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verschiedene: Die Gartenlaube (1864)

hat. Denn auch das ist das Eigenthümliche, ich möchte sagen der Humor von Fritz Reuter’s Humor, daß dieser – so unthunlich es ist, ihn selbst aus dem Mecklenburgischen in eine andere Sprache und ein anderes Verständniß zu übersetzen – doch wiederum alles Fremdartige mit großer Leichtigkeit, sprachlich und social in’s Mecklenburgische übersetzt. Die Heimath ist dem Humor Fritz Reuter’s der enge Rahmen zu dem Spiegel, aus dem die Welt in ihren bunten Erscheinungen mikrokosmisch uns entgegenstrahlt. – So bin ich überzeugt, daß die Reise, welche Reuter mit seiner Gattin im vergangenen Frühling, auf einem Dampfer des österreichischen Lloyd, nach Griechenland, Constantinopel und Smyrna gemacht hat, gar wundersam verplattdeutscht und vermecklenburgt den Fritz Reuter-Lesern durch die Hinstorff’sche Hofbuchhandlung vorgeführt werden wird. – Warum sollte z. B. unser guter lieber Entspeckter Bräsig, „bürtig aus Mekelborg-Schwerin“, nicht von irgend einem strebsamen Gutsbesitzer, behufs Ankaufs edler Zuchtböcke, zu einer Reise nach dem Morgenlande engagirt werden, wie er seiner Zeit von Moses Löwenthal aus Wahren zu einer Reise nach dem Berliner Wollmarkte engagirt worden ist, um demselben, nämlich dem Moses Löwenthal, „als kenntnißreicher Mann in Wullsachen, zu helfen beis Geschäft, natürlich gegen ’ne Provision“. Eine Reise, auf welcher der arme Bräsig gar grausame Abenteuer erleben mußte, wie ein Jeder solche in Reuter’s „Schurr-Murr“, von Seite 49 bis Seite 134, nachlesen kann.

Daß der Humor in Mecklenburgisch-Thüringen durch sympathische Heimathsklänge angefrischt werde, dafür sorgt ganz besonders Fritz Reuter’s „olle Fründ de Cannedat“, oder auch „Avkat Rein“. In Wirklichkeit ist das Niemand anders, als der wackere charakterfeste und doch so kindlich weiche Reinhardt, ein Landsmann Reuter’s, früher als Theolog und Pädagog in Mecklenburg fungirend, jetzt, des leidigen Amtes ledig, in Coburg an der Presse beschäftigt, der aus naher Nachbarschaft von Zeit zu Zeit unter Reuter’s Dach einkehrt. Reinhardt, manchem Leser als Mitglied des Frankfurter Parlaments bekannt, ist, wie sein Landsmann, ein geborener Humorist von dem Scheitel bis zur Zehe – wenn er auch seine sprühenden Einfälle mehr der Gesellschaft hingiebt, anstatt sie productiv mit der Feder zu verarbeiten. „’Ne Gschicht von min olle Fründ Rein“, die Reuter in seinen „Läuschen un Rimels“ erzählt, ist in der That eine dem Leben Reinhardt’s entnommene wahre Geschichte. Am treuesten nach dem Original aber lernt der Leser Reinhardt’s trockne humoristische Schelmerei kennen in der Schilderung einer Versammlung des Reform-Vereins zu Rahnstädt, in welcher „Avkat Rein“ als Präsident den Vorsitz führt. Dies wahrhaft classisch zu nennende Meisterstück des Humors findet der Leser im dritten Bande von „Ut min Stromtid“, der soeben die Presse verlassen hat.

Indem ich hier meine Skizze beende, fühle ich, wie das nun einmal immer der leidige Fall ist, zu spät, welche Gefahren ich mit derselben für das Thüringische Mecklenburg heraufbeschworen. Man kann volksthümlichen Persönlichkeiten kaum einen schlimmern Dienst erweisen, als wenn man deren Liebenswürdigkeit und Gastlichkeit öffentlich durch die Presse denuncirt, besonders wenn diese Persönlichkeiten, wie Fritz Reuter, an einem Karawanenwege wohnen. Gar leicht könnte meine Schilderung von Fritz Reuter’s thüringischer Hüsung Tausende seiner Verehrer, die allsommerlich den Weg durch Thüringen nehmen, der Versuchung aussetzen „selbst zu sehen“, wie Yorik Sterne auf seiner sentimentalen Reise. – Brauche ich die Folgen eines solchen Cultus weiter auszuführen?

