Seite:Die Gartenlaube (1863) 591.jpg

Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Verschiedene: Die Gartenlaube (1863)

Sind die Erben nicht auf bestimmte Quoten der Verlassenschaft, oder auf bestimmte Summen oder Sachen eingesetzt, so erhalten Alle gleiche Theile. Nachlaßgegenstände, über welche im Testament keine Verfügung getroffen worden ist, fallen an die gesetzlichen Erben, auch wenn diese im Testament bereits bedacht sind.

Die Erbeinsetzung kann entweder mit oder ohne Bedingung geschehen und zwar ersteren Falles mit einer aufschiebenden oder auflösenden Bedingung, d. h. der Testirer kann verordnen, daß der Erbe den Nachlaß erst bei Eintritt einer gewissen Handlung oder eines gewissen Ereignisses erwerben oder wieder verlieren soll. Ich kann z. B. testiren: „Zum Erben meines Nachlasses ernenne ich hiermit N. N. unter der Bedingung, daß er ½ Jahr nach meinem Tode in meiner Vaterstadt seinen bleibenden Wohnsitz aufschlägt,“ oder „unter der Bedingung, daß er das von ihm betriebene Fabrikgeschäft fortführt.“

Wenn der angesetzte Erbe im ersteren Fall innerhalb eines halben Jahres in des Testators Vaterstadt nicht übersiedelt, so erwirbt er die Erbschaft nicht, und läßt er letzteren Falles nach Erwerbung derselben das Fabrikgeschäft eingehen, so verliert er sie wieder.

Wer bekommt aber die Erbschaft, wenn sie der eingesetzte Erbe nicht erwirbt oder wieder verliert? In beiden Fällen die gesetzlichen Erben, wenn nicht im Testament anderweite Bestimmungen deshalb getroffen worden sind. Dieselben müssen dann aber die sonst gültigen Verfügungen des Testators erfüllen.

In der Wahl seiner Erben ist man im Allgemeinen unbeschränkt. Doch giebt es gewisse Personen, welche der Testirer von seinem Nachlaß nicht willkürlich ausschließen darf, die einen bestimmten Theil des Nachlasses – den Pflichttheil – zu fordern berechtigt sind – die sogenannten Notherben. Sind solche Erben im Testament gänzlich übergangen, oder ist ihnen nicht so viel ausgesetzt worden, als ihnen gesetzlich zukommt, so können sie das Testament anfechten und aus dem Nachlaß des Erblassers den Pflichttheil voll verlangen. Im Uebrigen wird aber das Testament durch eine solche Anfechtung nicht ungültig.

Notherben sind 1. Abkömmlinge (Kinder und Kindeskinder), 2. Eltern und Voreltern, 3. Ehegatten; letztere zugleich mit den beiden ersteren Classen, Eltern und Voreltern aber nur, wenn keine Abkömmlinge als Notherben vorhanden sind.

Geschwister haben kein Notherbrecht, können daher vom Testator in seinem letzten Willen ganz unberücksichtigt bleiben.

Der Betrag des Pflichttheils für die einzelnen Classen der Notherben ist nicht überall in Deutschland gleich. In Sachsen ist er für Abkömmlinge, wenn vier oder weniger Kinder des Erblassers vorhanden sind, der dritte Theil des Nachlasses, bei fünf oder mehr Kindern die Hälfte. Hinterläßt man z. B. sechs Kinder und beträgt die Verlassenschaft 6000 Thaler, so beträgt der Pflichttheil der Kinder 3000 Thaler, mithin der eines Kindes 500 Thaler. Für Eltern und Voreltern ist der Pflichtteil 1/3 des Nachlasses, für den Ehegatten 1/4, 1/3 oder 1/2, je nachdem er mit Abkömmlingen, oder Eltern oder Geschwistern und Geschwisterkindern, oder entfernteren Seitenverwandten erbt.

Will Jemand seinen Notherben nur den gesetzlichen Theil aus der Verlassenschaft zuwenden, so genügt es im Testament zu sagen, daß N. N. den Pflichttheil erhalten solle. Setzt er ihnen weniger aus, als sie bei der gesetzlichen Erbfolge erhalten haben würden, so ist es jedenfalls zweckmäßig, im Testament ausdrücklich zu verordnen, daß derjenige, der mit dem ihm beschiedenen Erbtheil nicht zufrieden sein und Streit gegen das Testament erregen würde, auf den Pflichttheil gesetzt sein solle und sich dann auf diesen alles das einrechnen lassen müsse, was er von dem Erblasser bereits bei dessen Lebzeiten erhalten und was von den Gesetzen als „einwerfungspflichtig“ anerkannt wird, z. B. was ihm zu Gründung eigenen Hausstandes, zur Ausstattung, Loskaufung vom Militair etc. gewährt worden ist.

Soll ein Notherbe gar nichts aus dem Nachlaß erhalten, so muß er ausdrücklich enterbt werden. Eine solche Enterbung ist aber nur in den gesetzlich gestatteten Fällen zulässig, z. B. wenn der Notherbe dem Erblasser nach dem Leben getrachtet hat. Die Enterbungsgründe sind übrigens nicht allenthalben gleiche. Wer daher eine Enterbung verfügen will, muß sich genau unterrichten, ob er hierzu auch einen triftigen Grund hat.

