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Verschiedene: Die Gartenlaube (1863)

die Ebenen und scheut selbst vor Bergen nicht zurück, und so werden die Berge bald auch hier überall die Zugspitzen für die in Gesängen jauchzende, vaterlandbegeisterte Jugend und das sich verjüngende Alter werden, und die hohen Burgtrümmer, einst die Brutstätten bluttriefenden Hasses, nun Leuchtthürme der blüthen- und fruchttreibenden Menschen- und Vaterlandsliebe.

Auch die prächtige Burg Wertheim, an der nördlichsten vom Main bespülten Grenze des Großherzogthums Baden, wird und muß einst ein Hauptpharus des strahlenden Zukunftslichtes sein, wie sie es verdient hat und wozu vor dreihundert Jahren einer ihrer fürstlichen Besitzer, ein junger lichtbegieriger Mann, ihr gleichsam die erste Weihe gab. Es war für mich von hoher symbolischer Bedeutung, daß zur Johanniszeit, dem Licht- und Feuerfeste unserer Vorfahren, in Werteim, im schönen Gegensatze zu dem Lichtfeste der alten versunkenen Zeit, ein echtes Lichtfest der aufsteigenden Neuzeit gefeiert wurde: die kleine Stadt wurde zum ersten Male mit Gas beleuchtet und die Burg von buntfarbigen bengalischen Feuergarben prächtig überstrahlt und übermalt. Nicht die gaukelnden Lichter des Märchens und der Sage waren es, die das Burggemäuer umhüpften es waren die Lichtflammen, die die Wissenschaft erzeugt hat, vor welchen der Aberglaube, die Geburt des klndlich befangnen Menschengeistes, versinkt und verschwindet. Vor dem Lichte der Wissenschaft zerfällt das Märchen wie eine schöne abgeblühte Blume, erbleicht die Sage wie der Morgenstern in der Sonne. Sie waren schön und poetisch, aber weit schöner und poesiereicher ist die Natur in ihrer wirklichen Größe und Erhabenheit, wie die Wissenschaft, der Silberblick des Menschengeistes, sie uns immer herrlicher erschließt.

Das Gaslichtfest in Wertheim war ein Abschiedsfest der alten Zeit und ein Begrüßungsfest der neuen. Es warf seine Strahlen weit im Kreise, am Mainstrom auf- und abwärts, in den Taubergrund und den Odenwald und über den Main hinüber in das „Geheimniß des Spessarts“. Der schöne, mit köstlichen Reben bekränzte Halbkreis, welchen der Main von Gemünden bis Aschaffenburg um den alten deutschen Spechtshart schlingt, gehört unbedingt zu den reizendsten Partien Deutschlands, besonders die Höhe dieses Halbkeises, das Segment von Wertheim bis Miltenberg und Heubach, wo sich Spessart und Odenwald über den Fluß die Bruderhände reichen, und doch wurde dieses kleine Paradies verhältnißmäßig blutwenig besucht. Ich kam eben aus dem Harze, wo auf dem Stufenberge, der Lauenburg, im Bodethale, auf dem Brocken etc. die Besucher sich schon drängten; hier im herrlichen Maingrunde war es leer. Das moderne Lichtfest verspricht die schönere Zukunft. Bald wird der Dampfwagen den jetzt noch so stillen Taubergrund heraufbrausen und das junge Geschlecht rechts nach Würzburg, links durch den Maingrund über Miltenberg nach Aschaffenburg führen. Mit Staunen werden dann die Reisenden einen der großartig-reizendsten Theile Deutschlands entdecken. Und die einsame Burg Wertheim wird sich in einen durchdrängten und durchjubelten Pharus der Zukunft, die sehr bescheidne Gastwirtschaft des alten originellen Burgvogts in ein mit allen Bequemlichkeiten und Bedürfnissen des modernen Reisenden ausgestattetes Hotel verwandeln, Turner und Sänger werden ihre deutschen Fahnen auf die ragenden Zinnen aufstecken, und Wertheim wird ein Wallfahrtsort aller Nationen werden.

Schöne Wandlung im Geiste deutscher Gesittung und Humanität! Denn diese Burg ist eine Stätte böser Gewaltthat, blutiger Bruderkämpfe und ein Tummelplatz des schauderhaften Nachtgeistes des Mittelalters gewesen. Die bislang nur ein kalt angestauntes Denkmal des Feudalglanzes und der Schwertmacht der Dynastengeschlechter, die sie erbauten und bewohnten, war, soll von nun an ein Zusammenkunftsplatz deutscher Bruderliebe werden; wo der dreißigjährige Krieg, dieses entsetzlichste Unglück des an Jammer und Elend so überreichen Glaubenshaders der Deutschen, so deutliche Spuren hinterlassen hat, da werden sich deutsche Brüder von allen Confessionen die Hände reichen und die Herzen austauschen.