Mögen daher die geneigten Leser und Leserinnen meine unvorsichtige Denunciation durch ihre eigne discrete Erwägung unschädlich machen und sich mit einem Blick über das Gartenpförtchen, das zu Mecklenburg in Thüringen führt, und meiner Schilderung begnügen. Der Verzicht auf die persönliche Bekanntschaft Fritz Reuter’s wird ihnen weniger schmerzlich fallen in dem Gedanken, daß des Dichters Zeit eine edle sei und daß sein Humor den Tisch für viele Hunderttausende unsres Vaterlandes zu decken habe.

Fritz Reuter aber möge am Fuße der sagenreichen Wartburg, von wannen Heinrich von Ofterdingen einst auszog, um die blaue Blume der Romantik zu suchen, noch recht lange mecklenburgische „Olle Kamellen“ pflücken! –




Blätter und Blüthen.

Aus dem Leben Maria Theresia’s. Die Tiroler sind oder waren wenigstens ein sehr loyales Volk; da möchte man wohl meinen, jeder Senner auf den Alpen jodle von der Genealogie seines Fürstenhauses, dem ist aber nicht so. Die geschichtliche Erinnerung des Volkes läßt sich in wenigen Zeilen wiedergeben. Da ist die Maultasch, welche trotz des großen Mundes die Bauernburschen aus Passeier küßte; der Erzherzog Sigismund, der einem hübschen Bauernmädel über alle Zäune nachsprang; der alte Maxel, der sich bei der Gemsjagd auf der Martinswand verstieg; der Erzherzog Ferdinand, den man eigentlich nur der schönen Philippine Welser, seiner Gattin, zulieb nennt; dann kommt lange Zeit nichts mehr, als hätt’ es nie einen Fürsten gegeben, endlich taucht die Gestalt Maria Theresia’s empor, dann Joseph, der edle große Joseph, den jedoch die Hochwürdigen, weil er ihnen die Federn stutzte, stets nur in einer Beleuchtung von Höllenschwefel à la Breughel erscheinen lassen. Vom Franzl wird man bald auch nichts mehr wissen, höchstens daß man den Erzherzog Johann nennt, der den Tirolern so viel und so Großes versprochen. Friedrich mit der leeren Tasche hält sich nur durch sein goldenes Dachl, dieses Wahrzeichen für die wandernden Handwerksbursche, im Gedächtniß, sonst würde auch Niemand mehr nach ihm fragen. Vergißt doch das Volk seine eigenen Thaten. Das Siegesjahr 1703, ja die Kämpfe von 1797 und 1805 sind bereits vollständig in der Glorie von 1809 untergegangen, und auch der Glanz Hofer’s und Speckbacher’s erblaßt mehr und mehr, von den Helden zweiten Ranges sind die meisten Namen schon vergessen. Am längsten haften anekdotenartige Züge, wie wir deren bereits oben angedeutet, nur der Schatten Maria Theresia’s verbindet sich noch immer mit der Erinnerung an Oesterreichs goldenes Zeitalter. Waren die Tage ihrer Regierung auch stürmisch, so verschönte sie doch die Liebe, und selbst der Lombarde, welcher trotz der gegentheiligen Stimmungsberichte gewisser Organe durchaus nichts mehr vom österreichischen Corporalsstock wissen will, gedenkt der hohen Frau in Ehrfurcht. „Ja die Thresel! das war eine andere Zeit!“ seufzt unser Bäuerlein. Fragt man, worin denn das Glück bestand, so weiß er keinen Bescheid, oder er malt uns ein Bild, wie eben er sich das Paradies vorstellt: man zahlte dort wenig oder gar keine Steuern, und Soldat wurde nur, wer eben wollte.

