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Verschiedene: Die Gartenlaube (1863)

Familienbegräbniß bringen ließen. Im Garten von Drönnewitz ist ihm ein hübsches Denkmal gesetzt. Die übrigen drei Gefallenen begrub man etwa in der Mitte zwischen beiden Eichen. Zwei und zwei der Cameraden trugen die mit Stroh zugedeckten Leichen auf kleinen Tragbahren. Ihr Grabhügel zeichnet sich nicht mehr vom Erdboden ab, denn die erste Mauer lief gerade darüber hinweg und hat ihn geebnet.

Herzzerreißend war der Jammer der Angehörigen Körner’s, namentlich seiner Schwester Emma, beim ersten Besuch des Grabes. Wirr hing ihr das Haar um das bleiche Gesicht, und den Hügel umklammert haltend, rief sie im tiefsten Schmerze wiederholt den theuren Namen: „Theodor, mein Bruder – mein Bruder!“ Aber die Klagerufe verhallten ungehört im Rauschen der Eichwipfel. Fast gewaltsam mußte man sie endlich vom Grabe wegziehen.“

Der Alte machte eine Pause und fuhr mit der Hand über die nassen Augen. Mit bewegter Stimme erzählte er dann weiter: „Bei einem späteren Besuch zeichnete sie das Grab ihres Bruders, und das Bild, welches Sie vorhin in meiner Stube sahen, ist eine Copie jener Zeichnung. Ihr Sitz bei dieser Arbeit war der jetzt dort unter der Eiche liegende Stein, den ich von meiner Wohnung hatte herbeischaffen lassen.

Emma Körner war eine herzensgute, junge Dame und anscheinend große Kinderfreundin; meinen ältesten Jungen hat sie öfters auf den Armen getragen, geherzt und geküßt. Als der Kleine einst vergnügt mit ihrer Uhr spielte, versprach sie, bei nächster Herkunft ihm eine mitzubringen. Und sie kam bald wieder – aber ach, nur als Leiche! –“

Dann kam er wieder auf die Eiche zu sprechen. „Sehen Sie, in der Oeffnung dort hatte man zuerst ein kleines hölzernes Schränkchen angebracht, worin des Dichters Uhrband, geflochten aus den Haaren seiner Braut, Toni Adamberger, und ein Gedenkbuch mit einer Widmung des Professors Franz Passow vom 10. Juni 1814, aufbewahrt wurden. Als jene Reliquie aber von frevelnder Hand entwendet worden, mußte ich das Buch, welches auch zu sehr vom Einfluß des Wetters litt, auf Wunsch des alten Körner’s in meine Wohnung nehmen. Leider ist dasselbe um Ostern 1823, als mein Haus in Flammen aufging, mit verbrannt. Das neue Gedenkbuch ward bei Gelegenheit der zu Ehren Gottlieb Schnelle’s am 16. Juni 1845 stattgefundenen dreißigjährigen Schwertfeier angelegt und wird im Hause meines Nachfolgers aufbewahrt.“

„Ist denn Körner’s Braut, Toni Adamberger, niemals hier gewesen?“ fragte ich den Alten auf’s Neue.

Er sah trübselig drein. „Ja, ja,“ sagte er langsam und feierlich, „es mochte etwa ein Jahr nach der Beerdigung verflossen sein, als sie mit fünf Freundinnen die Ruhestätte ihres Verlobten besuchte. Ersparen Sie mir indeß die Schilderung der Scene am Grabe. Bevor sie wegging, schnitt sie eine Locke ihres prächtigen Haares ab und vergrub solche im Grabhügel. Im Fremdenbuch fand ich hernach die einfachen Worte von ihrer Hand: „Ich war hier und bin im Geiste oft hier.““

So plauderten wir lange mit dem Alten, selbst noch in seiner Wohnung, wohin er uns treuherzig mitzukommen geheißen. Von seiner Verschlossenheit, seinem Tiefsinn merkten wir in diesen Stunden keine Spur, vielmehr erklärte er uns wiederholt und noch beim Abschied und herzlichen Händedruck, daß es ihm heute nach langer Zeit einmal wieder recht frei und frisch um’s Herz sei. Und so sah es auch in unserer Brust aus. Trugen wir doch die schönste Erinnerung vom Dichtergrabe heim: den neu bestärkten Glauben an eine freie, unwandelbare Menschentreue, welche über’s Grab hinausreicht.

Noch wenige Monate, und es sind fünfzig Jahre verflossen, seit der liebliche und begeisterte Sänger, der edelmüthige Heldenjüngling Theodor Körner mit heiliger Opferfreudigkeit sein Herzblut für die große Sache des Vaterlandes dahingab. Am Rande eines halben Jahrhunderts seit der Erhebung Deutschlands wird das deutsche Volk auch seines Lieblings mit hohem Stolz und alter Liebe gedenken wird seinen treuen Todten nicht vergessen. Möge es dann auch des vieljährigen treuen Hüters der Gräber[1] unter der Wöbbeliner Eiche sich erinnern und durch liebevolle Anerkennung die Wolken verscheuchen, welche Undank um die Seele des biedern Alten gelagert hat. Möge die nationale Körnerfeier, welche man für den 26. August vorbereitet, in Wirklichkeit eine solche werden, indem sie auch den treuen Mann aus dem Volke ehrt und dessen Lebensabend durch den Sonnenschein der Dankbarkeit erhellt und erwärmt.




