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verschiedene: Die Gartenlaube (1864)

Schlag der Knechte erhob ihn seine Stellung als Schaffner. Nur ein wichtiger Mann war unzufrieden.

Der Landrichter, in dessen Bezirk das Gut der Baronin lag, glaubte sich beleidigt, weil sie es unterlassen, ihm die pflichtschuldige Aufwartung zu machen. Diese Herrn in Baiern sind noch manchmal wie die Paschas; darum wenigstens dürfen wir Tyroler unsere Nachbaren gewiß nicht beneiden. Ueberdies hegte er einen Widerwillen gegen unsere Landsleute, selbst Kärrner und Handwerksbursch tyrannisirte er; es war ihm daher ein Dorn im Auge, daß ein Tyroler, die er verachtete und haßte, den schönen Dienst bei der Baronin behaupten solle. Obenein wollte er sie necken, ihr beweisen, wen sie beleidigt und hintangesetzt. Hans hatte aus Unkenntniß unterlassen, vorschriftsmäßig Paß und Heimathschein vorzuzeigen, ja er besaß nicht einmal einen solchen. Da kam eines Morgens der Gerichtsdiener und lud ihn vor. – Betrübt kehrte er nach Hause. Der Landrichter, bei dem er keine Urkunden vorzulegen hatte, fuhr ihn barsch an, und stellte ihm die Frist von zweimal vierundzwanzig Stunden, binnen der er Baiern zu verlassen habe, wenn er nicht mit Schub abfahren wolle.

Traurig kam er nach Hause und erzählte der Baronin allsogleich, was vorgefallen. „Schau, ich will Dir’s gerad sagen, es ist mir nicht wegen dem Dienstl, denn ich hab’ zwei gesunde Arm und bring’ mich leicht überall durch, aber Du bist mir so lieb worden wegen Deiner Gutheit, daß ich Dir lieber umsonst, als Andern um doppelten Lohn arbeiten möchte.“ Sein Auge wurde feucht.

„Laß sein,“ antwortete die Baronin, „ich werde die Sache schon einrichten.“

Der Herr Landrichter saß im Bureau, rings um ihn knackten die Federn in der Hand der Kanzleiknechte, welche sich tief auf die Acten niederbeugten. Er gähnte, steckte eine Cigarre in den Mund und faltete die fleischigen Hände über dem üppigen Bierwanst. Von Zeit zu Zeit flog aus den kleinen Aeuglein unter den buschigen Brauen hervor ein Blick auf die Schreiberknechte, die im Schweiße des Angesichts roboteten. Da klopfte es, und die Baronesse trat ein. Ohne den Stummel bei Seite zu legen, maß er sie vom Kopf bis zum Fuße.

Sie begann ruhig: „Mein Schaffner hat aus Unwissenheit die gesetzliche Form verabsäumt, ich bin hier, um mich für ihn zu verbürgen, bis er die nöthigen Papiere aus der Heimath erhält.“

„Ich nehme meinen Befehl nicht zurück,“ fuhr er auf, „er hat das Land zu verlassen. Ueberhaupt begreife ich nicht, warum Sie hier in Baiern keine Leute für den Dienst finden!“

„Das ist meine Sache,“ erwiderte sie kalt, „für mein Geld bestelle ich, wen ich will.“

„Wen Sie wollen?“ sagte er höhnisch lachend, „ja, ja, man weiß schon, wozu solche Tyrolerbursche bei Damen gut sind!“

Sie erblaßte; dann aber rief sie, sich stolz aufrichtend: „Keine Rohheiten, mein Herr, ich dulde das nicht!“

Das Kanzleipersonale war aufmerksam geworden. Erstaunt über diese Keckheit, setzte ein Praktikant die Brille auf und schaute nach dem Gerichtsdiener um, ob dieser nicht mit einem Satz auf die Verbrecherin losspringe und sie in den Abgrund stoße; der alte Actuar verzog höhnisch den Mund, und der Landrichter schwang sich auf wie ein Seiltänzer.

„Noch heut mit Schub fort!“ donnerte er.

„Das werden Sie bleiben lassen,“ entgegnete die Baronin gemessen, „wohl aber will ich noch heut an den Gesandten meines Fürsten, mit dem ich persönlich bekannt zu sein die Ehre habe, schreiben, daß er mir bei Ihrem Minister Genugthuung verschaffe. Auf Wiedersehen!“

Sie verbeugte sich und ging. Die Kanzlisten wuselten über diesen ganz ungewohnten Auftritt durcheinander wie Ameisen, es war jedoch kein Beamter, der seinem Pascha die Demüthigung und die zu erwartende Nase nicht vergönnt hätte. Diese blieb auch nicht aus.

Die Baronin schrieb allsogleich dem Gesandten, und wie da eine Hand die andere wäscht, machte dieser dem Minister die Anzeige, der Landrichter wurde in einen Winkel des bairischen Waldes versetzt und dann, weil die Sache zufällig durch einen Correspondenzler einer Zeitung verrathen wurde, gar pensionirt. – Als sie den betreffenden Brief geschrieben hatte, rief sie Hans.

„Du hast mir,“ begann sie zögernd, „gesagt, daß Du mich gern habest?“

„Gewiß, von Herzen,“ antwortete er, „Du glaubst nicht, wie, ich trau mir’s gar nicht zu sagen.“

„Nun gut,“ sagte sie rasch, die Stirn hebend, „dann wär es ja das Beste, wenn wir heiratheten!“

Dunkles Roth goß sich über ihr Gesicht, sie senkte den Kopf und faßte die Lehne des Sessels.

