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Verschiedene: Die Gartenlaube (1863)

Hanseatische Bundescontingente. Die Gegenwart eilt wieder im Sturmschritt anscheinlich in weiter Ferne aufgesteckt gewesenen Zielen entgegen, und wieder haben wir eine Zeit, in welcher der Geschäftsgang des Bundestags in Wochen jahreweit überholt wird. An Commissionen zur Untersuchung und Beplanung norddeutscher Küstenbefestigungen hat es zwar nicht gefehlt, es ist sicherlich auch Einiges darüber geredet, geschrieben und gezeichnet worden, nur geschehen ist nichts. In bandwurmartigen Verhandlungen mit Dänemark verschleppte sich die Thätigkeit der hohen Versammlung, und schon war eine Executions-Armee bis zum Abmarsch fertig, ohne daß deshalb für einen etwaigen Kriegsfall und etwaige Blokirung oder Beschießung und Brandschatzung offener und waffenloser deutscher Seestädte auch nur die geringste Vertheidigungsvorkehr getroffen worden wäre, als der Tod Friedrich’s VII. und die Thronbesteigung des Protokoll-Königs Christian IX. die Lage Schleswig-Holsteins, aber auch die Deutschlands total ändert und uns den Krieg, den wirklichen, wahrhaftigen, nicht den Feder- und Rednerbühnenkrieg, vor die Thore führt.

Möglich, daß wenigstens die deutschen Seestädte abermals ein „Zu spät!“ zu büßen haben, immerhin ist es aber nöthig, Gedanken jetzt laut auszusprechen, die vielleicht noch rasch zur That werden können. In Bremen ist zuerst die Ansicht geäußert worden, daß es für die Hansestädte zweckmäßiger wäre, wenn von Bundeswegen ihnen gestattet würde, ihre Contingente in Küstenvertheidigungstruppen umzugestalten. Es würde sich die äußerst nothwendige Küstenbefestigung alsdann von selbst verstehen, aber, als Bundessache, nicht den einzelnen Städten als eigene Last allein aufgebürdet, sondern von ganz Deutschland mit getragen werden. Ueber die Befestigungsweise müßten jedoch die Städte wohl gehört werden, und das würde sie für künftig vor Fortificationen bewahren, wie die hannöversche ist, welche Bremerhaven beschützen soll.

Ein ausgezeichneter Fachmann, der jenen Thurm und seine Umgebung in den jüngsten Tagen gerade in fortificatorischer Hinsicht musterte, sprach als seine entschiedene Ueberzeugung aus, daß es bei der ersten Annäherung einer feindlichen Flotte vor der Wesermündung für Bremerhaven nur ein Sicherungsmittel gebe: den Thurm sofort niederzureißen, weil er genau so angelegt sei, daß für alle Schüsse von den Kriegsschiffen, die den Thurm fehlen, Bremerhaven den Kugelfang bilde.

Es wird nun doch endlich gelten, die so lange von den Fachmännern mit eben so großer Begeisterung erfaßten, als mit Hartnäckigkeit zurückgewiesenen schwimmenden Revolverbatterien Wilh. Bauer’s wenigstens einer Probe zu würdigen. Wie wir hören, hat ein deutscher Edelmann die Mittel hergegeben, um die Bauer’schen Revolverbatterien im Modell herzustellen. Es wird sicherlich, nach der Prüfung des Modells, die Ausführung solcher Batterien auch in unseren Hansestädten nicht lange auf sich warten lassen. Eine bildliche und beschreibende Darstellung schwimmender Revolverbatterien hat Hr. Bauer der Gartenlaube zugesagt.





Sänger-Wahlspruch. Von verschiedenen Gesangvereinen ist neuerdings beschlossen worden, wie bei den Turnern einen viergliederigen Wahlspruch anznnehmen. Von einigen wurde als Symbolum: Leben, Liebe, Lust und Leid, von anderen wieder: Lenz, Licht, Liebe, Leben vorgeschlagen. Einer dieser Singvereine, der Halberstädter, hat sich die Sache schon früher folgendermaßen zurechtgelegt:

Lied und Liebe, Licht und Leben,
Sängerspruch – froh, fromm und frei!
Deutsches Lied bei deutschen Reben,
Deutsche Liebe, – deutsche Treu. –
Licht der Wahrheit, Licht und Leben,
Freies Leben, – Vaterland!
Lied, Licht, Leben, Liebe weben
Schwarzrothgold das Sängerband!





