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verschiedene: Die Gartenlaube (1864)

Gruber hörte in diesem Augenblicke das Rasseln des wieder davonrollenden Postwagens und glaubte damit sicher zu sein, daß eine Verhehlung anderer Gepäckstücke Meier’s nicht erfolgt sein könne; er verließ deshalb das Zimmer, ohne von dem sarkastischen Gesichtsausdrucke des Buchhalters Notiz zu nehmen, und schaffte mit Hülfe des Polizei-Beamten den Reisekoffer herein. Schon das leichte Gewicht desselben aber gab ihm die niederschlagende Sicherheit, daß sich der schwere Band, welchem er nachspürte, kaum darin befinden könne, und nur um seiner Pflicht völlig zu genügen, ließ er durch Meier das Schloß öffnen. Die kurze, wenn auch genaue Untersuchung des Inhaltes ergab auch nichts, als das Vorhandensein von Kleidern und Wäsche, und doch trug der junge Mann die volle Gewißheit in sich, daß die Entwendung des Buches durch Niemand als durch diesen Menschen hatte geschehen können.

„Sie mögen Recht haben,“ sagte er nach Beendigung der Untersuchung sich wieder aufrichtend, „daß ich nicht der Mann dazu bin, um allen möglichen Schlichen nachzugehen, welche bei Verbergung des entwendeten Gutes angewandt worden sind; ich kann Ihnen aber nur noch einmal sagen, daß so starke Belastungsgründe gegen Sie vorliegen, Herr Meier, daß das Wiedererscheinen des Geschäftsbuches, behufs Erreichung bestimmter Zwecke, Ihre sofortige Verhaftung nach sich ziehen muß. Was Ihnen dann als möglicher Gewinn Ihres ganzen Verfahrens übrig bleiben wird, selbst wenn Herr Maçon der Mann nicht wäre, der er ist, mögen Sie sich selbst ausrechnen!“

„Ich darf mir wohl jetzt alle Beleidigungen verbitten, nicht wahr, Herr Gruber?“ antwortete der Buchhalter mit wieder völlig kaltem, steifem Gesichte. „Ich werde in den nächsten Tagen nicht nach der Stadt zurückkehren können; allein meine Wohnung steht jeder Untersuchung der Behörde offen, und so ersuche ich Sie, Ihre Privatmeinung gefälligst für sich zu behalten. Mit Ihrem Auftraggeber, dem Herrn Hellmuth, aber werde ich in meiner Weise selbst abrechnen, das mögen Sie ihm nur vorläufig sagen!“ Er wandte sich ab, verschloß seinen Koffer wieder und verließ das Zimmer.

„Ein geriebener Patron, ich kenne diese Sorte,“ bemerkte der Polizei-Commissar, „Sie werden ihm aber jetzt kaum etwas in den Weg legen können!“

Gruber nickte mit dem unverkennbaren Ausdrucke der ihm gewordenen Täuschung. „Wir wollen hier unser Abendbrod nehmen und dann baldigst zurückfahren,“ sagte er; „Herr Hellmuth wird jede Minute zählen, bis ich ihm Bericht erstatten kann.“




7.

„Wenn ich nur erst wüßte, was seit den letzten Tagen in unser Haus gefahren ist. Der Vater ist kaum recht zu sprechen; Gruber grüßt, wenn ich ihm begegne, wie mit einem Stück Holz im Nacken und macht ein Gesicht dazu, als habe er eine Spinne verschluckt, und selbst Willmann zieht mir eine Miene, wie die gezwungene Vergebung einer Todsünde. Und da soll man in guter Laune zum Balle!“ Es war im Toilettenzimmer der beiden Schwestern, wo Eugenie, erst halb angekleidet und unter den frisirenden Händen der alten Dienerin, ihrer Stimmung freien Ausdruck ließ, während sie dabei in dem großen Spiegel vor sich die Wirkung ihrer leicht schmollenden Miene zu beobachten schien. „Und wer allein davon unberührt zu bleiben scheint,“ fuhr sie, plötzlich den Kopf drehend, so daß die Dienerin einen bedauernden Ausruf hören ließ, nach der Schwester gewendet fort, die vor einem einfachen Toilettentische sich selbst ihr Haar ordnete, „das bist Du, Anna, und mir ist es, als seiest Du gerade in diesen letzten drei Tagen, trotz des wunderlichen Tones in unserm Hause, aufgeblüht wie eine Mairose im Sonnenschein; ich habe Dich wenigstens noch niemals vorher mit so frischer Farbe und einem so hellen Ausdrucke im Gesichte gesehen!“

„Von mir sprichst Du?“ fuhr die Angeredete aus ihrem Träumen auf, während ein flüchtiges erhöhtes Roth in ihr Gesicht schoß, „ich glaube, Du machst Dir aus bloßer Langeweile Phantasiebilder nach allen Seiten hin.“

„O Fräulein Anna,“ rief die Dienerin, welche ihre Beschäftigung unterbrochen, „Sie wollen zwar nichts von meiner Hülfe, noch meinem Geschmacke wissen; aber Sie sind heute wirklich glänzender als sonst; folgen Sie mir nur dies eine Mal und stecken Sie wenigstens die einfache Rose hier zur Seite der Haarpuffe – warten Sie, ich ordne es Ihnen selbst!“ Damit waren auch schon die Hände der Sprechenden trotz einer abwehrenden Bewegung des Mädchens mit Anna’s Kopfe beschäftigt, und bald schien die zwischen dem dunkeln Haar glühende Rose mit dem neu aufsteigenden lebendigen Rothe in den Wangen der Geschmückten zu wetteifern.

