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verschiedene: Die Gartenlaube (1864)

könnt’, wie die Buchstaben auf der Tafel! … Ich hab’ Dir schon gesagt, Lipp, daß Du das nit verstehst!“

„Warum sollt’ ich’s nit verstehn? Meinst, ich wüßt’ gar nit, wie’s Einem um’s Herz ist bei der Lieb’?“

„Du?“ fragte Sabine und warf ihm einen Seitenblick zu, der ihm durch die Seele ging.

„Was fragst so besonders?“ rief er verwundert.

„Es ist nur …“sagte sie wie nach einigem Besinnen, „weil mir just eine Geschichte durch den Kopf geht – auch eine alte, eine vergessene Geschichte … von einem armen Weibsbild, das vor fünf Jahren in die Isar gesprungen ist, drüben in Walgau … Ein Flößer hat sie verführt gehabt und sich dann von ihr weggeleugnet … Willst wohl gehört haben von der Geschicht’? Hast ihn vielleicht selber gekannt, den schlechten Burschen, den Flößer?“

Lipp zuckte zusammen, biß die Zähne übereinander und erfaßte, daß es ungeachtet des immer tiefern Waldschattens sichtbar war. „Was weiß ich?“ sagte er barsch und doch unsicher. „Die Leut’ reden viel, wenn der Tag lang ist! Lassen wir die alten Geschichten ruhen, Du und ich – es ist Gras drüber gewachsen! Gieb dummer Einbildung nit nach – es könnt’ eine reuende Zeit kommen!“

„Niemals!“

„Ueberleg’ Dir’s doch! Ich hab’ mein’ ordentliches Sach’l bei einander – ich hab’s gut mit Dir im Sinn … Ueberleg’ Dir’s, Binl, und schlag’ ein!“

Er stand still und streckte die Hand aus; mit einer Gebehrde des Abscheus wies sie dieselbe zurück. „Ich hab’s schon gesagt!“ rief sie unwillig. „Ich nehm’ Dich nit und keinen Andern nit!“

„So, so …“ sagte er nach kurzem Schweigen. „Ich verstehe! Das heißt auf Deutsch … mich magst Du nit, Du hast was gegen mich … denn daß Du auch keinen Andern nehmen solltest … das ist ein Gered’! Das machst Du mir nit weiß! Es ist wohl schon öfter vorgekommen, daß sich Einer erstürzt oder daß ein Madel seinen Schatz verloren hat … deswegen aber ist die Welt nit ausgestorben, und noch eine Jede hat sich getröst’! . .. Wer kann für’s Unglück?“

„… Wenn’s aber mehr wär’, als ein Unglück?“

„Wie ist das gemeint?“

Die Beiden hatten nahezu die Höhe erreicht; der Wald ging zu Ende, und durch die letzten Bäume sah man die grüne Matte der Alm liegen und hörte das Glockenbimmeln der weidenden Rinder. „Wir wollen anhalten und ein wen’gel ausschnaufen,“ sagte das Mädchen. „Setz’ Dich dort auf den Marchstein hin … Ich will Dir Alles sagen, damit Du siehst, es ist mir Ernst … Es ist kein Unglück gewesen,“ setzte sie nach einer Weile leiser hinzu, „sondern ein Mord: der Gotthard ist nit hinuntergefallen über den Felsen … ein Anderer hat ihn hinuntergestürzt …“

Sie schwieg; auch der überraschte Zuhörer fand nicht gleich ein Wort der Erwiderung. „Aber woher weißt Du das?“ rief er dann verwundert. „Wer sollt’s gethan haben?“

„Der Gotthard,“ fuhr Sabine stockend fort, „hat sich das Kreuz gebrochen bei dem Sturz und das Genick … der Kopf ist fast unbeschädigt gewesen, und am Schlaf war ein kleines blutiges Mal … rundlich, fast nit größer als ein Groschen … ich hab’s dem Bader wohl gewiesen; er hat gesagt, das käm’ von einem zackigen Stein, an dem er sich aufgeschlagen hätt’ … Ich hab’s glauben müssen, aber es hat mir nit aus dem Sinn gewollt, als müßt’ das Wundmal von einem Schlagring sein, wie ihn die Burschen tragen … Es hat mir keine Ruh’ gelassen, und wie der Auswärts ’kommen ist und es ist aber (schneefrei) ’worden auf der Höh’ … wo er muß hinuntergestürzt sein, – da hab’ ich gesucht und gesucht … und hab’ im Gras, fast hart am Gewänd’, einen Schlagring gefunden … einen zerbrochenen…der Gotthard muß gerungen haben mit seinem Mörder … da muß ihm der einen Streich an den Schlaf gegeben haben … der Ring ist zersprungen von dem Streich … und der Gotthard ist damisch (betäubt) ’worden … und …“

Sie hielt inne, schluchzend und von einem wilden Schauder geschüttelt.

