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verschiedene: Die Gartenlaube (1864)

Reiseskizzen“, 6 Bände „Lebensbilder aus beiden Hemisphären“, eine lose in einander gefügte Mosaik amerikanischer Sittenbilder, welche manches vortreffliche Culturgemälde enthalten. So ist unter Andern „das blutige Blockhaus“ eine der interessantesten und spannendsten Schilderungen des wilden Squatterlebens im fernen Westen, und der alte Squatterregulator Nathan ein Charakter, wie er nur von Meisterhand gezeichnet werden kann.

Während dieses seines ersten Aufenthalts in der Schweiz hielt sich Sealsfield abwechselnd in Zürich, am Bodensee, in Schaffhausen und zu Baden im Aargau auf. Er stand in den besten geselligen Beziehungen mit vielen ausgezeichneten Schweizern und mit manchen fremden Notabilitäten, welche gleich ihm den gastfreien Boden der Schweiz zu ihrem bleibenden oder vorübergehenden Aufenthalt gewählt hatten.

Eines Tages erging sich Sealsfield lustwandelnd in der Nähe von Constanz, an den reizenden Ufern des Sees. Da bemerkte er vor sich einen Reiter. Demselben begegnete ein ziemlich armselig und abgerissen aussehender wandernder Handwerksgeselle. Unser Spaziergänger sah von Weitem, daß der Reiter, ein junger, eleganter Herr, sein Pferd anhielt, ohne vom Sattel zu steigen, die Stiefel auszog, dieselben dem armen Reisenden schenkte und dann unbeschuht wieder von dannen trabte.[1] Kurze Zeit nach diesem kleinen Abenteuer ward unser Freund, der schon in Neuyork in Beziehungen zur Familie Bonaparte gestanden, bei der Königin Hortensia eingeführt, welche damals auf dein Schloß Arenenberg wohnte. Nicht ohne Erstaunen erkannte er in ihrem Sohne Louis Napoleon den generösen jungen Reiter.

Nach einem kurzen Besuche in Amerika (1837) kehrte Sealsfield nach der Schweiz zurück. Im Jahre 1838 erschienen die ersten Bände der „Sturm-, Land- und Seebilder“, einer Mosaikarbeit von scharfer Zeichnung und lebhaftestem Colorit. Zwei Jahre später veröffentlichte er das „Kajütenbuch". Es enthalten die zwei Bände dieses Romans eine lebensvolle Schilderung der ersten Anfänge amerikanischer Niederlassung und Besitzergreifung in Texas. Als Meister in der Charakterzeichnung und Schilderung psychologischer Phänomene erweist sich der Verfasser in der Episode „die Prairie am St. Jacinto“. Wahr und ergreifend, fast haarsträubend erzählt er die Gewissenspein des Raubmörders, den die eigenen Schritte trotz alles Widerstrebens stets und stets wieder zum Schauplatz seines Verbrechens führen. – Die drei Bände „Süden und Norden“ (1842 und 1843) haben wiederum Mexico zum Schauplatz und enthalten in Romanform die Eindrücke, welche dieses wunderbare Land mit seiner unglücklichen, meist entarteten Bevölkerung auf den Verfasser gemacht. Das Buch ist sonderbar, wie das Land, welches es schildert; seine Lectüre berauscht uns gleich dem Duft und dem Saft der Agaven, von denen wir lesen. Es gehört zu den frommen Wünschen Sealsfield’s, in einer neuen Ausgabe eine bessere Ordnung und einen größeren Zusammenhang in die üppigen, farbenreichen Bilder der Natur und des Lebens des wunderherrlichen Gebirgslandes Oaraca zu bringen, welche dieser Roman enthält.

Der Quell literarischer Tätigkeit war durch so rasche Production nicht erschöpft. Unser Freund arbeitete an fernern Werken. Aber die Stürme, welche 1847 in der Schweiz, 1848 in ganz Europa zum Ausbruch kamen, unterbrachen das ruhige Schaffen des Geistes. Zum Anfang der fünfziger Jahre finden wir Sealsfield wieder in Amerika.