„Sie hat wahrhaftig bis jetzt nur so gethan, als könne sie gar nichts anders als Veilchen sein!“ rief Eugenie mit komischem Jammer; „Margarethe, wenn Sie mich jetzt nicht ganz schön machen – ich will auch recht still sitzen – so sticht sie mich wirklich heute Abend aus –“

„Eugenie –! Du wirst machen, daß ich ganz zu Hause bleibe!“ klang es von Anna’s Seite in einem Tone, der wohl plötzlichen Unmuth bezeichnen sollte, aber nicht zum rechten Ausdruck desselben gelangen zu können schien.

„Sei still jetzt und störe uns nicht!“ war die Erwiderung, unter welcher sich Eugenie in eine kritische Beobachtung der an ihrem Haare wieder aufgenommenen Arbeit Margarethe’s völlig zu vertiefen schien. Anna aber, als scheue sie sich, nach den gefallenen Worten ihre Erscheinung zu mustern, wandte langsam den Kopf wieder nach ihrem Toilettenspiegel; dann aber blieb ihr Blick an dem rosigen Bilde im Glase hängen, und ein sinnendes Lächeln voll Glück dämmerte in ihren Zügen auf. – –

Unten im Comptoir waren bereits die Lampen über den Arbeitspulten erloschen; Hellmuth aber ging noch in seinem Cabinete auf und ab, während Gruber, mit dem Arme sich leicht auf das elegante Pult stützend, die Aeußerungen des Principals zu erwarten schien.

„Und auch Willmann hat nichts Thatsächliches, das der Beachtung werth wäre, zu melden gehabt?“ fragte Hellmuth, ein augenscheinlich abgebrochenes Gespräch fortsetzend.

„Thatsächliches durchaus nicht, wenn nicht die mannigfachen Gespräche, die in der Handelswelt über die eigenthümliche Lage des Geschäfts laut geworden sind und, wie es scheint, durch immer neu verbreitete Mittheilungen über die gegen die Firma erhobenen Ansprüche lebendig erhalten werden, sich dahin rechnen lassen –“

„Ich weiß das, ich weiß das und bin durch einige aufrichtige Freunde selbst davon unterrichtet worden,“ unterbrach Hellmuth den Sprecher. „Ich wollte lieber den bestimmtesten rücksichtslosesten Angriff ertragen, als dieses Hinhalten, das uns durch die ausgesprengten Gerüchte und die Anwesenheit dieses Maçon den Credit und damit den Boden unter den Füßen wegziehen muß. Ich wage kaum mehr, ein neues Geschäft, das den geringsten Credit einer andern Firma beansprucht, in Angriff zu nehmen, und währt das jetzige Spiel, dem ich in seiner Verstecktheit vertheidigungslos preisgegeben bin, noch lange, so thäte man am besten, abzuwickeln und ganz zu schließen. Dann könnte ich wenigstens als Privatmann ruhig abwarten, was gegen mich geschehen mag!“ Er nahm auf eine Weile wieder seinen raschen Gang durch das Zimmer auf. „Aber ich habe mir vorgenommen,“ fuhr er dann von Neuem stehen bleibend fort, „diese Genugthuung soll Denen nicht werden, die jetzt glauben, an meinem geschäftlichen Ruine zu arbeiten. Wir können es schon noch eine ziemliche Zeit ohne besondere Unternehmungen aushalten; ich zwinge mich deshalb auch, die heutige Gesellschaft zu besuchen. Das Ausbleiben meiner Familie würde jedenfalls Stoff zu neuen Redereien geben; ich werde gehen, selbst auf die sichere Gefahr hin, diesem Maçon als besonders fêtirtem Gaste zu begegnen. – Sollte ich indessen vor der gewöhnlichen Aufbruchszeit verschwinden,“ schloß er in ruhigerem, vertraulichem Tone, „so thun Sie nur wohl die Liebe, Herr Gruber, die Mädchen unter Ihre Obhut zu nehmen; ich möchte ihnen nur ungern das Vergnügen verderben!“

„Wenn Sie befehlen, Herr Hellmuth, daß ich mich Ihnen anschließe,“ erwiderte der junge Mann zaudernd, „so werde ich mich allerdings dazu bereit halten; ich hatte bis jetzt nicht die geringste Absicht, von der mir gewordenen Einladung Gebrauch zu machen.“

Hellmuth sah rasch auf. „In Ihrem Alter nicht mit zum Balle?“ fragte er verwundert; „indessen habe ich Ihnen mit meiner Bemerkung nicht den geringsten Zwang anthun wollen. Folgen Sie durchaus Ihrer eigenen Neigung; ich werde jedenfalls auch aushalten können, bis man sich, ohne aufzufallen, entfernen darf.“

„Ich stehe, wie gesagt, zu Befehl, Herr Hellmuth, wenn Sie es besonders wünschen sollten –“

„Bitte, Herr Gruber, die Sache ist schon erledigt; es war

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