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Verschiedene: Die Gartenlaube (1863)

der Persönlichkeiten, welche hier ein- und ausgegangen sind, welche hier gescherzt, gelacht und in den ernsthaftesten Gesprächen zusammengehalten haben, so kann man sich eines Gefühls der Ehrfurcht nicht erwehren. In der That hat auch dieses Haus, als es von der Jakoby’schen Familie verlassen wurde, seine Anziehungskraft nicht verloren. Ferdinand Hiller mietete sich hier einst eine Stube, wo er componirte. Später wohnte Adolph Schrödter eine Zeitlang in dem Hause, und gegenwärtig lebt Frau Anna Ritter, die Wittwe des geistvollen Malers Henry Ritter, in diesen Räumen.

Aber wir wandern an dem Hause vorüber und vertiefen uns in die in englischem Geschmack zugerichteten Anlagen. Allerwärts erheben sich gewaltige Ulmen, Linden, Pappeln, hin und wieder Cedern und Tannen und andere Zierbäume. Unter denselben dehnen sich weite Grasplätze. Verschlungene Wege führen in das niedere Gebüsch. Kleine Brücken leiten über die Düssel, die in der Mitte des Parks in einem nicht unbeträchtlichen Teiche ausruht. In dem hintern Theile der Anlage, längs der Mauer, welche den ganzen Garten umschließt, gewahren wir wieder einige Gebäulichkeiten. Wir rathen dem Besucher, sich hier von einem Düsseldorfer Freunde gegen Abend einführen zu lassen, denn zu dieser Zeit entwickelt sich an dieser Stelle ein buntbewegtes Leben. Aus allen Wegen schreiten junge und ältere Männer heran, um sich an dem Gebäude zu sammeln. Dort stehen auf den Plätzen Tische und Stühle, an denen sich die Einen niederlassen zu Geplauder und Kartenspiel, Andere gehen an die Kegelbahn, auf welcher nun die Kugeln hin- und herrollen. Noch Andere setzen sich an die Lectüre von Zeitungen und Blättern bald in die Halle, bald unter das Laubdach der Bäume. Vor dem Einen steht der grüne Römer mit den Gaben des Baechus, vor dem Andern ein Seidel mit dem Tranke des Königs Gambrinus. Meistens herrscht dabei eine fröhliche Heiterkeit in stets wechselnden Bildern.

Was bedeutet dieses durchaus moderne Leben? Wir stehen mitten im „Malkasten“, der hier sein Sommerlocal aufgeschlagen hat. Mit Beginn der schönen Jahreszeit verlassen nämlich die Düsseldorfer Künstler ihre gemüthlichen, aber an hellen Tagen etwas düstern Räume in der Ratingerstraße, um sich in der frischen fröhlichen Frühlingswelt an Licht, Luft, Grün, Blüthe und Vogelliedern zu erquicken. Und das geschieht hier im vollsten Maße. Lunge, Auge und Ohr schöpfen hier hundertfachen Genuß. Man kann sich kaum einen anmuthigern Ort für abendliche Ausspannung denken.

Der Düsseldorfer Malkasten! Wer hat nicht von dieser heitern lebenslustigen Gesellschaft der Maler gehört? In den Berichten der Zeitgenossen ist schon vielfach von dem rheinischen Künstlerleben die Rede gewesen. Eine frühere Epoche ist ganz vortrefflich in Karl Immermann’s „Maskengesprächen“ geschildert worden. Fr. von Uechtritz hat zwei Bände „Blicke in das Düsseldorfer Künstlerleben“ herausgegeben. Ich habe in verschiedenen Novellen an dieses Treiben angeknüpft. Als Schadow nach Düsseldorf kam, concentrirte sich das Leben auf der Akademie und im Hause des Meisters. Man hatte später „Künstlerkränzchen“, eine „Brandwache“. Dann entstand eine aristoakademische Fraction, die ihre eigenen Kreise bildete. Maskenbälle, Aufführungen von lebenden Bildern, Theatervorstellungen und Künstlerfrühlingsfeste in bunten Maskenaufzügen vereinigten oft die dissentirenden Parteien auf kurze Zeit. Eine Geselligkeit, welche alle Mitglieder der Künstlerschaft vereinigte, konnte sich in den ersten zwanzig Jahren der neuen Schule nicht bilden.

Da kam das Jahr 1848 mit seinen vielfachen Bewegungen. Unsere Maler trieben auch Politik, kannegießerten und spielten Bürgerwehr. Die Einen waren rechts, die Andern links. Die letztern sollen – am 6. August, an dem Tage, wo das Fest deutscher Einheit in der Person des Reichsverwesers gefeiert wurde – sich durch Zufall zusammen gefunden und den Bund beredet haben. Diese Vereinigung geschah in dem Götzen’schen Wirthshause auf dem Hundsrücken, das bis dahin eine vielbesuchte Bürgerwehrstube war. Ohne sich durch Statuten gebunden zu haben, kamen dort allabendlich die Genossen zusammen. Ihre Zahl wuchs zusehends, sie umfaßte bald den größten Theil der jüngern und der ältern freisinnigen Elemente, während sich die ältern und conservativen Männer zurückhielten. Man hat in der Folge viel von der politischen Richtung des jungen Vereins geredet und ihn blutrother demokratischer Tendenzen beschuldigt. Ich muß gestehen, daß ich niemals etwas von Blutdurst, Tyrannenhaß und Sansculottenthum verspürt habe. Wer machte in der damaligen Zeit nicht seine politischen Witze? Ueber die Scherze des Kladderadatsch ist Keiner hinausgegangen. Von Comploten und Verschwörungen war niemals die Rede. Wie das Leben der jungen Leute gemeiniglich auf Scherz, Fröhlichkeit und Lachen gestellt ist, so war es auch hier. Der einzige Vorwurf, den man machen konnte, ist vielleicht, daß man die ernste Zeit nicht allzuernst nahm. Wer will das aber der Jugend verübeln!