Eine Schweizer Dorfkomödie.

Von H. A. Berlepsch.[2]

Bei den alten Griechen und Römern bestand für das Drama das von Aristoteles aufgestellte unantastbare, eisern, streng befolgte Gesetz der Einheit des Ortes, der Zeit und der Handlung. Es widerstrebte der einfachen, natürlichen Auffassung jener Völker classischen Alterthums, blos durch gefälliges, rasches „Sich-Anbequemen an den Ideengang des Dichters“ auf der gleichen Bühne, am gleichen Platz in diesem Augenblicke mit dem Helden des Stückes durch die gemalten, hohen Hallen eines mit Trophäen und Ahnenbildern geschmückten gothischen Rittersaales zu phantasiren und in der nächsten Minute, auf Befehl des Theater-Maschinisten, sich in die Wildniß eines finsteren Waldes, oder in die rußige Hütte eines armen Köhlers oder gar in den Wolkenhimmel Raimund’s zu versetzen, wie diesen Scenen-Wechsel der Localitäten heutzutage die Decorations-Maler auf unseren modernen Bühnen uns vorgaukeln und oft zum Haupt- und Glanzpunkt der ganzen Aufführung machen. Diese hausbackene, man möchte fast sagen jungfräulich-naive Bedingung der alten Dramatiker ist auf der Kunstbühne längst verschwunden. Man würde denjenigen Dichter oder Dramaturgen für einen General-Zopf erklären, der heutzutage die theatralische Drei-Einheit wieder zur Geltung zu bringen suchen wollte. Und doch besteht factisch noch ein Stück jener alten, classischen Auffassung von der Nothwendigkeit der Einheit des Ortes, und zwar, was Niemand ahnen dürfte, – beim schweizerischen Bauer, wenn er Komödie spielt.

Ich habe schon viele solcher ergötzlicher Dorf-Suiten mitgemacht und will eine, die an drastischen Effecten am reichsten ist, hier erzählen.

In der deutschen Schweiz, besonders aber in den katholischen Cantonen oder Cantons-Theilen, herrscht von alter Zeit her der Gebrauch, namentlich beim Landvolke: im Frühjahr, meist nach Ostern, oft aber auch schon um Fastnacht, große dramatische Schaustücke im Freien zum Besten zu geben.

Bei einem großen Theile derselben geben Acte aus dem Leben eines Volkshelden oder glorreiche Thaten der Vorfahren die Unterlage des Schauspieles ab, das einst von einem Dorfpoeten oder enthusiastischen Schulmeister verfaßt, nie gedruckt wurde, sondern in Abschriften von einem Ort zum andern, von früheren Generationen auf spätere überging. In diesen echten Volksdramen herrscht gewöhnlich eine derbe, feste, dem Volke verständliche Sprache, wie sie der Bauer, der Aelpler, der Senn in Momenten großer Erregung

  1. Bild und Beschreibung der fünf Gräber unter der Körnereiche wird die Gartenlaube ihren Lesern in einer der nächsten Nummern bringen.
  2. Ich muß diesem Artikel eine Entschuldigungsbitte vorausschicken. In der letzten Nummer vorigen Jahrganges zeigte mein verehrter Freund, Herr Keil, den wohlwollenden Lesern der Gartenlaube an, daß der neue Jahrgang dieses Blattes eine Reihe landschaftlicher Schilderungen aus Graubündens Hochalpen von mir enthalten werde, zu denen damals schon die Illustrationen in den Händen der Verlagshandlung sich befanden. Obgleich Freund Keil mich weidlich mit Briefen maßregelte, um seinem Versprechen dem Publicum gegenüber nachkommen zu können, so nahm dennoch die Revision meines soeben in neuer Auflage (für 1863) erschienenen „Reisehandbuches für die Schweiz“, sowie die Besorgung der binnen wenig Tagen erscheinnenden französischen Bearbeitung desselben meine Zeit so vollständig in Anspruch, daß für meine liebe Gartenlaube mir nicht eine Stunde ungestörter Muße übrig blieb; jetzt, wo meine Rothröcke hinauswandern, um jedem Alpenfreunde ihre treugemeinten Dienste anzubieten, bin ich endlich frei, und ein paar herrliche Bummeltage in’s prächtige Wäggithal haben mir die Wintermucken vollends hinausgejagt. Jetzt hole ich mein Versprechen nach, lasse aber zuvor, ehe wir nach Graubünden wandern, noch einen anderen, nicht jener Collection angehörigen Artikel vom Stapel laufen. Dies blos zur Entschuldigung für die Redaction.
    D. Verf.
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Verschiedene: Die Gartenlaube (1863).Leipzig: Ernst Keil, 1863, Seite 423. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1863)_423.jpg&oldid=- (Version vom 5.1.2021)