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verschiedene: Die Gartenlaube (1864)

das Buch, „ein Heiliges Werk muß es sein, womit Pater Benedict den Bruch der Klostergesetze entschuldigt!“

„Jedes Buch,“ antwortete Jener mit seiner wohlklingenden Stimme, „das ein denkender Geist schrieb, ist heilig. Es ist Spinoza.“

„Spinoza!“ schrie der Prior auf. Dann warf er sich auf die Kniee, streckte die Arme gegen das Allerheiligste und rief: „Herr! gehe nicht in’s Gericht mit dem Frevler!“ Wieder sprang er empor und riß die Hand des Mönches vom Altar. „Entweihe nicht den Tisch des Herrn, Wahnsinniger! Ist es nicht genug, daß Du das ewige Licht zu gottverfluchten Studien mißbrauchtest?“

„Das wahre ewige Licht ist der Geist. Der Schimmer der Unsterblichkeit ist auch in diesem Buch; also nenn’ es nicht gottverflucht! Schlimm genug, daß ich heimlich wie ein Dieb, in Nacht und Finsterniß sehen lernen muß!“

„Den Atheismus trugst Du in’s Gotteshaus,“ donnerte Gregor. „Auf die Kniee, Kirchenschänder!“

„Ich wiederhole Dir, dies Werk ist nicht gottlos,“ entgegnete der Andere stolz. „Ich kenn’ es. Wer urtheilen will, der prüfe erst!“

„Willst Du den Index der Lüge zeihen? Ueber Spinoza und seine Lehre sprach der Papst den Bann.“

„Der Lüge nicht, aber des Irrthums.“

„Verruchter!“

„Und die Erde bewegte sich doch.“

Der Prior rang nach Athem. „Herr! Herr!“ stöhnte er, dann wies er hinaus auf den Himmel, der ganz in Feuer stand. „Fürchtest Du nicht den Zorn des Allmächtigen? Hörst Du seinen Donner nicht?“

„Ich vernehme den Ewigen überall in der Natur; nicht als Zorn, sondern als Gesetz. Aber gestatte mir, mehr noch als diese Entladung elektrischer Strömungen den Geist zu bewundern, der sie begreift!“

„Du hast den Stolz der Schlange; Du bist keiner der Unsrigen mehr, die Kirche lehrt Unterwerfung, unser Orden Demuth.“

Wie des Priors Augen im Zorn, flammten Benedictus’ Augen jetzt in Begeisterung auf. „Die Geschichte des menschlichen Gedankengangs ist die Weltgeschichte,“ rief er. „Wehe über euch, wenn ihr an den scholastischen Kreis glaubt, der ewig nur sich gebiert! Wehe, wenn ihr in neuer Zeit die Zungen des Mittelalters redet! Ich stehe zu euern Fahnen, aber Vorwärts rufe ich ihnen zu. Laßt uns Priester Denker sein, und unsere Kirche sieht abermals die Welt zu ihren Füßen!“

Wiederum ward es still zwischen Beiden. Ein Blick Gregor’s fiel durch das offene Fenster, unter dem der Fluß toste. Das erinnerte ihn an den zornigen See, aus dem er einst den Knaben Benedictus gerettet. Jetzt sieht er seinen Jugendgenossen im Strudel eitler Spekulation, der ihm grundlos wie die Hölle scheint. Und dahin kann er ihm nicht folgen, nur vom sichern Boden seines Glaubens zurufen: Rette Dich!

Er legte die Hand auf Benedict’s Schulter und sagte weich: „Freund, ich habe mir ein Recht auf Dich erworben. Denk’ an die Stunde, da ich mit eigener Todesgefahr Dich der Fluth entriß! Damals schon hattest Du den starren, eigenstolzen Sinn. „Noch nicht!“ war Dein erstes und einziges Wort. Beim Himmel, soll ich jene That bereuen? Soll ich Dein Leben gerettet haben, damit jetzt Deine Seele verloren geht? Nein, noch will ich sagen: Noch nicht! „Ich trage einen Dämon in mir,“ rief Paulus, „der mich nicht ruhen läßt? Dein Dämon ist der Hochmuth. Entsage der Welt und ihrer Eitelkeit, widme Dein Denken der Kirche und wirf dies unselige Buch in die Donau!“

„Ich hab’ Entsagung geübt,“ flüsterte Benedictus und unterm Rollen des Donners hörte er fern, fern das leise Weinen einer Frau. Dann hoch sich aufrichtend, sprach er ruhig, aber fest: „Mein Geist baut Tag und Nacht an unsrer Kirche, einer Kirche freilich, wie sie die Zukunft sehen wird. Dies Buch hier ist nur ein Stein, und wenn ich den jetzt auch verwerfe, wirst Du ihn doch in meinem Bau wiederfinden.“

