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verschiedene: Die Gartenlaube (1864)

Schlusse seines Gebets, warf noch einen traurig sehnsüchtigen Blick auf das Täfelchen und schritt den Kommenden entgegen. „Grüß’ Gott, Vetter!“ sagte sie; „brauchst keine Sorg’ zu haben. Es ist Alles verwahrt auf der Alm: der Bub’ ist bei den Geißen, und die Zwerger-Klar’l ist in der Hütten statt meiner.

„Aber was thust denn schon wieder da herunten in der Kluft?“ entgegnete etwas milder der Alte; „willst denn niemals gescheidt werden, Binl?“

„Gescheidt ist, wer thut was Recht ist!“ erwiderte das Mädchen und schritt neben den Männern her in den Wald; „und ich mein’, wenn ich für einen Abgestorbenen bet’, thu’ ich nur, was Recht ist …“

„Das thust nit! Alles hat sein Maß und Ziel!“ eiferte der Alte. „Das ewige Geflenn ist völlig sündhaft! Es macht den Todten … der Herr geb’ ihm die ewige Ruh! … nit wieder lebendig, und Du versitzest Dich drüber und wirst eine alte Jungfer!“

Das Mädchen schwieg und sah vor sich nieder in das Moos des Waldweges.

„Das muß ein End’ haben!“ rief der Alte weiter. „Und das Gescheiteste ist, Du kommst weg von dem Ort, wo Dich Alles an den Verstorbenen mahnt …“

„Der Ort macht’s nit aus!“ sagte sie traurig; „ich werd’ an den Gotthard denken, auch wenn mich gar nichts mahnen thät’ an ihn!“

„Was soll aber daraus werden? Schau, Binl, Du bist doch sonst so ein richtiges Leut – folg mir und mach’ ein End’! Wie ich Dich als ein kleines Dirnl herausgeholt hab’ aus Deiner Heimath in der Jachenau, da hab’ ich’s Deiner Mutter, meiner Schwester, versprochen, daß ich Dich halten wollt’ wie ein Vater sein Kind …“

„O – Du hast es gethan, Vetter!“ rief das Mädchen rasch mit einem dankbaren Seitenblick auf den Alten. „Du hast es wohl gethan – vergelt’s Gott tausendmal dafür!“

„So zeig’ mir’s auch und folg’ mir wie ein Kind! Ich hab’ Dir alleweil’ viel nachgegeben, vielleicht ein Bissel zu viel! Hätt’ ich nur gleich darein gezecht, wie das Gethu und das Gespenzel angegangen ist mit dem Jager – hab’s all meiner Lebtag gehört „Jagerblut und Bauernblut – thut niemals nicht beisammen gut!“ Aber der Gotthard war so weit ein ordentlicher Bursch’, gegen den sich nichts hat einwenden lassen, und Du bist vernarrt gewesen in ihn … wenn Du ihn nit bekommen hätt’st, ich glaub’, es wär’ Dir an’s Leben gegangen …“

Ein tiefer Seufzer hob die Brust Sabinens. „Das weiß unser Herrgott!“ flüsterte sie kaum hörbar; „es ist mir an’s Leben gegangen!“

„Ich hab’ also nachgegeben, hab’ Ja gesagt, die Hochzeit war schon vor der Thür … da macht der Tapp, der sonst auf den Bergen daheim gewesen ist, wie ich in meiner Taschen, einen Fehltritt, fallt über die lange Wand herunter und erstürzt sich! Du hast ihn seither betrauert wie eine rechtschaffene Wittib – aber Alles muß ein End’ haben, und weil ich ein alter Kerl bin, mit dem es auch bald und geschwind zu End’ gehen kann, so möcht’ ich meine Sachen alle in Ordnung wissen. Meinem Buben will ich das Gut übergeben, und Du sollst heirathen, und wenn Du mir folgen willst, brauchst Du nit lang’ zu suchen um einen Hochzeiter … Na, warum red’st nichts?“ fuhr er fort, als er einige Augenblicke auf eine Erwiderung gewartet hatte. „Bist doch sonst nit auf’s Maul gefallen, und fallt Dir jetzt kein Sterbenswörtl ein?“

„Davon wollen wir ein andresmal reden, wenn wir allein sind, Vetter …“

„Ah was! Vor dem Lipp brauchst’ Dich nit zu scheuen, den geht’s so nahe an wie mich und Dich … der ist Deinetwegen da!“

„Wegen meiner?“ erwiderte das Mädchen erstaunt und ließ einen ihrer finstern Feuerblicke nach dem Burschen hinüberblitzen, daß dieser, sonst reisegewandt und welterfahren, davon betroffen ward und nur mühsam hervorbrachte, daß er den weiten Umweg nicht gescheut habe, nur allein um sie zu sehen.

