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verschiedene: Die Gartenlaube (1864)

Das Freitagsgebet des Sultans.

Auf jeder Culturstufe und unter jeder Zone ist es ein und dieselbe Erscheinung, daß die Gekrönten dieser Welt die öffentlichen Acte ihres Cultus mit der ausgesuchtesten Pracht umgeben, im grellsten Widerstreit mit dem schönen Winke: „Und wenn Du beten willst, so gehe in Dein Kämmerlein einsam und schließ die Thür hinter Dir zu etc.“ – Die Geschlechter der Gekrönten beharren auf dieser vereinten Schaustellung ihres irdischen Glanzes und ihrer kirchlichen Frömmigkeit wie auf einem ganz besondern Recht und Vorzug der Krone, ja mit einer Pünktlichkeit, als ob ein geheimnißvoller Glaube an ein geheimes Bündniß der himmlischen und der irdischen Weltregierung darüber walte, als ob eine Garantie der Throne mit ihr verbunden sei. So ist’s im Abendlande, und so zeigt uns dasselbe bunte Religions-Ceremonienbild auch das Morgenland.

Der Koran schreibt den Gläubigen nicht nur vor, an jedem Tage zu den festgesetzten Stunden die üblichen Gebete zu verrichten, sondern gebietet ihnen auch, an jedem Freitage in einem Gotteshause öffentlich zu beten. Diesem Gebote gewissenhaft nachzukommen, lassen sich die Sultane – schon des Beispiels halber – ganz besonders angelegen sein. Die Geschichte erzählt, daß Sultan Mahmud I. auf dem Rückwege von der Moschee nach dem Serail gestorben sei. Goethe’s Mutter antwortete auf eine Einladung, die sie kurz vor ihrem Tode erhielt, sie bedaure recht sehr, nicht kommen zu können, „sie habe zu sterben“. Sultan Mahmud hatte zwar ebenfalls zu sterben, als der Muezzin an jenem Freitag vom Minaret zum Gebete rief; aber er nahm seine letzten Kräfte zusammen, ließ die Todtenblässe seines Gesichtes mit rother Schminke bedecken und sich auf’s Pferd heben.

Was der Sultan die Woche über thut und treibt, erfährt in Constantinopel Niemand; in welche Moschee er aber am Freitag reitet, um öffentlich sein Gebet zu verrichten, und zu welcher Stunde dies geschieht, das weiß jedes Kind. Vielleicht ist die Reihenfolge der Moscheen eine festgesetzte, die sich regelmäßig wiederholt, oder die Kunde wird absichtlich vom Serail aus verbreitet; denn der Sultan, der sonst unerreichbar ist, muß einmal in der Woche ein Lebenszeichen von sich geben und den Glanz seiner Majestät vor den Augen der Muselmänner leuchten lassen. Der Fremde erhält dadurch Gelegenheit, den Beherrscher der Gläubigen von Angesicht zu Angesicht zu schauen, was sonst sehr schwierig ist.

Während unsers Aufenthaltes in Constantinopel – im Juni dieses Jahres – bewohnte der Sultan seinen Kiosk, d. h. sein Landhaus, „an dem süßen Gewässer von Europa“. Mit dieser Benennung wird ein von Bäumen beschattetes Flüßchen bezeichnet, das durch einen von grünen Hügeln eingefaßten Wiesengrund dem salzigen Wasser des „goldenen Horns“ zufließt und zwar so, daß das goldene Horn das Delta des Flüßchens bildet. In nächster Nähe von jenem Kiosk liegt eine Moschee, die „Moschee des süßen Gewässers“. Da wir nun am ersten Freitage unsers Aufenthaltes in Constantinopel von den Lohndienern erfuhren, daß der Sultan „um sechs Uhr türkisch“ in diese Moschee zum Gebet gehen werde, und außerdem wußten, daß die Türkinnen – die bei ihren Ausfahrten niemals von ihren Gebietern begleitet werden – an den Freitagen im Monat Juni das süße Gewässer von Europa zu Tausenden besuchen, um dort spazieren – zu sitzen, so beschlossen wir, zwei Fliegen mit einer Klappe zu schlagen und uns zur Schau des Padischas und seiner schönen Unterthaninnen um zwölf Uhr dort einzufinden. Der Weg dahin ist ein ziemlich langer und wird im Kaik zurückgelegt.

Das Kaik ist ein sehr elegantes, hinten und vorn spitz zulaufendes behendes Boot, das braun gebeizt, mit Schnitzwerk und vergoldeten Schnörkeln verziert und so schmal ist, daß es umschlägt, wenn man beim Einsteigen nicht genau in die Mitte tritt oder beim Aussteigen es nicht von der Mitte aus verläßt. Der Fahrgast sitzt auf dem Boden, mit dem Gesicht nach der Spitze gewendet. Hat man Platz genommen, so muß man sich ganz still halten, denn das Kaik ist empfindlich wie eine Goldwage und geräth bei der geringsten Bewegung in’s Schwanken. Die ruhige, gravitätische Haltung der Türken, welche an die starre Bewegungslosigkeit heidnischer Götzenbilder streift, paßt also vortrefflich zu den Eigenschaften des Kaiks.

