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verschiedene: Die Gartenlaube (1864)

No. 50. 1864.
Die Gartenlaube.

Illustrirtes Familienblatt. – Herausgeber Ernst Keil.

Wöchentlich 1 1/2 bis 2 Bogen. Durch alle Buchhandlungen und Postämter vierteljährlich für 15 Ngr. zu beziehen.

Er kommt nicht.
Erzählung von Karl August Heigel.
(Fortsetzung.

Es war ein schmaler Fleck Erde zwischen einem Gewirr von Hintergebäuden und Hofmauern; drei, vier Beete und im Hintergrund eine Laube. Aber Elisens Vater war ein Blumenfreund; ein wunderschöner Rosenflor blühte im Gärtchen und erfüllte die Luft mit Wohlgeruch.

Und wie betäubt von diesem Duft, blieb Elise, nachdem sie die Pforte wieder hinter sich geschlossen hatte, eine Weile schwankend und mit gesenkten Wimpern stehen … der Mond war noch nicht aufgegangen, nur der Abendstern stand hoch im dunkeln Blau; aber ein milder, geheimnißvoller Glanz schien aus des Himmels tiefsten Tiefen zu quellen, dämpfte auf Erden alles Grelle und durchleuchtete das Dunkle – es war, als verströmte die Nacht ihre Seele. In diesem magischen Licht, zwischen den zitternden Rosenbüschen glich die einsame, weiße Mädchengestalt der Muse der Melancholie, die in wollustathmender Nacht der Vergänglichkeit der Blumen und Menschen, der Schönheit und Freude nachsinnt. Das Haupt, das sonst so stolz auf dem kräftigen Halse saß, neigte sich zur Brust; das Gesicht war blaß, nur dicht unter den Augen, wo die Haut vom Weinen entzündet war, brannten zwei Purpurflecke. Sie hatte die feinen, langen Finger gefaltet, und der Schlüssel zur Gartenpforte war zur Erde gefallen. Aber sie bückte sich nicht nach ihm und hob ihn auch nicht auf, als sie aus dieser Art Ohnmacht erwachte und langsam in’s Haus schritt.

In ihrem dunkeln Zimmer saß sie dann, das Kinn auf die Hand gestützt, und verlor sich in die unselige Geschichte ihres Herzens. „Eine Zeile, ein Gruß von Gustav,“ dachte sie, „hätte damals mich retten können. Von Tag zu Tag hofft’ ich auf ein Wort der Liebe und Treue, erst mit Zuversicht, mit Angst, mit Thränen dann, bis mich endlich zornige Scham ergriff. Des Mädchens nicht achten, dem man die ersten Schwüre gab, heißt es verachten. Mein erster Kuß war entheiligt, meine innerste Empfindung zum leeren Traum herabgestimmt, und der Ferne, der Treulose erschien mir nur noch als ein kecker, leichtfertiger Knabe. Oldenburg aber stand vor mir voll männlicher Schönheit und männlichen Ernstes – schön, geistreich und unglücklich.“

„Nein! nein!“ schalt sie sich selbst, „ich darf mich nicht entschuldigen. Weh mir, was hab’ ich gethan! Ueber einen Engel wollte ich durch menschliche Sünde triumphiren. Einem sanften, alles Glückes würdigen Wesen raubt’ ich sein einziges Glück, das Herz des Gatten. Einer Kranken verbitterte ich die letzten Tage. Es giebt keine Verzeihung für mich. Ja, wenn mich eine große Leidenschaft sturmähnlich in den Abgrund gerissen hätte, doch tändelnd, Schritt für Schritt, sank ich und verlor mein Heiligstes, die jungfräuliche Scham … So mußte es kommen; da keine Sühnung mehr möglich ist, am Sterbelager des armen Opfers erwache ich aus meiner Verblendung, und der erste Blick trifft Ihn, den ich verrathen, doch nicht vergessen konnte.“

Elisens Vater, der alte Reiser, trat mit Licht in das Gemach, ein graues Männchen mit blassem, gutmüthigem Gesicht, altmodisch und schlotterig gekleidet. Er trug der kranken Augen wegen eine blaue Brille. Wie er lebte, ist bald gesagt. Durch Elisens Geburt zum Wittwer geworden, vereinsamte und verwelkte er unter Büchern und Retorten, mit wunderlichen, unnützen Experimenten und planlosen Studien beschäftigt. Aus dem dumpfen Laboratorium stieg er zuweilen in das Stübchen seiner Tochter; jenes war seine Welt und diese seine Sonne.

Elise erhob sich bei seinem Eintritt nicht ohne Verwirrung, aber er drängte sie sanft auf ihren Sitz zurück und sagte, daß er sie nur einen Augenblick sehen und sprechen wolle. Selbst dem eigenen Kinde gegenüber benahm er sich schüchtern und linkisch. Während er sich verlegen die Hände rieb, suchte er, da Elise die stumme Pause nicht unterbrach, nach Worten. „Du bist traurig, mein armes Lieschen,“ sagte er endlich. „Ich weiß – Deine Freundin, Frau Oldenburg, ist gestorben. Die Actuarius Müller kam in die Apotheke und erzählte mir’s. Eine redselige Frau, die Actuarius Müller. Hm, ja, was ich sagen wollte – Herr Gustav Flemming ist heute Morgen angekommen. Das ist doch auch eine frohe Nachricht. Ein prächtiger Junge! Und doch, und doch, Eins wundert und kränkt mich –“

„Was, lieber Vater?“

„Daß er seine Freunde nicht aufsucht. Ich sah ihn über den Marktplatz gehen. Aha, dacht’ ich, jetzt kommt er zu uns. Aber er kam nicht.“

Elise seufzte. „Er kommt nicht,“ sagte sie leise.




3.

„Märtyrer hat uns Brausewetter gestern genannt. Frage Deinen Mann! Märtyrer. Ist’s nicht so? Märtyrer hat er gesagt.“

Mit diesen Worten wandte sich eine ungestalte, häßliche, schielende Frauensperson mit ungekämmten Haaren, in schlechten Kleidern und Holzschuhen, von ihrer Begleiterin, die ebenso schlecht, aber sauberer gekleidet und auch in Holzschuhen ging, sehr klein,

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verschiedene: Die Gartenlaube (1864). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1864, Seite 785. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1864)_785.jpg&oldid=- (Version vom 20.8.2021)