„Kurz und gut!“ fiel der Alte ein. „Er ist wieder von Wien zurück, hat ein schönes Geldl erlöst und auch sonst schon was Schönes zusammengebracht. Er will nit mehr Floßknecht bleiben, sondern einen eigenen Breterhandel einrichten, drüben in Walgau. Du gefallst ihm; was Du von mir mitkriegst, reicht gerad, daß Ihr recht schön anfangen könnt mit der Haushaltung und mit der Handelschaft – er ist also da und will um Dich anhalten, wie’s Brauch ist, und will Dich heirathen …“

„Ich dank’ schön für die Ehr’ und für die gute Meinung,“ erwiderte das Mädchen gelassen, „aber ich heirath’ nit!“

Der Alte war eben im Begriff, sich sein kurzes Pfeifchen anzuzünden, aber er vergaß das vor Staunen über des Mädchens Rede und stand wie unbeweglich, in der einen Hand das Pfeifchen, in der andern den glühenden Schwamm. „Nit heirathen?“ brachte, er endlich hervor. „Ja, Madel, was willst denn sonst?“

„… Ledig bleiben …“

Jetzt legte der Alte, wie sich besinnend, den Schwamm auf’s Pfeifchen, that ein paar tüchtig qualmende Züge und klappte dann kräftig das Deckelchen zu. „Ich geh’ da einen Seitenweg,“ sagte er paffend, „will im Buchenschlag ein Bissel nachschaun … Geh’ Du mit dem Madel, Lipp, red’ selber mit ihr, wirst wohl keinen Procurator brauchen dazu … mir ist das Gered’ zu dumm!“

Brummend verschwand er im Wald, das Paar ging eine Weile stumm nebeneinander her. Feierliche Stille waltete in dem grünen Dunkel, das oben an den Wipfeln sich in ein wiederscheinendes Abendroth verlor.

„Du hast es vom Vetter gehört, wie ich gesinnt bin mit Dir,“ sagte endlich der Bursche, etwas unsicher. „Was giebst mir für einen Bescheid, Binl?“

„… Ich hab’ ihn Dir schon gegeben,“ war die gleichgültige Antwort. „Ich heirath’ nit, Dich nit und keinen Andern nit.“

„Das ist aber doch übertrieben! Ich glaub’s wohl, daß Du den Jager so recht von Herzen gern gehabt hast … aber was nutzt es ihm, wenn Du Dich so hinunterkränkst wegen seiner? Er ist einmal todt.“

„Für mich nit, Lipp, er hat mein Herz mitgenommen und meine Hand! Wie er mir das Ringel da an den Finger gesteckt hat, hab’ ich’s ihm versprochen, daß ich nur ihn allein gern haben will mein Leben lang … er hat mein Wort mitgenommen unter die Erd’ … ich will’s ihm halten!“

„Du bist nit gescheidt! Das sind überspannte Sachen, die Du Dir selber einred’st … Das ist einmal nit anders in der Welt, als daß Eins dem Andern Platz machen muß! Und was wolltest denn lediger Weis anfangen in der Welt? Als ein alter Dienstbot’ herumfahren, wenn der Vetter einmal die Augen zumacht? Du könntest eine gemachte Frau sein, könntest es gut haben und glücklich sein.“

„Das ist Alles vorbei,“ unterbrach sie ihn rasch, „der Gotthard hat mein Glück mitgenommen und mein Herz und die Lieb’ dazu! Ich kann keinem Mannsbild mehr versprechen, daß ich ihn gern haben wollt’ … das ist nit mehr in mir … und lügen will ich nit am Altar, und will Keinen betrügen …“

„Einbildungen! Das giebt sich Alles mit der Zeit, wenn Du nur erst verheirathet bist!“

„Es ist unmöglich, Lipp – ich kann nit, es wär’ Dein und mein Unglück! Ich weiß wohl, Du verstehst mich nit, und der Vetter nit und Niemand nit! Es weiß ja kein Mensch außer mir, was das für eine Lieb’ gewesen ist zwischen dem Gotthard und mir – eine Lieb’ für die ganze Ewigkeit; so eine reine schöne gottgefällige Lieb’, wie von den Engeln im Himmel droben! Kein Mensch außer mir weiß, wie glücklich ich gewesen bin … selbigesmal am letzten Abend, wo er mir das Ringel gegeben hat und nur noch vierzehn Tag’ hin waren bis zu der Hochzeit … Drum weiß auch außer mir kein Mensch, was ich verloren hab’ … und was ich ausgestanden hab’, wie sie hereinkommen sind, Alle käsbleich … mit der Botschaft, der Gotthard hätt’ sich erstürzt … wie ich mich losgerissen hab’, weil sie mich haben halten wollen – wie ich hinaus bin und hab’ ihn liegen sehn vor mir … maustodt … in seinem Blut … zerschmettert … kaum mehr zum Erkennen …“

Von der Wucht der Erinnerung überwältigt, mußte sie innehalten, Thränen erstickten ihre Stimme.

„Ich glaub’s wohl,“ sagte Lipp nach einer beklommenen Pause, „daß es Dich hart getroffen hat … aber die Zeit ist das beste Pflaster … Es ist am besten, man vergißt, was doch nit mehr zu ändern ist …“

„Vergessen!“ rief das Mädchen mit wildem Hohne. „Als wenn man sich das nur so anschaffen und die Erinnerung wegwischen

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verschiedene: Die Gartenlaube (1864). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1864, Seite 3. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1864)_003.jpg&oldid=- (Version vom 20.8.2021)