Sealsfield hatte um’s Jahr 1830 die neue Welt als junger Mann, in der Blüthe der Jahre, verlassen; als gereifter Mann kehrte er nach mehr als 20 Jahren zurück. Er sah nun mit andern Augen. Land und Menschen erschienen ihm nicht mehr wie damals im rosigen Wiederschein der Jugend. Sein durch die lange Abwesenheit objcetiver gewordener Blick erkannte mit Schmerz die dunkeln Schlagschatten im amerikanischen Staats- und Privatleben. Nicht mehr war es der von den schönen Creolinnen Louisianas gefeierte Tänzer, nicht mehr der kecke Jagdgefährte der jungen Pflanzer, der heißblütigen Cavaliere des Südens, der nach so langer Abwesenheit aus Europa zurückkehrte; es war der berühmte Schriftsteller, der geistvolle Publicist, auf dessen Stirne Zeit und Erfahrungen schon tiefe Furchen gezogen hatteu. Es waren die Staatsmänner, die öffentlichen Charaktere des Landes, mit denen er nun verkehrte. Er besuchte Washington und wurde vom Präsidenten der Union im „weißen Hause" empfangen; mit den meisten Männern von politischer Wichtigkeit machte er persönliche Bekanntschaft, und sie verschmähten es nicht, seinen Rath zu hören. Er erkannte mit Schrecken, wie furchtbar die Corruption im öffentlichen Leben Amerikas überhand genommen, wo es vorkam, daß die Mehrheit der Volksvertretung ganzer Staaten von Eisenbahnschwindlern oder andern großen Geldspeculanten im eigentlichsten crassesten Sinne sich bestechen ließen.[2] Schon damals bereitete sich die furchtbare Katastrophe vor, die ein paar Jahre später ausbrach und heute noch nicht zum Abschluß gekommen ist – gleich der französischen Revolution verheerend – vernichtend, aber heilsam und nothwendig all die angesammelten faulen, giftigen Dünste auseinander zu blasen und den Platz zu räumen für ein besseres, gesünderes Leben. – Sealsfield hat seinen Landbesitz in Louisiana nie veräußert. Ohne Zweifel hat er die Stätte wieder besucht, wo er einst eine Plantage gegründet hätte, wäre nicht der fatale Bankerott seines Banquiers dazwischen gekommen. Jetzt würden ihm die Fonds nicht mehr gefehlt haben, eine genügende Anzahl von Negern zu erwerben, um den einst gehegten Plan zur Ausführung zu bringen. Aber sei es, daß er das Vorgefühl des kommenden furchtbaren Sturmes hatte; sei es, daß nach einem so langen Aufenthalt in Europa – im freien England und in der Schweiz – sein Gefühl sich dagegen auflehnte, Sclavenbesitzer zu werden; sei es, daß er es nun zu spät fand eine Familie zu gründen: er verließ die Scholle wieder, die ihm gehörte, und das Adoptivvaterland, um nach der alten Welt, nach der Schweiz zurückzukehren.

Am südlichen Fuße des Jura, der mit seinen zackigen Felsen, seinen dunkeln Tannen- und hellen Laubwäldern einige Familienähnlichkeit mit den Alleghanies haben mag, in unmittelbarer Nachbarschaft der Solothurner Marmorbrüche befindet sich ein Häuschen von anspruchslosester Bauart; es ist hell getüncht, seine Jalousieläden grün gemalt; vor dem Hause ist ein Garten, welcher zwischen zwei Feldwegen wie ein Schiffsschnabel spitz ausläuft. Je bescheidener diese Wohnung, um so schöner ist ihre Lage, um so pompöser die Aussicht, die man von da genießt: das ganze Alpenpanorama sieht man vor sich ausgebreitet und im Vordergrund das freundliche, fruchtbare Aarthal, das lindenbekränzte Solothurn mit seinen zahlreichen Kirchen, Klöstern und Kapellen, Diesen stillen, abgelegenen Erdenwinkel hat Sealsfield, als er Amerika zum zweiten Mal den Rücken wandte, als Eigenthum erworben. Hier lebt er als Junggeselle, einsam, sich selbst genügend. Dem schattigen Walde zu lieb, der sich mit wenigen Schritten erreichen läßt, hat er seine Wohnung "unter den Tannen" genannt und diese Worte als Inschrift über seine Hausthüre setzen lassen. Sein letztes, längst begonnenes Werk konnte noch nicht zur Vollendung kommen; es sollte ein Abbild der öffentlichen und socialen Zustände Nordamerikas und ihrer Rückwirkung auf die alte Welt – zugleich gewissermaßen eine Fortsetzung und ein Abschluß der „Lebensbilder aus beiden Hemisphären“ – sein. Der ausbrechende Bürgerkrieg machte durch die Schlußcapitel einen Strich.

Mit tiefer Trauer sieht Sealsfield aus der Ferne zu, wie sein noch immer geliebtes Adoptivvaterland sich selbst zerfleischt, darauf verzichtend, die junge Saat zu schauen, die einst um so schöner auf dem vom giftigen Unkraute gesäuberten Gefilde sproßen wird,

Alfred Hartmann.


Warum ich betend vor Dir stehe?

Nimm’ nur ein Kind und stell’ es hin,
Wo Lilien und Rosen blüh’n,
Und sieh, wie es die Händchen faltet,
Weil ihm der liebe Gott drin waltet.

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Dann sieh’ mich an und denke nach,

Warum ich betend stehen mag,
Wenn sich vor Dir mein Auge feuchtet:
Weil Gott in Deinen Blicken leuchtet.

Carl Müller.

  1. Nach einer mündlichen Mittheilung Sealfield's.
  2. Factisch.
Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1864). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1864, Seite 55. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1864)_055.jpg&oldid=- (Version vom 14.2.2021)