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Verschiedene: Die Gartenlaube (1863)

in Gesellschaft einer mir befreundeten, als Schriftstellerin wohlbekannten Dame, einer zwar nervenschwachen, aber willensstarken Frau, auf deren Angaben ich mich unbedingt verlassen konnte. Auch sie behauptete, mich zu sehen, jedoch nur dann, wenn ich ihr mit dem Gesicht sehr nahe kam, und auch sie nahm unwillkürlich den Tastsinn zu Hülfe, bevor sie Aussagen machte.

Am Bergkrystall wollte sie ein schwaches Leuchten bemerken. Sie sagte jedoch, die Lichterscheinungen seien so unsicher, daß es ihr vorkäme, als käme das Licht eher aus ihren eigenen Augen, als aus den vorgelegten Körpern. Reichenbach war über den Ausfall dieser Versuche nicht sehr erbaut; er meinte, daß die Dame zwar sehr stark gefühlssensitiv, doch nur sehr schwach gesichtssensitiv sei und daß ihr Nervensystem zu sehr durch ihren Verstand beherrscht würde.

Eines Abends traf ich eine Anzahl Damen und Herren in der dunkeln Kammer. Mit einem Herrn machte ich Versuche über das Leuchten der Hände. Er konnte mir keine sicheren Angaben über die Bewegungen derselben machen und sagte, daß der Lichtschein oft auf derselben Stelle haften bleibe und in der Stärke sehr wechsle. Plötzlich rief er: „Jetzt sehe ich Ihre Hand sehr deutlich.“ Ich ersuchte ihn, danach zu fassen. Er that das und – griff in die Luft. Ich hatte beide Hände in den Taschen!

Versuche mit einer Dame hatten keinen besseren Erfolg. Reichenbach unterbrach schließlich mein weiteres Experimentiren mit den Worten: „Hören Sie auf! Sie machen mir durch Ihr vieles Fragen meine Sensitiven confus.“ Das veranlaßte mich, von weiteren Experimenten abzustehen und ein stummer Zeuge von Reichenbach’s Versuchen zu bleiben. Dieser ließ u. A. die linken Hände mehrerer Damen an einen Holzstab legen, dessen Spitze dadurch odleuchtend werden sollte. Wirklich wollten zwei Damen auf der Spitze Odlicht sehen, drei andere jedoch nicht.

„Was! Sie sehen es nicht? Frau N. N.!“ rief eine der ersten. „Sehen Sie nur genau hin! Sie müssen es sehen!“

„Ja, jetzt sehe ich’s auch,“ antwortete Frau N. N.

Nach dieser Sitzung vergingen mehrere Wochen, ohne daß ich mich um Reichenbach’s Versuche kümmerte. Indessen lud er mehrere der hervorragendsten Naturforscher Berlins zu einer Sitzung ein, in welcher er die Gefühlserscheinungen der Sensitiven durch Versuche erläutern wollte. Ich erhielt von den Ergebnissen dieser Sitzung Kunde durch einen gedruckten Bericht, der jetzt den zweiten Abschnitt seines neuesten Werkes „Odische Begebenheiten in Berlin“ bildet. Nach diesem Berichte fielen mehrere Versuche zu Reichenbach’s Gunsten aus, andere jedoch, die Herr Professor Dove anstellte, entschieden ungünstig. So unterschieden die Sensitiven durch den Geschmack zwei Gläser Wasser, von denen das eine in der rechten, das andere in der linken Hand zehn Minuten gehalten worden war, ebenso durch das Gefühl zwei in gleicher Weise gehaltene Knäuel Garn, die Odausströmungen der rechten und linken Hand etc. Dagegen waren ihre Angaben über die Empfindungen, die der Nord- und Südpol eines gewöhnlichen Magneten, eines Elektromagneten und eines Magneten mit Zwischenpolen verursacht, schwankend, unsicher und widersprechend.

Wie schon erwähnt, habe ich diesen Versuchen nicht beigewohnt. Ich bemühte mich aber, dieselben mit mehreren unbefangenen gebildeten Damen, die ich schon seit Jahren kenne, zu wiederholen. Diese Damen sind, nach der von Reichenbach angegebenen Probe zu urtheilen, sämmtlich sensitiv; eine ist darunter, die früher genachtwandelt hatte. Letztere glaubte zwei Gläser Wasser, von denen das eine in der rechten, das andere in der linken Hand gehalten worden war, unterscheiden zu können. Das rechte sollte angenehm säuerlich kühl, das linke fade laulich schmecken. Da fiel mir die bekannte Behauptung ein, daß man mit verbundenen Augen Weißwein nicht von Rothwein unterscheiden könne. Ich verband der Dame die Augen und gab ihr abermals zu kosten. Ihre Angaben waren jetzt unsicher und widersprechend.

Bei den übrigen Damen gaben die Versuche mit zwei Gläsern Wasser, zwei Knäueln, einem Turmalin etc. negative Resultate, d. h. sie waren nicht im Stande, in der Wirkung dieser Körper auf den Geschmack oder das Gefühl Unterschiede zu finden. Alle bisher von mir geprüfte Sensitive empfanden die Bewegung meines rechten Zeigefingers über den Handteller hinweg in der rechten wie in der linken Hand gleich unangenehm, während nach Reichenbach das Gefühl in der linken ein angenehm kühliges sein soll. Ich sehe diese Versuche keineswegs als entscheidend an, ich führe sie nur an, um zu zeigen, daß es mir trotz meines Interesses zur Sache nicht gelang, Ergebnisse zu erzielen, die denen Reichenbach’s entsprachen.