Nur wer bei dem Tode des Erblassers lebt – wenn auch noch im Mutterleib – kann dessen Erbe werden.

Mit dem Tode des Erblassers gilt die Erbschaft dem Erben als angeboten, „angefallen“. Wirklicher Erbe wird man aber erst durch die bestimmte Erklärung, daß man die Erbschaft annehmen, „antreten“ wolle, oder durch Handlungen, die diesen Willen unzweifelhaft bekunden, wie etwa durch Auszahlung von Vermächtnissen.

Wer den Erbanfall erlebt hat, aber vor Antretung der Erbschaft verstorben ist, vererbt sein Recht auf letztere wieder auf seine Erben, dafern – eine anderweite testamentarische Bestimmung nicht entgegensteht.

Gezwungen ist Niemand eine ihm angefallene Erbschaft anzutreten, die Annahme derselben kann beliebig verweigert, ausgeschlagen werden.

Ein sorgfältiger Testator muß daher die Fälle wohl im Auge haben, daß der eingesetzte Erbe die Erbschaft entweder nicht antreten kann (wenn derselbe vor dem Anfall gestorben ist) oder nicht will. Er wird sich also für diese Fälle einen oder mehrere andere Erben, sogenannte Nacherben ernennen.

Ein Testament errichten kann man nur in Person, ein Anderer darf nicht für Jemanden auf dessen Todesfall letztwillig verfügen. Doch dem Vater steht es kraft seiner väterlichen Gewalt frei, für seine Kinder eine letztwillige Verfügung für den Fall zu treffen, daß sie versterben sollten, bevor sie das zur Testamentserrichtung erforderliche Alter haben, oder daß sie wegen Geisteskrankheit unfähig sind, selbst zu testiren.

Ein solches Testament wird aber sofort ungültig, wenn das Kind das testamentsfähige Alter (14 Jahre) erlangt hat, oder von der Geisteskrankheit genesen ist, gleichviel ob es nun testirt oder nicht.

Jedes Testament bedarf zu seiner Gültigkeit einer bestimmten, gesetzlich vorgeschriebenen Form. Man unterscheidet in dieser Beziehung gerichtliche und außergerichtliche Testamente, je nachdem sie mit oder ohne richterliche Mitwirkung errichtet sind.

Die außergerichtliche letztwillige Verfügung muß vor einer bestimmten Anzahl Zeugen (meistens sieben) errichtet werden, sei es, daß der Testator seinen letzten Willen vor diesen Zeugen mündlich ausspricht, oder daß er ihnen eine vorher niedergeschriebene Urkunde als sein Testament vorlegt und von ihnen mit unterschreiben läßt. Nicht Jedermann kann Testamentszeuge sein, z. B. nicht Taube, Stumme, Blinde, Frauenspersonen, Unmündige. Die Zeugen müssen während der Errichtung des Testamentes fortwährend gegenwärtig und ausdrücklich davon unterrichtet worden sein, daß sie als Testamentszeugen fungiren sollen. Der ganze Act der Testamentserrichtung muß ununterbrochen vor sich gehen, er darf nicht ausgesetzt und während desselben dürfen nicht anderweite Geschäfte von dem Testirer oder den Zeugen vorgenommen werden.

Wegen dieser und noch mancher anderer Formalitäten, von denen die Gültigkeit des außergerichtlichen Testamentes abhängt, ist daher stets die Errichtung eines gerichtlichen Testamentes vorzuziehen, welches an weit einfachere Formen geknüpft ist.

Ein solches kann man errichten entweder mündlich oder schriftlich und zwar sowohl an Gerichtsstelle oder vor einer herzuerbetenen Gerichtsdeputation in der Privatwohnung.

Das mündliche Testiren besteht darin, daß man vor dem Richter seinen letzten Willen deutlich erklärt und dieser ein Protokoll darüber aufnimmt, welches dem Testirer vorgelesen und von ihm genehmigt werden muß. Dieses Protokoll oder eine auf dessen Grund ausgefertigte Testamentsurkunde wird sodann im Testamentsarchiv niedergelegt und dem Testirer über die erfolgte Niederlegung ein Schein ausgestellt.

Schriftlich testirt man, wenn eine bereits schriftlich abgefaßte letztwillige Verfügung, in der Regel in einem versiegelten Couvert dem Richter übergeben, von diesem zur Niederlegung im Testamentsarchiv angenommen und hierüber ein Protokoll aufgenommen wird.

Will ein Stummer testiren, so muß er sich wenigstens schriftlich oder durch einen verpflichteten Dolmetscher verständlich machen können.

In ganz besonderen Fällen können außergerichtliche Testamente auch mit sehr geringen Förmlichkeiten errichtet werden; dies gilt namentlich in Zeiten epidemischer Krankheit für Personen, die davon befallen sind, für Militärpersonen im Felde und für Eltern, die lediglich unter ihren Abkömmlingen testiren. Die verschiedenen Landesgesetze haben über diese Förmlichkeiten nicht ganz gleiche Bestimmungen, doch genügt es meistens, daß der letzte Wille vor zwei oder drei Zeugen ausgesprochen, oder in einer von dem Testirer eigenhändig geschriebenen oder wenigstens von ihm unterschriebenen Urkunde niedergelegt wird.



Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1863).Leipzig: Ernst Keil, 1863, Seite 591. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1863)_591.jpg&oldid=- (Version vom 7.1.2019)