Hinter dem Herrn oder Fahrgast auf einer Erhöhung kauert der Diener mit untergeschlagenen Beinen; vor ihm auf Querbänken sitzen die Ruderer, in der Regel einer hinter dem andern, Jeder zwei Ruder führend. Hohe Würdenträger bedienen sich breiterer Kaiken, in denen immer zwei Ruderer, jeder ein Ruder führend, nebeneinander Platz haben; doch ist es nicht einem Jeden erlaubt, dergleichen größere Fahrzeuge zu halten, da die Schildwachen an den Ufern vor solchen Kaiken „Honneurs“ machen müssen.

Je mehr sich das goldene Horn verengte, je näher rückten die Kaiks, die zahllos durch das Wasser stechen, aneinander. Das war für uns höchst willkommen; setzte es uns doch in den Stand, die bunten Gestalten in ihnen recht genau in Augenschein zu nehmen. Da fuhren Minister und Paschas in den mit reicher Goldstickerei verzierten schwarzen Reform-Ueberröcken. Ein buntes Zeltdach, ehemals ausschließliches Privilegium der Kaiken des Sultans, schützt sie gegen die Sonnenstrahlen. Hinter ihnen kauert der Pfeifenstopfer, stets ein junger, schöner und sehr vertrauter Diener, um dessen Gunst sich ein Jeder bewirbt, der vom Herrn irgend etwas zu erringen wünscht. Die zahlreichen Ruderer, sonnverbrannte Anmuten von herkulischer Kraft und Gestalt, je zwei und zwei auf einer Bank, tragen Hemden von einem dünnen Seidenzeuge mit Atlasstreifen, und weite, bis an’s Knie reichende Leinwandhosen. Der Pascha, den rothen Fez auf dem Kopf, raucht gravitätisch die lange Pfeife, mit dem Mundstück von undurchsichtigem Bernstein. Einer von ihnen, in militärischer Uniform, dictirte seinen Secretairen, die ehrerbietig vor ihm hockten und eifrig schrieben. Alle Spitzen der Militär- und Civil-Verwaltung müssen den Sultan in die Moschee begleiten.

Aber die Kaiken waren es nicht allein, welche dem süßen Gewässer Schaulustige zuführten; an den Ufern entlang plätscherten kleine Dampfschiffe und pfiffen sich Passagiere zusammen, während große Barken schwerfällig einherkrochen wie Schildkröten auf dem Lande. Eine stattliche Fregatte, in der Mitte des goldenen Horns beim Marine-Ministerium vor Anker liegend, beherrschte mit ihren drei Reihen Kanonen das Gewimmel um sie her, und ihr rother Wimpel mit dem Halbmond und dem darüber schwebenden Stern schien ein dem Bilde aufgedrücktes Fürstensiegel.

Endlich zeigt sich im blauen Seewasser ein trüber grauer Streifen; es ist das „süße Gewässer von Europa“, ein zahmes Flüßchen, in dessen Mündung wir einbiegen und unsere Fahrt stromauf fortsetzen bis in die Nähe einer Brücke, bei welcher wir an’s Land steigen.

An beiden Ufern dieses süßen Gewässers herrscht das regste Leben. Im Schatten der Bäume breiten Sklavinnen Teppiche aus, und die vornehmen Türkinnen lassen sich darauf nieder, während ihre Kinder umherspringen. Wo der Schatten nicht ausreicht, werden bunte Stoffe über die Zweige der Bäume geworfen; denn die Sonne meint es nur zu gut, und die Türkinnen lieben es nicht, ihren Teint zu exponiren. Je näher der Brücke, je enger rücken die Gruppen aneinander, zuletzt sitzen die Schönen in mehreren Reihen fast Schulter an Schulter gedrängt. Wagen von grauen, wunderlich aufgeschirrten Ochsen gezogen – sogenannte Arabas – führen Bewohnerinnen der Umgegend heran, ihre Gebieter folgen ihnen zu Pferde, deren Zügel, wenn sie absteigen, nachkeuchende Diener in Empfang nehmen. Damit es aber an nichts mangele, erscheinen auch noch vier bulgarische Musikanten in Schafpelzen, die ein wunderliches Concert aufführen. Der eine spielt den Dudelsack, der andere die Flöte und der dritte die Gusla, eine Art Geige mit drei Saiten, während der vierte eine kleine dumpfklingende Trommel schlägt. Was sie vortragen, hat weder Melodie noch Rhythmus; die Türkinnen scheinen aber dennoch davon erbaut, denn die Kinder werden fleißig mit kleinen Gaben an die Bulgaren abgeschickt?

Doch wir hatten nicht Zeit, das vor uns entfaltete und immer reicher werdende Bild lange zu betrachten; es galt zur Moschee zu gelangen und den Sultan zu sehen. Wir gingen daher über die Brücke und gelangten, einer hohen Mauer folgend und uns durch ein zahlreich versammeltes männliches Publicum drängend, an ein geöffnetes, von Soldaten besetztes Portal. Es führte in einen großen Hofraum, in dessen Mitten wir die Moschee, viele fränkische

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verschiedene: Die Gartenlaube (1864). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1864, Seite 648. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1864)_648.jpg&oldid=- (Version vom 15.9.2022)