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verschiedene: Die Gartenlaube (1865)

No. 22. 1865.
Die Gartenlaube.
Illustrirtes Familienblatt. – Herausgeber Ernst Keil.

Wöchentlich 11/2 bis 2 Bogen. Durch alle Buchhandlungen und Postämter vierteljährlich für 15 Ngr. zu beziehen.


Der bairische Hiesel.
Volkserzählung aus Baiern
Von Herman Schmid.
(Fortsetzung.)


Auch von seinen Genossen zog Hiesel sich mehr zurück als früher; der einzige, der ihm fast nie von der Seite wich, war der Bube, der, in seiner Anhänglichkeit mit dem treuen Tiras wetteifernd, ihn wie dieser auf Schritt und Tritt begleitete, ein zweiter, nicht minder ergebener, nimmer ruhender Wächter. Der Knabe hatte keinen andern Gedanken, als Hiesel zu dienen und für ihn zu sorgen – seitdem dieser die Stricke an seinen Händen zerschnitten und ihn befreit hatte, stand ihm Hiesel wie ein Held und Herrscher vor Augen, und er begriff nicht, wie irgend Jemand sich erkühnen konnte, seinem Gebieter nicht zu gehorchen. Ein Wink Hiesel’s war ihm ein unverbrüchliches Gebot, und weil dieser so viele Ergebenheit wohl zu würdigen wußte und ihn oft zum Vertrauten geheimer Pläne und Unternehmungen machte, ward er gar bald von Manchem aus der Bande mit scheelen Blicken angesehen und als Zwischenträger verdächtigt, der Rede und That der Andern belausche, um sie ihm zu hinterbringen. Ein Zug von Tücke und hämischem Uebermuth in seinem Wesen diente nur dazu, den Argwohn zu befestigen; er grollte Jedem, der sich Hiesel nicht so unbedingt unterwarf, wie er es gethan. Offenheit, Wärme und Herzlichkeit hatte er für Niemand als für ihn.

Auch diesmal war Anderl nicht weit; er saß etwas seitwärts, um Hiesel nicht zu stören; er putzte Lauf und Schloß seiner Büchse mit dem Aermel blank und streichelte den Hund, der ihm den Kopf auf die Kniee gelegt hatte, mit unverwandten Augen den Herrn beobachtend. Dazu summte er einen Absatz eines Volksliedes, das ihm, er wußte nicht wie, in die Kehle kam; Hiesel stimmte leise mit ein, es ging Etwas wie eine Ahnung durch seine Seele, daß des Liedes Inhalt auch ihm gelte … es lautete so:

Jetzund geht’s an’s Abschied Nehma,
Die schö’ Zeit is gar:
Mußt Di halt nit drüber gräma,
Schau, sie werd’ schon wieder kemma (kommen)
Auf ein ander’s Jahr!

Das Knurren des Hundes unterbrach den Gesang; es war das Zeichen, das er zu geben pflegte, wenn ein Bekannter nahte. Der Sternputzer kam heran, aber nicht im gewöhnlichen grünen Schützenrock, sondern im Gewand eines mit Arzneien, Mithridat und andern Hausmitteln herumziehenden Quacksalbers. „Da bin ich wieder,“ rief er und setzte seinen Arzneikasten, der ihm an einem Riemen am Halse hing, behutsam in’s Waldgras nieder. „Hole der Teufel das Herumwandern! Es ist nichts zu machen mehr mit den Leuten, sie fangen an, allzu gescheidt zu werden!“

„Hast Du die Kundel nicht angetroffen?“ fragte Hiesel. „Ich habe sie ausgeschickt, um neuen Proviant zu kaufen, sie sollte schon lange zurück sein!“

„Hab’ sie mit keinem Aug’ gesehn,“ entgegnete der Quacksalber, „gehört hab’ ich wohl, daß sie in der Nähe sein muß, überall hab’ ich erfragt, daß die Kramer-Kundl dagewesen ist. aber überall bin ich erst nach ihr eingetroffen… Es ist nicht richtig, Hauptmann, es ist wieder was im Werk gegen uns, ein paar Compagnieen Soldaten stehen keine zwei Stunden von uns, dort hinterm Wald …“

„Sag’s dem Tiroler, Bub!“ rief Hiesel, „und dem Studele, sie sollen ihre Büchsen nehmen und gegen den Wald hin eine kleine Bürsch’ machen … Wir haben doch genug Kugeln und Pulver?“

„Gewiß,“ entgegnete Anderl lachend, „wenn nur die zehnte trifft, kommt uns in acht Tagen kein Scherg, kein Jäger und kein Soldat auf den Leib! Aber das Papier zu den Kugelpfropfen geht aus, ich hab’ schon einen Fetzen von meinem Hemd gerissen und damit geladen!“

„Was bringst Du sonst?“ fragte Hiesel, während Anderl pfeifend tiefer in den Wald dem Platze zuging, wo eine dünne Rauchsäule über den Wipfeln aufstieg und den Lagerplatz der Bande verkündigte.

„Nicht viel Gutes,“ antwortete der Sternputzer und reckte sich gähnend im Grase. „Du mußt nächstens exemplum statuiren, Hauptmann, das Bauernvolk fängt an, es an dem gebührenden Respect ermangeln zu lassen! Erst diesen Morgen war ich da drüben auf dem Einödhof, und wollte ein Frühstück haben … es war Niemand daheim, als die Bäuerin, die wollte nicht wissen, was sich in ihrem Küchenkasten befand, und wollte mich mit einer Schüssel blauer Milch abfertigen und mit einem Stück Schwarzbrod, wie man es dem verlornen Sohn einmal vorgebrockt haben mag! Sie kannte mich, und doch mußt’ ich erst an die Büchse schlagen, eh’ es ihr einfiel, daß sie noch eine Flasche Kirschgeist im Schranke stehn hatte und ein Stück Rauchfleisch!“

„Es ist Eure eigne Schuld, wenn Euch unfreundlich begegnet wird,“ rief Hiesel unwillig aus, „Ihr wißt nit umzugehn mit dem Bauernvolk!“

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verschiedene: Die Gartenlaube (1865). Ernst Keil, Leipzig 1865, Seite 337. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1865)_337.jpg&oldid=- (Version vom 17.11.2022)