Der Prior, den nach seinen fruchtlosen Versöhnungsversuchen der Zorn gedoppelt erfaßte, preßte krampfhaft Benedict’s Arm. „Mensch,“ sprach er mit heiserem Ton, „laß die gotteslästerlichen Bilder! Ich frage Dich: Hast Du das Herz, Deinem zweiten Vaterhaus, dem Kloster, und mir solche Schmach zu bereiten? So lang diese Mauern stehen, noch sahen sie keinen Abtrünnigen, und kein Aergerniß ging aus ihnen in die Welt. Soll ich, der Erste, sagen müssen, wir haben einen Eidbrüchigen unter uns?“

Benedictus ließ den Donner verhallen, dann erwiderte er: „Ich habe nie mein Herz befragt und nie geschont. Widerlege meinen Geist!“

„Wurm!“ schrie Gregor, im tiefsten Innern getroffen. „Kraft meines Amtes, als Dein Prior befehl’ ich jetzt: Wirf zum ersten Zeichen Deiner Reue dies Buch in die Donau!“

„Kraft seines Amtes,“ entgegnete der Andere bitter, „ließ Torquemada hunderttausend Andersdenkende verbrennen, und doch stand ein Luther auf. Giordano Bruno bestieg den Scheiterhaufen, aber sein Wort von der Einheit Gottes und der Welt lebte in Spinoza wieder auf. Das Wort hat Millionen Leben, und es ist mächtig in mir.“

„Ich werde Dich verstummen machen!“ knirschte der Prior.

„Ich wag’s,“ fuhr Benedict begeistert fort. „Die Natur kann donnern, der Mensch hat das Wort. In alle Welt will ich mein Vorwärts rufen. Morgen, von jener Kanzel, in die lauschende Gemeinde hinab sollst Du mich predigen und rufen hören: Vorwärts!“

„Das wolltest Du?“

„Morgen.“ – „Nie! nie!“ schrie der Prior auf. Und plötzlich schnellte er wie ein Tiger empor, hob und schwang Benedictus mit ehernen Armen und schleuderte ihn in furchtbarer Anstrengung, aber auch mit furchtbarer Kraft durch das Fenster. Er selbst brach dabei an der Brüstung zusammen, hörte einen kurzen Schrei und das Aufschlagen der Wellen … sie brausten über Benedictus …

Warum hält der Donner gerade jetzt seinen Athem an?

Warum jetzt nur das Rauschen der Donau? O, noch einen Hülferuf aus der Tiefe, Musik für Gregor’s Ohr! er würde hinabspringen, seinen Benedict zum zweiten Mal retten! Aber nur die Woge rauscht, wirbelt und zieht, zieht mit einem Todten in die Welt.

Ein Luftzug verlöscht in diesem Augenblick das Licht Gregor’s, das auf den Altarstufen brennt, und eine ferne Thür fällt in’s Schloß. Gregor schrickt zusammen, und dieser Schrecken tauft seine nachtgeborne That: Mord!

„Es ist geschehen. – Ich bin ein Mörder, vor Gott – – aber vor Niemand sonst. Der Fluß hat Benedict begraben, und mein Kloster bleibt vor Schande bewahrt.“

Er rafft sich auf und stößt dabei auf das Buch, das Benedict im entsetzlichen Augenblick entfallen ist. Gregor zittert bei seiner Berührung, dennoch vermag er es nicht in den Fluß zu werfen. Er verbirgt es unter seinem Scapulier.

Er will die Kirche verlassen, aber ihn schaudert vor der gähnenden Dunkelheit. So zündet er denn seine Kerze am ewigen Licht an, das niemals wieder auf Benedictus’ Gedankenwege glänzen wird.

Dann wankt er in’s Schiff hinab, verläßt die Kirche, die er, der Priester, entweiht. Ein scheuer, fluchbeladener Verbrecher, kehrt er in seine Zelle zurück, die er als strenger, gotteszuversichtlicher Richter verließ. Und so, gebrochen, lebensmüde, in Reuethränen zerfließend, wirft er sich vor dem Crucifix nieder und spricht das Todtengebet: „Et lux perpetua luceat ei! Und das ewige Licht leuchte ihm!“

(Fortsetzung folgt.)




Deutsche Volks- und Gedenkfeste.
1. Die Kinderzeche in Dinkelsbühl.

Wer je am Montag vor Margarethe Morgens zu den festlich geschmückten Thoren der ehemals freien Reichsstadt Dinkelsbühl – jetzt zu Baiern gehörig – einpilgert, der findet die ganze Stadt in freudiger Aufregung; denn „es ist heute Kinderzeche“ heißt es. Jede Arbeit ruht; straßenauf und ab wogt die Menge Einheimischer und Fremder, die schon Tags zuvor, in großer Anzahl sich eingefunden haben, und Alles harrt in gespannter Erwartung, bis der Umzug beginnt. Vom evangelischen Schulhause geht er

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verschiedene: Die Gartenlaube (1864). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1864, Seite 20. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1864)_020.jpg&oldid=- (Version vom 1.2.2023)