Ob man die Burg vom Taubergrunde oder vom Maingrunde stromauf und ab, oder vom Berge jenseits der Tauber oder von dem jenseits des Mains (dem weinreichen Remberge mit Felsenaltan, der einen überraschend schönen Blick auf die Burg gegenüber gewährt) betrachtet, stets macht sie den Eindruck des Großartigen, Bewältigenden, Hochromantischen. Von zwei Punkten sah ich sie am liebsten: von der Chaussee nach Stadtprozelten auf dem rechten Mainufer, etwa eine Viertelstunde von der Stadt; hier hebt sie sich am reinsten vom Himmel ab und zeigt, von dem hinter ihr höher aufsteigenden bewaldeten Schloßberge nicht beeinträchtigt, die reinsten Contouren; und aus dem hart am rechten Mainufer gelegnen Pavillon des Gasthauses zur Sonne in dem baierischen Dörfchen Kreuzwertheim gegenüber unserem badischen Städtchen Wertheim. Hier hat man meiner Ueberzeugung nach die lieblichste Ansicht der Burgruine. Der Zeichner unseres Bildes hat aber seinen Standpunkt westlich jenseit der Tauber gewählt.

Der Besuch der Burg entspricht ihrem Anblick, oder überbietet ihn vielmehr noch durch überraschende Ein- und Aussichten. Ihre Höhe über der Stadt, resp. dem Mainspiegel, ist nur eine mäßige, etwa 300 Fuß, und beträgt die halbe Höhe des in die Gabel des Mains und der Tauber eingeschobenen nicht hohen, aber ziemlich steilen Schloßberges. Bequeme, sogar gut befahrbare Wege führen hinauf. Die Architectur der kolossalen Mauern und Gebäudereste, die amphitheatralisch am Berge emporsteigen, imponiren, soweit sie aus dem Zeitraume der edlen mittelalterlichen Baukunst stammen, durch reine Schönheit und Kühnheit der Formen. Diese alten Theile der Burg hat der noch keusche deutsche Kunstsinn gebaut und sich damit ein dauerndes Zeugniß seines Seelenadels ausgestellt. Die Burg stellt ein verschobenes Viereck dar, dessen beide Fronten nördlich dem Main, westlich der Tauber zugekehrt sind, und aus dessen Mittelpunkt die größte Zierde der Burg, der kolossale viereckige Thurm von seinem Felsenfundamente und mächtigen Unterbau hoch und kühn emporragt. Von seiner letzten Bestimmung heißt er jetzt Pulverthurm, sein alter eigentlicher Name ist „Burgfried“, und seine Entstehung fällt, wie Aschbach, der Geschichtsschreiber der Grafen von Wertheim, glaubhaft gemacht hat, in das elfte Jahrhundert. Sagenhaft ist die Behauptung, der Thurm sei ein Römerbau und aus der Form der Rotsandsteinquadern entstanden, deren Kanten abgeflacht und deren Stirnfläche leicht gewölbt und rauh ist, eine Eigentümlichkeit des römischen Baustyls, die sich an allen uns überkommenen Römerbauten zeigt und z. B. an dem kolossalen Römterthurme in Regensburg, der allen kommenden Zeiten trotzen zu wollen scheint, recht scharf in´s Auge springt. Aber die Römer kamen höchst wahrscheinlich am Main nicht über Miltenberg hinauf, wo sie eine Grenzfeste erbaut hatten, wohl aber ihre Bauart, die sich weit über Deutschland verbreitete und lange nachher noch in Anwendung kam, als sie selbst schon längst über unsere Grenzen hinausgeschlagen waren. Daher kommt es, daß fast alle Thürme von dieser Steinconstruction in Deutschland Römerbauten genannt werden, selbst in Gegenden, wohin erwiesenermaßen nie der Fuß eines römischen Legionärs gekommen ist.

Vor wenigen Wochen stand ich am weltberühmten Thurme der Burg Kyffhausen, dessen Quadern ganz dasselbe römische Gepräge haben und der deshalb gleichfalls sehr irrthümlich zu einem Römerbau gestempelt wird, obgleich Drusus gewiß nicht nach Nordthüringen kam. Aber die deutschen Kaiser und ihre Lehnsträger kamen oft und viel nach Italien und ahmten zu Hause die dauerhaften und zweckmäßigen Römerbauten nach.

Eben so sagenhaft und unerweisbar ist die Angabe, der rheinfränkische Herzog Gunibald sei Erbauer der Wertheimer Burg gewesen.

Der Burgfried diente auch zum Burgverließ, worin ritterliche Grausamkeit, die die des Tigers weit überbot, ihre Gefangenen schmachten und verschmachten ließ. Von welcher Art der „großmüthige Rittersinn“ war, überzeugte man sich, als Fürst Georg zu Löwenstein († 1855) die tiefe Sohle des Burgfrieds aufräumen ließ und eiserne Ringe an den Wänden, zerbrochenes Töpfergeschirr, einen hölzernen Becher und endlich eine steinbedeckte Grube fand, bei deren Oeffnung der gräßliche Modergestank die Arbeiter vertrieb.

Zunächst über dem Burgfried stand das weitausgedehnte, prächtige Wohnhaus der alten Grafen, von welchem noch der westliche Theil mit hochaufragendem Giebel übrig ist und dessen Erdgeschoß die dem St. Pankratius geweihte Capelle einnahm. Ihre aus dem 12. Jahrhundert stammenden Fenster von sehr geschmackvoller feiner Gliederung und zarter Ausführung sind noch vorhanden.

Die übrigen Theile der Burg sind meist Schöpfungen späterer Zeiten. Namentlich baute Graf Ludwig von Stolberg in der letzten Hälfte des 16. Jahrhunderts, der durch Verzicht seiner Tochter, der Wittwe des letzten Grafen von Wertheim, jenes schon erwähnten Lichtfreundes, zu seinen Gunsten Herr der Burg geworden war, sehr

viel in sie hinein; die innere Einrichtung stammt größtentheils von

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