Seite:Die Gartenlaube (1863) 522.jpg

Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Verschiedene: Die Gartenlaube (1863)

wahr werden wird, ob es uns die Baiern und Tyroler nicht abermals unmöglich machen werden, die Italiener als unsere Gäste in Bremen bei uns zu sehen? Ich will den warmen Eindruck, den das herzliche Entgegenkommen der Italiener auf uns Alle gemacht, nicht weiter stören durch diese unerquickliche und vorerst noch unzeitige Frage.

Es begegnet uns Deutschen nicht allzuoft in der Fremde, daß wir auf Landsleute stoßen, die wirklich noch Deutsche sein wollen oder die sich gar mit Stolz Deutsche nennen. So tief uns das schmerzen muß und so wenig wir es rechtfertigen können, so viele Umstände sind doch leider überall und regelmäßig vorhanden, die uns dies begreiflich erscheinen lassen. Wer schützt uns denn im fernen Ausland, wer vertritt denn unser Recht? Ein deutscher Gesandter oder Generalconsul, eine deutsche Flotte? Es ist ein unglückliches Thema, auf das ich mit diesen Fragen gerathe, lassen wir es lieber fallen. Wir hatten es uns nicht versehen, als wir in die welsche Schweiz, hoch oben in den Jura, gezogen kamen, auf so zahlreiche und so gut deutsch gesinnte Deutsche zu treffen, und doppelt überrascht waren wir, als wir erfuhren, daß schon seit Jahren ein großer, über die ganze Schweiz verbreiteter Bund der deutschen Arbeiter besteht, der nicht blos seine Mitglieder in Krankheiten und aus der Wanderschaft unterstützt, nicht blos ihre Ausbildung und deutsches Turnen und deutschen Gesang fördert, sondern der auch wesentlich mit die Erhaltung und Hebung der nationalen deutschen Gesinnung als Zweck verfolgt. So angenehm uns indeß diese Begegnung mit deutschen Landsleuten berührte, so hoch erfreut waren diese selbst über unseren Besuch. Es war ja zum ersten Mal, daß sie deutschen Schützen in der Schweiz begegneten, deutschen Schützen, die noch dazu wie wir im Triumph durch das Schweizerland gefahren waren und als hochgeehrte Gäste der Schweizer hier auftraten. Unsere Ehre war ja aber auch ihre Ehre, und so viel Herzlichkeit unsere Landsleute in La Chaux de Fonds und Locle im persönlichen Verkehr mit uns entfalteten, so viel Stolz auf sich, auf uns, aus unsere gemeinsame Eigenschaft als Deutsche blickte doch auch überall mit durch. Wie freuete uns dieser Stolz – hat doch der Deutsche im Auslande gar so selten Veranlassung, auf sich als Deutscher stolz zu sein! Schon für den Dienstag Abend hatte uns der Gesangverein „Frohsinn“ zu sich in sein Local eingeladen, für Mittwoch baten uns die deutschen Arbeiter in Locle um unseren Besuch, und am Donnerstag Abend, bevor wir zu den Italienern gingen, brachten wir wenigstens eine kurze Zeit noch bei dem deutschen Arbeiterbildungsvereine in La Chaux de Fonds zu.

Hier war es auch, wo wir – es waren leider nur etwa 20 von uns da – zur Erinnerung an den deutschen Schützenzug in den Jura 138 Francs für die Vervollständigung der Bibliothek des Vereins stifteten. Es ist dies zwar nur eine kleine Summe, aber sie reicht doch gerade aus, um ein weiteres festes Band zwischen den Deutschen in La Chaux de Fonds und uns zu knüpfen – dafür bürgt uns die ungeheuchelte Dankbarkeit unserer Landsleute – und um ein gutes Beispiel zu geben für alle noch kommenden deutschen Schützenzüge in die Schweiz oder ein anderes Land. Unvergeßlich wird uns Allen der Mittwoch Nachmittag sein, den wir als die Gäste der deutschen Arbeiter in Locle dort und am Wasserfall des Doubs verlebten. Leider waren es unser nur wenige, die sich dabei betheiligten; viele waren bereits abgereist, die meisten waren schon in den vorhergehenden Tagen am Doubsfall gewesen, und die Schützen waren nicht aus den Schießständen zu bringen. Aber so wenige es unser auch waren, die Herzlichkeit unserer Arbeiter konnte nicht größer sein, wenn auch wir Alle zusammen gekommen wären. Mit frischem vierstimmigem Gesang zogen wir, eine deutsche und eine schweizerische Fahne voran, nach dem reizenden stillen See von Brenets und zum Wasserfall des Doubs. Dann ging es zu Schiff über den See zurück und das Echo der steilen Kalkwände, die rings den See umgeben, trug uns in dreifachem Wiederhall die deutschen Lieder zurück, die wir in die warme Abendluft hinaussangen. Nie habe ich die nationale Bedeutung des deutschen Gesanges so lebhaft empfunden, als hier im Gebiete der welschen Zunge. Die Macht des deutschen Liedes ist hier so mächtig, daß in den selbstständigen Gesangvereinen stets Deutsche und deutsche Schweizer gemeinschaftliche Mitglieder sind, und es bestehen doch dieser Vereine gegen acht im welschen Jura. Ein Deutscher ist es, der sie sämmtlich gegründet hat und zum Theil leitet: Herr Ch. Taucher in La Chaux de Fonds, ein Sohn der Stadt Weimar. Ihm sei an dieser Stelle nochmals dafür unser Dank gesagt.

