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Verschiedene: Die Gartenlaube (1863)

Jubel ausbrach, pfiff und tobte der andere fort, indeß die Verehrer Raimund’s eben so wüthend applaudirten.

Der Vorhang fiel, die Vorstellung nahm ein verfrühtes Ende. Als Nachspiel heirathete der Komiker doch noch „auf allgemeines Verlangen“ die Schauspielerin Louise Gleich, aber nur, um in kurzer Zeit darauf eine rechtskräftige Scheidung einzuleiten und durchzuführen. Diese Scheidnug „von Tisch und Bett“, nach welcher er als Katholik nicht wieder sich vermählen durfte, war der schwarze Schatten, der das heitere Leben des Künstlers für immer verdunkeln sollte. Ein wackeres Mädchen, Fräulein A. W., schenkte dem Manne, der nur sein Herz, aber keine Hand mit diesem zu vergeben hatte, ihre erste Jugendliebe und blieb dieser treu bis übers Grab hinaus. Daß er seine „Toni“ nicht heimführen dürfte an den häuslichen Heerd, war für den redlichen Raimund eine fortwährende geistige Marter; die Demüthigungen, welche das arme Mädchen zu erdulden hatte, die Opfer, welche sie ihrer Liebe brachte, erkannte der Künstler dadurch an, daß er seine Geliebte zur Universalerbin seines beträchtlichen Vermögens einsetzte.

Im Juni 1790 wurde Raimund in Wien geboren. Leider reichten die Mittel seines Vaters, eines armen Drechslermeisters, nicht aus, um dem heißen Wunsche des Knaben, zu studiren und etwas Tüchtiges zu werden, Genüge leisten zu können. Nun, der Junge ist doch etwas Tüchtiges geworden, wenn gleich in anderer Sphäre, als er damals ahnen mochte. Zu einem Zuckerbäcker in die Lehre gebracht, übte er sich mit poetischen Erstlingsversuchen, als Bonbondevisen, welche letztere viel besser ausgefallen sein sollen, als der von ihm gefertigte süße Inhalt derselben.

Der Schauspieler Landner, ein früherer Schulcamerad und späterer College Raimund’s, mit dem er bis zu seinem Tode innig befreundet blieb, hatte einige Federproben aus jener Zeit aufbewahrt; so zum Beispiel eine burleske Grabschrift, die er bei irgend einer Gelegenheit für seinen eigenen Leichenstein pränumerando anfertigte:

Wandrer, steh’ still oder setze Dich nieder.
Hier ruhen eines Mannes Glieder,
Der Ferdinand Raimund hat geheißen,
Ganz jung mußt er ins Gras schon beißen;
Im rühmlichen Beruf hat er den Tod gefunden:
O Wandrer – ihm wär’s lieb, lägst Du statt ihm da unten!

Nach vielen gescheiterten Versuchen, in Wien oder wenigstens in der Umgebung der Residenz auf einem Sommertheater unterzukommen, begann er seine theatralische Laufbahn in Preßburg; diese Versuche fielen aber kläglich aus, und er mißfiel dem dortigen Publicum total. Nun begann für den Armen ein Wanderleben der entmuthigendsten und mühseligsten Art, auf’s Grellste contrastirend mit dem hohen Ideal, welches der unerfahrene begeisterte Bürgerssohn von der „hehren Kunst“ im Busen trug.

Es fehlt uns der Raum, um dem fahrenden Komödianten auf seinen Kreuz- und Querzügen zu folgen, und die Entwicklung seiner Fähigkeiten stufenweise zu beobachten. Im Jahre 1813 finden wir ihn schon als Gast mit großem Beifall in Wien auftretend, und 1817 gehörte er schon als überaus beliebtes Mitglied dem damals unübertrefflichen Komikerverein des Leopoldstädtertheaters an, für welches die Schriftsteller Meisl, Bäuerle und Gleich ihre hoch beliebten Zauberpossen schrieben. Der Zufall und die eiserne Nothwendigkeit drängten Raimund selbst auf die Bahn des Volksdichters, auf welcher er so reiche Lorbeeren zu ernten und alle seine Nebenbuhler zu überflügeln bestimmt war.

Er hatte Meisl die Idee zu einem Zaubermärchen mitgetheilt, welches zu seinem Benefize im Winter 1823 in Scene gehen sollte. Vergebens war alles Drängen und Mahnen des geängstigten Schauspielers, der Tag des Benefizes rückte näher und näher, ohne daß Meisl, schreibefaul wie immer, mehr als die Einleitungsscenen zu Papier gebracht hatte.

In seiner Desperation beschloß Raimund, selbst den kühnen Versuch zu wagen und das angefangene Opus, „der Barometermacher auf der Zauberinsel“, fertig zu schreiben, ein Versuch, der so glücklich ausfiel und seine hoffnungsreichsten Erwartungen so hoch überflügelte, daß er schon im nächsten Jahre mit einer neuen Zauberposse, „der Diamant des Geisterkönigs,“ vor das Publicum trat, deren Grundidee einem Märchen aus Tausend und einer Nacht entnommen war. In rascher Reihenfolge erschienen nun die Originalwerke: „der Bauer als Millionär“, „Monsasur’s Zauberfluch“, „die gefesselte Phantasie“, „der Alpenkönig und der Menschenfeind“, „die unheilbringende Zauberkrone“ und endlich „der Verschwender“.

