fett von Gänsen, Hasen, Pferden, Bären etc., denen lächerlicher Weise besondere Heilkräfte zugeschrieben werden (das Buch ist natürlich nur für Apotheker, Aerzte und Medicinalbeamte geschrieben). Freilich erhalten an den meisten Orten (jetzt bereits überall, ohne Ausnahme) auch jetzt schon die Landleute für diese Dinge Schweinefett aus verschiedenen Töpfen (wie offenherzig!); insbesondere dienen die ranzigen und gelblichen Fettsorten zu diesen Zwecken,“ – – – dem Brustkranken zur Heilung seiner Lunge, zur Linderung auf eine brennende Wunde, zum Schweißhervorbringen, zur Stillung der Nachwehen einer Wöchnerin etc. Probatum est!

Dieser schweren Selbstanklage des Äpothekerthums haben wir eigentlich nichts weiter hinzuzufügen; indessen müssen wir denn doch darauf ganz besonderen Nachdruck legen, daß dieser offenbare Betrug ein ganz allgemeiner und alltäglicher ist, daß er nicht etwa blos an diesem einen Gegenstande in der Apotheke, sondern an wahrhaft unzähligen verübt wird, und daß er nicht etwa allein die Gesundheit und den Geldbeutel der armen, unwissenden und unaufgeklärten, sondern auch die der sich gebildet nennenden Leute in wahrhaft erschreckender Weise gefährdet. Bemerkt sei nebenbei noch, daß man von allen diesen Fetten höchstens ein Loth für einen Silbergroschen erhält – nach welchem Verhältniß der Preis derselben, bezüglich der Gewinn dieses Schmalzverkaufs leicht zu berechnen ist. –

Ja, ja, so steht sie da, fest und unerschütterlich, die edle, uralte Kunst der Pillendrechslerei. Alle Versuche, an ihrem lang baumelnden Zopfe auch nur zu zerren, geschweige denn ihn zu stutzen, sind

erfolglos, alle Angriffe prallen wirkungs- und machtlos ab an ihrem

  1. Siehe dessen Commentar zur preußischen Pharmakopoe.
Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1865). Ernst Keil, Leipzig 1865, Seite 378. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1865)_378.jpg&oldid=- (Version vom 15.6.2022)