Wir überlassen es Arneth von dem geschichtlichen Beruf Maria Theresia’s zu reden, wir erzählen nur, auf welchem Fuß sie mit ihrem Volk stand, und auch hier geben wir blos ein paar drollige Anekdoten aus ihrem treuherzigen Verkehr mit den Tirolern. Die Theresienkreuzer sind uns ja noch alle im Gedächtniß, diese großen schweren Kupferplatten, welche das lockige Haupt der Kaiserin zeigten. Aus allen Jahren waren sie im Umlauf, nur nicht von 1775. Damals, so erzählt man, ließ sie hundert Stück prägen, die hohl waren und in der Mitte einen Kremnitzer Dukaten bargen. Sie schenkte sie einem Tiroler, der ihr oft Spaß gemacht, zu Neujahr, dieser jedoch, unwillig über den Spott mit Kupferkreuzern, theilte sie vor der Thür den Gassenjungen aus. Bald jedoch wurde das Geheimniß offenbar, und wem nun ein Kreuzer mit der Jahreszahl 1775 in die Hände gerieth, der feilte ihn durch, freilich um Nichts zu finden.

Maria Theresia besuchte Tirol 1765. Sie war damals tief in den Vierzigen, jedoch noch immer einer stattliche üppige Frau. Da ging sie auf dem Rennplatz spazieren; ein Bäuerlein aus Dux, wo man auch jetzt noch am ehesten alttirolische Naivetät antrifft, schaute sie lange unverwandt an. Sie trat zu ihm und sagte: „Nu, gefall ich Dir?“ – Jener antwortete: „Du bist eine sackerische Gesellin’, ich möcht Dich grad schon.“ Die Kaiserin lachte über diese Galanterie laut auf und schickte ihm einen harten Thaler mit den Worten: „Weil Du mich nicht selber haben kannst, so nimm hier mein Portrait zum Andenken.“ Der Bauer war überglücklich; noch seine Kinder besaßen diesen Geldstück als kostbare Schaumünze.

Wer kennt die Zillerthaler nicht? Diese scheinbar treuherzigen, in der That aber schlau auf ihren Vortheil bedachten Händler, welche durch alle Länder herumwandern, außerhalb Tirols jeden mit Du anreden, während sie sich zu Hause dieses Wort nur gegen Dienstboten und gute Bekannte erlauben, betreiben ihr Geschäft nicht erst heute, schon im vorigen Jahrhundert begegnen wir ihnen überall, nur unter anderer Form. Damals verkauften sie keine Handschuhe aus Bockhaut für gemslederne; sie trugen eine „Kraxe“ auf dem Rücken, und diese war angestopft mit Oelfläschlein, Salben und Blechbüchsen – kurz allerlei Medicamenten, gut wider jede Krankheit, nur nicht wider den Tod. Da diese Krämer, ähnlich wie Faust mit den höllischen Latwergen, hier und hin nur Unheil stifteten, so wurde am Ende die Polizei aufmerksam und verbot das Geschäft. Auch als Schmarotzer, Tellerlecker und Hofnarren strolchten sie herum, sie machten ihre Späße, nicht als Nationalsänger wie jetzt, sondern als der „lustige Bua“ auf allen Schlössern, des deutschen Adels und an den Höfen, ließen sich von den vornehmen Herrschaften foppen, wobei sie freilich nicht die Gefoppten waren, und setzten sich schließlich, wenn ihr Geldsack hinlänglich gespickt war, in ihrem Heimathsdörfchen zur Ruhe.

Der berühmteste von diesen Schalksnarren war Peter Prosch, von dem man noch im Lande erzählt. Als er seines Handwerkes überdrüssig geworden, verfaßte er, wie andere große Männer, seine Memoiren, welche eine Masse culturgeschichtlichen Stoffes enthalten und dem Forscher auf’s Neue zugänglich gemacht zu werden verdienten. Wir sagen: dem Forscher, damit sich nicht irgend ein feiler Literat des Gegenstandes bemächtige und ihn einem Volke vorkäue, dem der Servilismus ohnehin noch nur zu sehr im Blute steckt.

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verschiedene: Die Gartenlaube (1864). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1864, Seite 590. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1864)_590.jpg&oldid=- (Version vom 15.9.2022)