„Jesus Maria,“ rief er, „Du hast mich fast erschreckt! Schau, das hab’ ich mir schon lang denkt, Du bist nicht mehr jung und ich auch nicht; wärst eine Bäurin, hätt’ ich Dich schon längst drum angesprochen, aber so – – Du bist gescheiter als ich, bring’ Du’s in Ordnung, – das will ich Dir auch noch sagen: Dich oder Keine! Zu Dir wagte ich nicht das Aug’ zu heben, deswegen war ich darauf gefaßt: Keine! und wollte bei Dir bleiben mein Lebtag!“

„Du hättest mir das,“ sprach die Baronin nach dieser Ergießung, „nie gestanden, ich weiß es, allein gestern konnte ich in Deinem Herzen lesen. Auch ich würde stets geschwiegen haben, Du wurdest jedoch meinetwegen erniedrigt, so fühlte ich mich gedrungen, zuerst zu reden.“ Sie reichte ihm tiefaufathmend die Hand.

Es wurde über diese Sache kein Wort mehr zwischen ihnen gewechselt, fast schien es, als scheue sich Jedes, noch einmal darauf zurückzukommen.

Am nächsten Morgen in der Frühe waren sie auf dem Wege nach Tyrol. Sie saß in der Kalesche, Hans kutschirte vom Bock aus. Obwohl sie ihn eingeladen hatte, neben ihr Platz zu nehmen, weigerte er sich doch dessen: das sei vorläufig zu viel Ehre. Es schien ihm, als ob sie noch unermeßlich hoch über ihm stünde. – Sie reisten in seinen Geburtsort, um dort die zur Trauung nöthigen Documente zu holen. Der Pfarrer des Ortes suchte Hans bei Ausstellung des Taufscheines von der Lutheranerin wegen des ewigen Seelenheiles abspenstig zu machen, dieser verbat sich jedoch kurz und bündig jede Einmischung, da er nicht im Sinne habe, sich in Tyrol, wo man die Ketzer so entsetzlich fürchte, festzusetzen. Auf dem Rückweg kamen sie in’s Achenthal. Bei diesem Anlaß sind Sie ihnen auf dem See im Schifflein begegnet.“

„So wären wir also,“ unterbrach ich Benedicta’s lange Erzählung, „glücklich bei der Hochzeit angelangt?“

„Allerdings,“ entgegnete sie. „Vor der Hochzeit, welche nach Peter und Paul, wo der Roggen bereits geschnitten ist, angesetzt war, trug sich aber noch ein merkwürdiges Ereigniß zu, das auch zur Sache gehört, Sie müssen mich daher ausreden lassen. Zu Hause lebten sie ganz wie früher, er als Schaffner, sie als Herrin, so daß Niemand das Verhältniß von Bräutigam und Braut geahnt hatte und, wie sie der Pfarrer von der Kanzel verkündete, Jeder überrascht war. Er dachte, zum Lallen und Trallen sind wir bereits zu alt, und hätte auch nicht gewagt, sich irgend eine Vertraulichkeit zu erlauben; bei ihr, so sehr sie ihn liebte, überwog die weibliche Schüchternheit, sie wollte nicht noch einmal den Anfang machen. Es sollte jedoch anders kommen.

Hans hatte bereits seit einigen Tagen in der Dämmerung etliche Bursche bemerkt, welche um das Haus schlichen und sich, wenn sie ein Geräusch hörten oder Jemand sahen, allsogleich zurückzogen, fast als fürchteten sie, erkannt zu werden. Er hätte sie auch nicht zu nennen vermocht; denn dazu besaß er viel zu wenig Bekanntschaft in der Gegend. Endlich wurde ihm die Sache verdächtig, er legte sich einen derben Knüttel zurecht, um sie damit das nächste Mal um ihren Zweck zu fragen. Zufällig mußte er Nachts im Stalle wachen, weil eine Kuh kalben sollte. Da hörte er etwa um zwei Uhr im obern Stock Geschrei um Hülfe, welches plötzlich verstummte. Rasch ergriff er den Knüttel, sprang über die Treppe empor und horchte an der Thür der Baronin. Er vernahm lautes Gepolter, fast schien es, als falle ein schwerer Gegenstand auf den Boden. Da besann er sich nicht mehr länger, mit beiden Füßen sprang er an die verschlossene Thüre, daß sie, der Gewalt der schwergenagelten Schuhe weichend, mit lautem Krachen zerbarst. Ein Schuß blitzte ihm entgegen, aus dem Rauche erhob sich eine schwarze Gestalt und schwang den Kolben des Gewehrs. Nun schlug Hans zu, daß der Kerl heulend zu Boden stürzte. Der Zweite, welcher das Pult der Baronesse zu erbrechen versucht hatte, wollte durch das Fenster flüchten, verfehlte jedoch jenes, dessen Stäbe die Lumpen durchsägt, und blieb, während von unten noch zwei Schüsse krachten, eingeklemmt in der Luft hängen. Hans bearbeitete mit dem Knüttel den wüsten Strolch so ausgiebig, daß er fürchterlich brüllte. Auf den Lärm liefen die Nachbaren mit Dreschflegeln und

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verschiedene: Die Gartenlaube (1864). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1864, Seite 198. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1864)_198.jpg&oldid=- (Version vom 20.8.2021)