Seite:Die Gartenlaube (1864) 148.jpg

Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
verschiedene: Die Gartenlaube (1864)

um in die Ferne zu spähen. Die Dämmerung fing bereits an, sich über die Gegend zu senken.

„Wann meinen Sie, Schwager, daß der Postwagen die erste Station erreichen wird?“ fragte der junge Mann, sich auf dem unbedeckten Vordersitze bis zur Höhe des Postillons aufreckend.

„Er ist vor fünf Uhr abgefahren, hat aber fünf Wegstunden zu machen und wird so gegen acht Uhr dort eintreffen,“ war die Antwort. „Die ordinäre Post nimmt sich die gehörige Zeit!“

Gruber sah nach seiner Uhr, es war bereits halb sieben. „Ein Gulden, Schwager, für jede Minute, die wir vor dem Postwagen auf der Station eintreffen!“ sagte er.

Der Postillon nickte. „Ich will mein Mögliches thun, und die Pferde sind frisch,“ erwiderte er, „aber es hält schon hart, nicht später zu kommen. Hätten wir nicht die vielen Anhöhen –!“ Die schwirrende Peitsche brach seine Rede ab, und in vermehrter Schnelligkeit rollte der Wagen vorwärts. Gruber nahm seinen Platz wieder ein und zündete, sich zur Ruhe zwingend, sich selbst eine Cigarre an.

Das Tageslicht war bald gänzlich verschwunden, und nur an dem langsameren Vorwärtsbewegen des Wagens waren die Anhöhen, welche einer gleichmäßig raschen Verfolgung Hindernisse in den Weg legten, zu erkennen. Fast mit jeder Viertelstunde zog der junge Mann seine Uhr, um im Leuchten seiner Cigarre einen Blick auf das Zifferblatt zu werden; so langsam aber auch die Zeit verstrich, so schien sie ihm doch, je später es ward, mit fast beängstigender Hast zu eilen; es war bereits halb acht geworden, und noch ließ sich in der weitesten Entfernung kein Lichtschein wahrnehmen, welcher die Laterne des vorausfahrenden Wagens angedeutet hatte.

„Halb acht vorüber, Schwager!“ wandte er, sich wieder aufrichtend, an den Postillon.

„So ungefähr wird’s sein,“ erwiderte der Angeredete, mit Macht auf die Pferde peitschend; „der Conducteur muß heute ganz besondere Eile gehabt oder mein Camerad eins über den Durst getrunken haben, sonst müßten wir sie schon beinahe haben. Es ist aber noch nichts verloren, wir haben bis jetzt das Mögliche vor uns gebracht und werden’s auch noch thun!“

Die Pferde sausten jetzt im Galopp dahin; Gruber aber nahm seinen Platz nicht wieder ein. Scharf spähte er fortdauernd in die Dunkelheit hinaus.

Wieder vergingen zehn Minuten, und die Pferde schienen unter dem angestrengten Laufe matt zu werden; immer häufiger hatte der Postillon die Peitsche zu brauchen.

„Dort ist ein Lichtschein!“ rief plötzlich der junge Kaufmann.

„Hab’s schon gesehen,“ war die ruhige Antwort, „ist aber nur der Schein aus dem Wirthshaus auf der Höhe; es müßte indessen nicht mit rechten Dingen zugehen, wenn wir nicht etwas Anderes sehen sollten, sobald wir nur dort oben sind!“

Von Neuem fiel die Peitsche energisch auf die Pferde; in wenigen Minuten war das Wirthshaus erreicht, und mit dem Ausrufe: „Dort, ha, ha, jetzt verdiene ich noch meine Gulden!“ streckte der Postillon die Hand aus.

Ein matter, kaum bemerkbarer Lichtschein bewegte sich im Grunde vorwärts, Gruber richtete sich hoch auf. „Sind Sie sicher, Schwager?“ fragte er in hörbarer Erregung.

„Werde doch ein Geschirr kennen, das ich selbst oft genug fahre!“ klang es zurück; „es war aber die höchste Zeit; vom Wirthshaus hier ist es nur noch eine halbe Wegstunde zur Station!“

Und die sich senkende Straße hinab flog der Wagen; mit jeder halben Minute wurde der wahrgenommene Lichtschein deutlicher, bis sich endlich auch die dunkeln Umrisse der schwerfälligen Postkutsche erkennen ließen. Aber erst hart am Eingange des vorliegenden Städtchens passirten die Verfolger den Wagen; Gruber hatte sich dabei tief in seine Ecke gedrückt und sein Gesicht durch den Kragen seines Ueberwurfs verdeckt, daß in dem auf ihn fallenden Lichtschein kein zufälliger Blick seine Persönlichkeit verrathen könne.

Nach wenigen Minuten schon standen die dampfenden Pferde vor dem Posthause, während das Rasseln der nachfolgenden Postkutsche die holprige Straße herauf hörbar ward. Rasch war Gruber aus dem Wagen und harrte, mit kaum zu besiegender Aufregung, der langsam heranrollenden Post. Endlich hält diese in seiner Nähe.