Den deutschen Arbeitern in Locle und La Chaux de Fonds gegenüber waren wir blos Deutsche, den Schweizern gegenüber aber waren wir zugleich deutsche Schützen, und es ist daher wohl an der Zeit, daß ich endlich auch ein Wort über das Schießen sage. Ein Schützenfest in der Schweiz ist wirklich und wahrhaftig ein Schützenfest, das sind unsere Ohren gewahr worden. Mit dem Schlage sechs des Morgens ging das Schießen an und dauerte, bis des Abends der verhängnißvolle Kanonenschuß ein unwillkommenes Ende machte. Mit solcher Beharrlichkeit und Leidenschaft ist in Frankfurt nicht geschossen worden und wird wohl schwerlich auch schon in Bremen geschossen werden, denn bei den Schweizern ist nicht blos ein Schütze auf den andern eifersüchtig, sondern auch eine Stadt und ein Canton auf den andern. Es ist ein Ruhm nicht blos für den Schützen, der beste Schütze der Eidgenossenschaft zu sein, sondern auch für seine Vaterstadt, den besten Schützen groß gezogen zu haben. Daher denn auch in den ersten Tagen des Schießens der tolle Eifer in den Schießständen: es galt ja den ersten Becher im Feldkehr oder im Standkehr und die ersten beiden Becher im Standkehr und Feldkehr zusammen zu haben. Da wurde keine Mühe und kein Geld gescheut; mit fünf, ja mit sechs Büchsen standen die Schützenkönige da und schossen und schossen wieder, während die Lader das frisch abgeschossene Gewehr wieder luden, und so kam es denn auch richtig dahin, daß noch im Laufe des Sonntag-Nachmittags fünf Becher im Feldkehr und vier Becher im Standkehr beschossen waren. Johannes Staub aus Wädenschwyl (Canton Zürich) und Knecht aus Glarus waren die ersten im Feldkehr, dann folgten Knuty aus Basel, Streiff-Luchsinger aus Glarus und Vautier aus Genf, während Groß aus Brunnen, Hotz aus Fellanden, Bänziger aus Wald und Féquier aus Fleurier die ersten Becher im Standkehr davon trugen. Das Beste leistete jedoch Streiff-Luchsinger, vielleicht der beste, jedenfalls der schönste Schütze der Schweiz; er hatte schon am Montag Morgen auch den Becher im Standkehr geschossen. Unsere deutschen Schützen nahmen sich etwas mehr die Zeit, sie schossen aber auch meist nur aus Einer Büchse und luden sie sich selbst, wie sich das auch für den rechten und echten Schützen geziemt. Aber doch trug Ludwig Bermeittinger aus Schopfheim in Baden – und zwar mit Einer Büchse, die er selbst geladen, wie dies auch rühmend bei der Uebergabe hervorgehoben wurde – schon am Montag als erster deutscher Schütze seinen Becher im Standkehr davon, während freilich erst am Dienstag Paul Tritscheller aus Lenzkirch in Baden den ersten deutschen Becher im Feldkehr gewann.

Im Ganzen haben überhaupt unsere Landsleute mit Ehren und mit Glück geschossen: etwa 20 bis 25 Becher nahmen sie wohl mit nach Hause, und von den Festscheiben auch wohl manchen hübschen Preis. Constantin de Leuw aus Düsseldorf, der bekannte Schützenkönig am Niederrhein, hat auf die Festscheibe drei capitale Schüsse gethan und einen Becher im Feldkehr und statt des Bechers im Standkehr eine goldene Uhr herausgeschossen. Freilich sind Manchem die Becher sehr theuer gekommen, und mehr als einer hat wohl 300, 400, auch 500 Francs dafür gezahlt, aber die deutsche Ehre ist doch auch in den Schießständen gerettet worden. Das ist aber auch um so mehr anzuerkennen, als die Bedingungen für das Schießen bei den Schweizern viel schwieriger sind, als seither bei uns. Das Blättchen in den Standkehrscheiben war nur halb so groß (7½ Centimeter) als in Frankfurt, und die Zielfläche in den Feldkehrscheiben – wobei außerdem jeder Treffschuß nur einen Punkt zählte – war nur etwa so breit als die Brustfläche auf den Frankfurter Feldscheiben. Freilich galten dann auch wieder im Standkehr schon 25 Nummern einen Becher – in Frankfurt 36 – und im Feldkehr waren nur 80 Punkte erforderlich – in Frankfurt 120 –; aber wenn das Treffen selbst so erschwert ist, daß man kaum treffen kann, so will es nicht viel sagen, wenn statt 36 oder 120 nur 25 oder 80 Treffer gefordert werden. Das sind also Fingerzeige für unsere Schützen, die sie wohl zu beachten haben werden, wenn sie es den Schweizern überhaupt noch gleich zu thun gedenken, und das steht doch wohl zu hoffen.

Sehr reich – ein glänzender Beweis für den Opfersinn der Schweizer – war der Gabentempel geschmückt. Aus China und Brasilien, aus Californien und Rußland, aus London und Paris hatten die Schweizer ihre Gaben zum Bundesschießen gesandt; die freien Schweizer hören eben nie auf Schweizer zu sein, sie mögen

Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1863).Leipzig: Ernst Keil, 1863, Seite 522. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1863)_522.jpg&oldid=- (Version vom 1.2.2020)