Die Haupttendenz des Vereins ist zu jener Zeit nichts Anderes gewesen, als die Liebe und Hingebung an den Verein selbst. Man hatte längst das Bedürfniß eines Zusammengehens der Künstlerschaft gefühlt. Das war nun mit einem Male ungesucht gefunden. Man hatte es nicht gemacht, es war geworden. Darüber herrschte eine allgemeine Freude, die sich bald durch ein eigenthümliches Zusammenwirken kund gab. Vor allen Dingen galt es das alte düstere Local wohnlich und künstlerisch umzugestalten. Es ist merkwürdig, mit wie geringen Mitteln man zum Ziele kam. Der Eine begann den Andern zu malen, so daß nach und nach eine ganze Gallerie von Malkästnern entstand. Man legte Albums an und schenkte Zeichnungen hinein, es entstand eine kleine Bibliothek, es entstanden Sammlungen von Gefäßen. Die Landschaftsmaler führten Decorationen für die Bühne aus, welche im Hintergrunde des Zimmers errichtet wurde. In der Folge malte E. Leutze jene Darstellungen, welche, die Entwickelung der Kunstgeschichte gebend, die Wände des Winterlocals schmücken, und Mintrop führte die allerliebsten Kindergruppen aus, die wir dort erblicken. Zu diesen Künstlern gesellte sich A. Schmitz, der gleichfalls ein großes Bild lieferte. So hat denn der Malkasten in den Geschenken, die ihm nach und nach geweiht wurden, gegenwärtig schon ein recht hübsches Besitzthum, denn man sieht hier außer den Arbeiten der schon genannten Künstler auch Portraits von L. Knaus und J. Roeting, so wie Zeichnungen von C. F. Lessing, E. Bendemann, A. Achenbach und vielen andern. Man darf übrigens nicht vergessen, daß die erste Zeit die fruchtreichste war. Die Sammlungen haben sich nicht in derselben Weise gemehrt, wie sie begonnen.

Es läßt sich nun nicht leugnen, daß während der ersten Jahre ihres Bestehens in dieser jugendfrischen Gesellschaft an Witz, Scherz und Geist viel Pulver in die Luft geschossen wurde. Fehlte es auch hier und dort nicht an ernsten Gesprächen, so war doch der Sinn der Allgemeinheit auf Possen und Schwänke gestellt. Gute Bonmots, kräftige Späße, humoristische Lieder hatten mehr Hoffnung auf Erfolg, als gediegene Betrachtung. Der göttliche Unsinn herrschte in jeder Beziehung vor und erreichte namentlich seinen Höhepunkt in den Lustspielen, die von Zeit zu Zeit aufgeführt wurden. Dieselben traten stets als eigenes Fabrikat auf, das von der einen oder andern Gruppe der Malkästner gemeinschaftlich entworfen und ausgeführt wurde und dadurch eines gewissen Eindrucks sicher war, daß es von Anspielungen auf einzelne Persönlichkeiten, städtische und staatliche Verhältnisse wimmelte. So erinnere ich mich eines Stückes, wo die Geschichte von König David und dem Weib des Urias in Schleswig-Holstein spielte. Andere Stücke hatten ähnliche barocke Vorwürfe. Man lachte einen Abend darüber und legte sie zu den Acten. Es hatte eben kein Aristophanes dahinter gesessen. Die jugendlichen Genossen aber fanden sie „famos“. Eine Krähe pickt der andern kein Aug’ aus.

Mit der Zeit mochte man sich wohl von der Unzulänglichkeit dieser Vergnügungen überzeugt haben, und die jungen Schauspieler, von denen manche ein entschiedenes Talent an den Tag legten, griffen zu andern Aufgaben. Und hier kam Rudolf Nielo, der sich als Vorleser einen Namen gemacht hat, dem jungen Völkchen trefflich zu Statten. Er wurde nämlich der Regisseur der Bande, die sich allmählich an Shakespeare’s Lustspiele wagte. Sowohl in dem alten Malkasten bei Götzen, dann in dem zweiten Locale an der Ecke der Ratingerstraße und schließlich in dem jetzigen habe ich „Viel Lärm um Nichts“, „Die Komödie der Irrungen“ und „Was Ihr wollt“ in recht hübschen Darstellungen gesehen, in denen die Frauenrollen von den jüngsten Anschößlingen gegeben wurden. Von dieser muthigen Gesellschaft sah man sogar Stücke wie „Der Schatz von Rhamsenit“ von Platen und „Der Rubin“ von Hebbel, die sonst nicht das Glück gehabt haben, in ihrem Heimathlande auf die Bühne zu kommen. Mit solchen theatralischen Versuchen wechselten mitunter große Darstellungen von lebenden Bildern für wohlthätige Zwecke, welche in einem großen Locale, dem Geißlerschen Saale, aufgeführt wurden und stets sehr zahlreich besucht waren.

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1863).Leipzig: Ernst Keil, 1863, Seite 586. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1863)_586.jpg&oldid=- (Version vom 7.1.2019)