„Es wird nur umgespannt,“ rief der Conducteur, die Wagenthür öffnend, zugleich aber wandte er sich auch eilig nach dem Gepäckraum, und Gruber sah dort den ihm wohlbekannten Koffer Meier’s erscheinen. Auch der Letztere selbst ließ sich jetzt, langsam aus dem Innern des Wagens steigend, erblicken und schritt der Durchfahrt des Hauses zu. „O, Sie können mir ja wohl sagen,“ trat er einem, zum Ausspannen der Pferde herbeieilenden Stallknechte in den Weg, „wo ich hier eine Privat-Fuhrgelegenheit in’s Land auftreiben kann!“ Ehe der Andere indessen noch geantwortet, stand Gruber mit den Worten: „Guten Abend, Herr Meier; ich denke, Sie verschieben Ihre Weiterfahrt bis nach einem kurzen Gespräche mit mir!“ vor ihm und winkte sodann seinen Begleiter heran. „Erlauben Sie mir, Herr Meier, daß ich Ihnen hier einen der Herren Polizei-Commissare unserer Stadt vorstelle!“

Der Angeredete hatte rasch den Kopf gehoben; bei seinem Blicke auf die Polizeiuniform indeß verfärbte sich sein Gesicht – doch nur einen Moment. Dann lächelte er gezwungen. „Das ist eine Ueberraschung, Sie hier zu treffen, Herr Gruber,“ sagte er; „wenn Sie mich nicht zu lange aufhalten wollen, stehe ich Ihnen ganz zu Diensten; ich habe ein dringendes Geschäft im Lande, das noch heute meine Gegenwart fordert!“

„Sie sind wohl so freundlich und nehmen den Koffer des Herrn Meier unter Ihre Obhut?“ wandte sich der junge Mann an den Polizeibeamten, indem er auf den Eingang zu dem erleuchteten Passagier-Zimmer deutete. „Ich denke, wir werden dort allein sein, wenn es Ihnen gefällig wäre, Herr Meier?“

„Aber nur nicht zu lange!“ wiederholte der Genannte, und ging, anscheinend völlig unbefangen, der offenen Thür zu.

(Fortsetzung folgt.)




Unbekannte Gegenden.
Ein Blick in das Südpolargebiet.

Man sollte es kaum für möglich halten, daß das Wesen, welches sich stolz „Beherrscher der Erde“ nennt, so respectable Stücken seines Reiches unbeachtet, eingehüllt in einen undurchsichtigen Schleier liegen lassen konnte; und doch ist es Thatsache: das weite Gebiet um den südlichen Endpunkt der Erdaxe, Südpol genannt, einen Flächenraum von 250,000 Quadratmeilen einnehmend, bedeutend größer als Europa, ist von keinem Menschen gekannt. Ob sich dort ein freies Meer erstreckt, oder ob ein großes Festland – mit Schnee und Eis bedeckt – den unermeßlichen Raum ausfüllt – Niemand weiß es; wir stehen vor einem Räthsel, das alle Hypothesen und Vermuthungen nicht lösen können, und Niemand vermag, weil er nicht dort gewesen, der mittelalterlichen Mythe zu widersprechen, wonach just aus dem Südpol ein großes Loch in den Feuerschlund der Hölle führen soll.

Vor etwas mehr als zweihundert Jahren dachte man sich noch den ganzen unbekannten Theil der südlichen Hemisphäre als eine einzige große Landmasse, welche auf den damaligen Landkarten unter dem Namen „Terra Australis“ florirte. Die Umrisse dieses phantastischen Riesencontinents liefen in einem weiten Bogen südlich vom Cap Horn und der Südspitze Afrika’s in der Nordküste Australiens zusammen. Das so beschriebene Ländergebiet umfaßte ganz Australien, dessen Südküste (s. unsere Karte) noch nicht bekannt war, und kam an Flächenraum den Welttheilen Asien, Europa und Afrika zusammengenommen gleich. Mit der Umschiffung des australischen Festlandes durch Tasman (i. J. 1642) ward nun zwar der Riesenleib um ein großes Glied ärmer, doch betrug seine Längenausdehnung immer noch an 1400 Meilen, von der nördlichen Spitze Neuseelands bis zu den entgegengesetzten Bouvetinseln, welche Punkte als die beiden äußersten nördlichen Vorgebirge des räthselhaften Südlandes galten.

Hundert Jahre verstrichen, ohne daß diese fabelhaften Vorstellungen einer besseren Kenntniß gewichen wären. Da unternahm Cook seine denkwürdige zweite Entdeckungsreise, deren Hauptzweck die Lösung des antarktischen Problems war. Drei Jahre lang -

Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1864). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1864, Seite 148. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1864)_148.jpg&oldid=- (Version vom 8.10.2021)