„Das ist verwunderlich,“ sagte Lipp; „aber wenn Du eine solche Vermuthung hast, warum hast Du’s nit lang schon angesagt am Landgericht?“

„Weil’s nichts nützen that … es wär’ ihnen nit genug, den Herrn, und wenn sie was thäten, das Ringel bringt den Mörder nit auf … unser Herrgott allein hat ihm zugeschaut in der unglückseligen Stund’, unser Herrgott allein kann ihn finden!“

„Was soll’s aber hernach mit dem ganzen Verdacht?“

„… Daß ich’s nit verwinden kann, daß er umgebracht worden sein soll … und der’s gethan hat und ihn auf dem Gewissen hat und mich dazu, der sollt’ herum geh’n unterm blauen Himmel und sollt’ frei ausgeh’n und nichts haben dafür? … Ich hab’ einmal gehört, ein Ermordeter hat keine Ruh’ im Grab’ und seine Seel’ kann nit fort von der Erden, bis der Mörder auch drunten liegt bei ihm … Mir ist immer, als wär’ der Gotthard um mich herum und thät mich mahnen, daß er nicht eingeh’n kann in die ewige Glückseligkeit … und ich mein’, ich müßt’ es noch erleben, daß ich ihm die Ruh verschaffen könnt’ … und drum will ich allein und ledig bleiben mein Leben lang …“

Der Bursche schwieg eine Weile wie überlegend; dann erhob er sich rasch. „Das ist mir zu rund!“ rief er. „Ich begreif’ nit, warum Du deswegen nit heirathen sollst … ein Mann könnt’ Dir doch helfen, wenn’s einmal wirklich auf was ankäm’ …

Also gerad’ heraus … Du willst wirklich nit heirathen, Binl?“

„Ich hab’s gelobt – weder Dich, noch einen Andern!“

„Und nochmal gerad’ heraus … ich glaub’s nit, Binl! Aber ich sag’ kein Wörtl mehr zu Dir … mit uns Zwei’ soll’s aus sein; aber merk’ Dir wohl, was ich sag … ich will Dir helfen, Deine Gelöbniß halten! Mich brauchst nit zu haben, Madel, aber daß Du auch keinen Andern nehmen sollst, dafür wird der Lipp sorgen – verlaß Dich darauf!“

Er schritt voraus die grasige Anhöhe hinan und der Hütte zu, um welche er einen Trupp Männer versammelt sah. Sabine folgte langsam und blieb, oben angekommen, steh’n, um einen Blick in die wundervolle Abendlandschaft zu werfen, die sich vor ihr aufthat. Im Westen, über die Möser und das Flachland hin, war die Sonne schon untergegangen; ein rothblauer Duft wogte wie Nebel auf der fernen Ebene. Näher heran, schwarz und schweigend stiegen die Bergrücken des Herzogenstands und der Jocheralm empor, den dunklen Walchensee umrahmend, der nur noch vom Wiederschein des Alpenglühens erglänzte, in das rückwärts der Karwendel die breite Felsenstirn emporstreckte. Die Röthe gemahnte das Mädchen wie Blut und das einbrechende Dunkel wie Grabestrauer: ihre Gedanken waren blutig und nächtlich.

(Fortsetzung folgt.)




Aus dem Leben deutscher Schauspieler.
Nr. 5. Der polnische Schreiber.

Vor dem Redactionslocale der Gazeta warszawska in Warschau trafen eines Vormittags zu gleicher Zeit drei Knaben zusammen, Jeder ein Zeitungsblatt in der Hand haltend, in welchem mit gesperrter Schrift zu lesen stand, es werde von der Redaction ein junger Mensch gesucht, der fertig und schön Polnisch, womöglich auch deutsch zu schreiben verstehe; der Posten trage fünf Thaler monatlich; Bewerber möchten sich persönlich beim Chefredacteur Krupski zu einer bestimmten Stunde melden.

Diese Stunde war eben jetzt, und die Drei gaben sich denn auch ohne Weiteres als Reflectenten auf die fragliche Stelle zu erkennen. An die erste Begrüßung, die von Seiten des Herrn Krupski sehr kurz war, schloß sich ein nicht viel längeres Examen, denn die beiden Aelteren wurden schon bei der ersten Frage zu leicht befunden. „Verstehst Du Deutsch?“ – an dieser Klippe scheiterte die Blüthe der polnischen Nation. Der Jüngste blieb allein übrig; – „na, verstehst denn Du deutsch?“ war auch hier die Einleitung, „Ja,“ die entschiedene Antwort. Dabei wurde aber der hoffnungsvolle Bewerber über und über roth, denn er sagte sich sehr wohl, daß zwischen Deutsch und Deutsch einiger Unterschied bestehe, und das seinige war durchaus nicht ohne Beigeschmack. Indessen

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verschiedene: Die Gartenlaube (1864). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1864, Seite 4. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1864)_004.jpg&oldid=- (Version vom 20.8.2021)