Es ist hier nicht die Stelle, um auf Raimund’s unbestrittene Verdienste um die deutsche Volksbühne, seine reiche Erfindungsgabe, seine naive, nie verletzende Witzader als Schriftsteller näher einzugehen; als Schauspieler war derselbe eine Erscheinung, die kaum in der Geschichte des deutschen Theaters wiederkehren dürfte. Von glühender Begeisterung für seine Kunst erfüllt, trugen seine Bühnengestalten stets den Stempel des reifsten, charakteristischsten Studiums. Sein haßerfüllter Rappelkopf und die wehmuthsvoll weiche Erscheinung des Aschenmannes, welch’ ein Contrast!

Unser Bild bringt die Figur des letzteren, nach einem Original des genialen Kriehuber in Wien, in sprechender Aehnlichkeit in Haltung und Zügen, zur Anschauung.

Die Erkennungsscene im „Verschwender“, wo der arme treue Valentin seinen ehemaligen Herrn im Elend findet, gehörte in Raimund’s Darstellungsweise mit zu dem Vollendetsten, was die deutsche Schauspielkunst je aufzuweisen hatte. Und mit wie einfachen Mitteln erreichte der geniale Künstler die erschütterndste Wirkung! Valentin findet an der Schwelle des Palastes seines früheren Gebieters einen Bettler, der Arme will mit dem Aermeren theilen, er nimmt ein Geldstück, um es ihm zu schenken, die Züge des Bettlers scheinen ihm bekannt, er starrt ihm ins Gesicht, die ausgestreckte Hand bleibt unbeweglich, er wagt es nicht, dem Bittenden den bereit gehaltenen Groschen anzubieten. Der ehemalige Millionär fragt den fremden Mann erstaunt, was er von ihm wolle; dieser erkennt die Stimme seines geliebten Herrn, ein unarticulirter Schrei entringt sich der vollen Brust, ein Schrei, in dem sich der tollste Jubel und die innigste Wehmuth mischt; ein greller Ausruf: „Mein gnädiger Herr!“ Er überfliegt noch einmal die verfallene Gestalt des einst so hochgestellten Mannes, und leise stammeln die bebenden Lippen, welche die Hände des früheren Gebieters mit Küssen bedecken, unter einer Fluth von Thränen der Freude und des Schmerzes: „Mein gnädiger Herr!“ Wie Viele, auch Schreiber dieser Zeilen, haben es versucht, dieses zweimalige „Mein gnädiger Herr“ in ähnlicher Weise nachzusprechen, nachdem der Mund des Schöpfers für immer stumm geworden! keinem ist dies nur annähernd gelungen. Diese Töne einer aufjauchzenden und schmerzerfüllten Menschenbrust waren eben nur dem Dichter des „Verschwenders“ eigen.

Wer sollte nicht meinen, daß Raimund jetzt auf dem Höhenpunkte des Glückes angelangt sei? Getragen von der vollen Gunst der Elite des Publicums und der Achtung seiner Mitbürger, in glücklichen Vermögensverhältnissen, Besitzer eines reizenden Tusculums in dem schönsten Gebirgsthale der Monarchie, in Guttenstein, umgeben von der zärtlichsten Sorgfalt eines liebenden und geliebten Wesens, was konnte dem Beneidenswerthen noch fehlen? – Und doch wurde der überall Gefeierte seines Lebens und Wirkens nicht froh; weder die Anerkennung in der Heimath, noch die Erprobung seiner Verdienste auf weiten Gastspielreisen an den größten Bühnen Deutschlands, die sich durch die glänzendsten Erfolge zu wahren Triumphzügen gestalteten, vermochten die schwarzen Schatten der Hypochondrie zu verscheuchen, die sich um das Haupt des Musengünstlings gelagert hatten. Gerade bei seiner genialen Begabung lastete der Mangel an eigentlicher wissenschaftlicher Bildung doppelt schwer auf ihm; bei einem Herzen voll warmer Menschenliebe, unermüdlich im Wohlthun, mit stets offener Hand gegen ärmere Collegen, konnte er doch nie ein scheues Mißtrauen gegen alle Welt überwinden. Wie unglücklich sich der Mann fühlte, dem alle Herzen entgegen schlugen, der Alles erreicht hatte, was in seiner Sphäre zu erreichen möglich war, mögen die folgenden Blätter beweisen. Raimund liebte es, in losen Heften seine Empfindungen in Tagebuchform niederzulegen. Einige dieser Ergüsse hat sein Freund und College, der Schauspieler Landner in Wien, der Vergessenheit entrissen. Sie mögen hier eine Stelle finden.

Lose Blätter aus dem Tagebuche eines ernsten Komikers.
Wien 18–

Es ist seltsam! Je höher die Wogen des Beifalls mich umrauschen, je stürmischer mich die Gunst des Publicums erhebt, desto unzufriedener werde ich mit mir selber. Ich fühle in meiner tiefsten Brust, was ich mir kaum selbst zu gestehen wage, wie unzulänglich mein Genre ist, wie es in demselben so ganz und gar unmöglich ist, Großes zu leisten. Es ist recht traurig! Ein ganzes volles Menschenalter hindurch habe ich vergebens gestrebt und gerungen;

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