Der mißhandelte Schiller. Es hat sich erfüllt, das Wort, welches Goethe seinem großen Freunde in das vorzeitige Grab nachgerufen: „Das, was das Leben unserm Schiller nur halb ertheilt, die Nachwelt hat es ganz gegeben“ – die begeisterte, unentreißbare Verehrung seines Volkes. Er ist der Nationaldichter, und seine Werke, in Hundert- und Aberhunderttausenden von Exemplaren über den ganzen civilisirten Erdkreis verbreitet, sind das unvergängliche Geisteseigenthum der Nation geworden. Allein trotzdem müssen wir noch immer auf die Gewährung des gerechten Wunsches, einen solchen Dichter in unverfälschten und unbeschnittenen Ausgaben lesen zu können, vergeblich warten, und auch Jakob Grimm’s Mahnung, uns den wahren Urtext der Schiller’schen Dichtungen nicht länger vorzuenthalten, ist an der maßgebenden Stelle ungehört verhallt! Wird es aber nicht endlich einmal Zeit, jetzt, wo der unvergeßliche schon mehr als achtundfünfzig Jahre von uns gegangen ist, daß wir uns an seinen Werken erfreuen, so wie sie seinem Feuergeiste entquollen, daß wir einen Don Carlos erhalten, in dem auch die nachstehenden Verse nicht fehlen, die in der ersten Handschrift, wie wir hören, der Prinz dem Dominicaner in’s Gesicht schleudert und die bis jetzt in keine der mannigfachen Ausgaben der Schiller’schen Dichtungen aufgenommen worden sind.

     ...Ich kenne Dich!
Bist Du nicht der Dominicanermönch,
Der in der fürchterlichen Ordenskutte
Den Menschenmäkler machte? Bin ich irre?
Bist Du es nicht, der die Geheimnisse
Der Ohrenbeicht’ um baares Geld verkaufte?
Bist Du es nicht, der unter Gottes Larve
Die freche Brunst im fremden Ehbett löschte,
Den heißen Durst nach fremdem Golde kühlte,
Den Armen fraß und an dem Reichen saugte?
Bist Du es nicht, der ohne Menschlichkeit,
Ein Schlächterhund des heiligen Gerichts,
Die fetten Kälber in das Messer hetzte?
Bist Du der Henker nicht, der übermorgen
Zum Schimpf des Christenthums das Flammenfest
Des Glaubens feiert und zu Gottes Ehre
Der Hölle die verfluchte Gastung giebt?
Betrüg’ ich mich? Bist Du der Teufel nicht,
Den das vereinigte Geschrei des Volks,
Des Volks, das sonst an Henkerbühnen sich
Belustigt und an Scheiterhaufen weidet,
Den das vereinigte Geheul der Menschheit
Aus dem verhaßten Orden stieß?





Ein neues Andenken an das Leipziger Octoberfest. Zu den glorreichsten Episoden des großen Sieges von Leipzig zählt unbestritten die Heldenthat des Major Friccius, der mit seiner Königsberger Landwehr das äußere Grimmaische Thor stürmte. Wie wir neulich unsern Lesern mittheilten, hat der bekannte Geschichtsmaler Bleibtreu diese bedeutsame Scene in einem trefflichen Gemälde festgehalten. Neuerdings ist der nämliche Moment von Rechlin gemalt und von Riedel in Königsberg das Bild photographirt worden. Möchten wir nun auch, was künstlerische Auffassung und pittoreske Gruppirung angeht, dem Bleibtreu’schen Kunstwerke den Vorrang zugestehen, so ist dagegen auf dem immerhin sehr wackern Rechlin’schen Bilde das Local selbst und, wie uns dünkt, zugleich der ganze Vorgang wahrheitsgetreuer wiedergegeben. Wir glauben daher, die Photographie, welche zu dem Preise von 20 Neugroschen im Wege des Buchhandels erwerblich ist, als ein weiteres und nachträgliches Andenken an eine große Zeit und eine herrliche Jubelfeier derselben mit gutem Gewissen empfehlen zu können.




Die Redaction der Gartenlaube verdankt der Freundlichkeit des Herrn Professor Fechner (Mises) eine Anzahl von Räthseln und Charaden und macht es sich zum besondern Vergnügen, dieselben als Proben aus einem beabsichtigten zweiten Bändchen von des geistvollen Mises trefflichem „Räthselbüchlein“ nach und nach ihren Lesern mitzutheilen, überzeugt denselben damit eine sehr willkommene Gabe zu bieten.

Sylbenräthsel.

Die Erste heißt lateinisch hinten;
Doch deutsch bewegt sie sich nach vorn;
Die Andre ist stets vorn zu finden,
Als Schmuck und Waffe für den Zorn;
Das Ganze ist bald vorn, bald hinten,
Schweigt hinten und spectakelt vorn.




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