Nachdem Reichenbach wochenlang mit seinen Sensitiven Voruntersuchungen in der Dunkelkammer gemacht hatte, lud er auf’s Neue die bedeutendsten Männer der Wissenschaft zu einer Sitzung ein, in welcher er die Existenz der odischen Lichterscheinungen nachweisen wollte. Es folgte jedoch nur ein einziger dieser Einladung; außer diesem waren noch drei fremde Herren und ich als Zeugen anwesend. Obgleich die Versuche, die in dieser Sitzung gemacht wurden, wochenlang vorbereitet waren, gingen sie doch keineswegs besser und waren keineswegs überzeugender für mich, als die der ersten Sitzung, welcher ich beigewohnt hatte.

Der Modus dieser Versuche war der, daß Reichenbach irgend einen Gegenstand ergriff, denselben den Sensitiven mit der Frage vorlegte, ob sie etwas sähen, und ihn nach der bejahenden Antwort derselben uns mit den Worten: „Sie sehen also, meine Herren, das und das leuchtet,“ zu weiteren Versuchen übergab. So behaupteten die Sensitiven ein Glas Wasser beim Umschütteln leuchten zu sehen. Dabei hielt aber Reichenbach das Glas in der Hand, die nach seiner Angabe ja auch odisch leuchten soll.

Auch eine tönende Glocke wollten sie sehen. Als ich ein Tuch zwischen ihre Augen und die Glocke ausspannte, sagte eine der Sensitiven: die Glocke sei jetzt unsichtbar. Ich senkte darauf das Tuch so weit, daß sie wieder gesehen werden mußte, wenn sie überhaupt sichtbar war. Dennoch wollte sie auch jetzt noch niemand sehen. Gleichzeitig fühlte ich jedoch an meinem Tuche ein Zupfen und packte ein Paar Hände. Die Sensitiven hatten, bevor sie antworteten, herumgetastet, das Tuch gefühlt und in dem Glauben, daß dasselbe noch die Glocke verdecke, diese für unsichtbar erklärt. Dieser Versuch zeigt wieder die bei allen mir bekannten Sensitiven herrschende Neigung, durch Herumtasten sich, bevor sie antworten, von der Wahrheit ihrer vermeintlichen Beobachtungen zu überzeugen. Von den übrigen Versuchen – Bewegungen mit leuchtenden Händen, mit den Armen an der Mauer entlang, erwähne ich nur, daß sie nicht besser ausfielen, als die oben beschriebenen. Reichenbach war über das schlechte Gelingen derselben nicht sehr erbaut. „Ja, ja,“ sagte er, „in meiner Hand gelingen die Versuche immer, bei fremden Herren selten oder nie.“

So endete der letzte Abend in der Dunkelkammer und mit ihm Reichenbach’s odische Thätigkeit in Berlin. In dem Berichte darüber heißt es: Drei der Anwesenden erklärten sich befriedigt und von der Existenz des Odlichtes überzeugt, „die beiden Andern habe ich inzwischen nicht wieder gesprochen.“ Ich, der ich zu diesen Zweien gehöre, war leider durch die genannten Versuche nicht überzeugt, im Gegentheil, während ich vor meiner Bekanntschaft mit den Reichenbach’schen Versuchen die Existenz des Odlichtes für möglich hielt, mußte ich jetzt dieselbe auf das Stärkste bezweifeln.

In den einzelnen Fällen, wo ich den Charakter und die Unbefangenheit der beobachtenden Damen genau kannte, glaube ich allerdings, daß dieselben Lichterscheinungen gehabt haben können. Diese Lichterscheinungen sind aber höchst wahrscheinlich subjective gewesen, das heißt solche, welche nicht von Gegenständen der Außenwelt, sondern von physiologischen Vorgängen im menschlichen Körper herrühren, ähnlich wie ja auch dem Ohrenklingen keine äußerliche Schallquelle zu Grunde liegt. Drückt man z. B. im Finstern auf den Augapfel, so sieht man ein helles Licht; schlägt man darauf, so ist es einem, als wenn Feuer aus den Augen spränge. Aehnliche Empfindungen hat man bei heftiger Anstrengung des Auges, bei Blutandrang etc. Bei nervenreizbaren Personen, wie die Sensitiven sämmtlich sind, werden offenbar diese subjectiven Lichtempfindungen viel häufiger und stärker auftreten, als bei anderen Menschen.

Wer nun die Ursache dieser Lichterscheinungen nicht kennt – und das ist gewiß bei der großen Mehrzahl der Sensitiven der Fall – ist leicht geneigt, dieselben auf Vorgänge in der Außenwelt zu beziehen. Diese Umstände scheint Reichenbach ganz außer Acht gelassen zu haben. In seinem dicken Buche „Der sensitive Mensch“ findet sich nur eine kurze Erwähnung der subjectiven Lichterscheinungen, indem er dieselben als „odisches Augenleuchten“ erklärt. – –

Zum Schluß erlaube ich mir, die Erfahrungen, welche zwei andere Beobachter, Dr. Aubert in Breslau und Dr. Oppel in Frankfurt a. M., neuerdings in der Dunkelkammer gemacht haben, hier anzureihen. Ersterer hat sich im dunkeln Zimmer oft stundenlang aufgehalten und dabei fortwährend intensive subjective Lichterscheinungen wahrgenommen. Er giebt an, wie sehr man geneigt sei, diese auf Gegenstände

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1863).Leipzig: Ernst Keil, 1863, Seite 635. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1863)_635.jpg&oldid=- (Version vom 7.1.2019)