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Verschiedene: Die Gartenlaube (1863)

entlang zu klettern, bis wir sehen konnten, ob die Condor-Mutter im Neste sei. – Unser Führer protestierte feurig gegen meine Keckheit, aber meine Neugier war durch das, was ich von dem Vogel gehört, so gespannt, daß ich entschlossen war, es auf alle Fälle zu wagen. Nach einer Besprechung mit meinen Freunden wurde beschlossen, daß sie mich nach der Kuppe hinablassen sollten, damit ich in’s Nest sehen könne; war die Mutter nicht im Nest, so wollte ich ein oder ein paar Junge fortnehmen und nach der Spitze der Klippe, wo ich niedergelassen war, zurückgehen, damit ich von dort wieder hinaufgezogen werden könne.

Nachdem ich meinen Revolver nachgesehen und mein Jagdmesser in der Scheide lose gesteckt, bereitete ich mich auf die gefahrvolle Reise, indem ich alle überflüssige Kleidungsstücke abwarf, das eine Ende des Seiles um meinen Leib und das andere um einen Holzblock band, der an den Rand der Klippe gestellt wurde. Dann ließ ich mich vorsichtig hinab, bis ich an den Armen hing, schaute umher und gab, als ich sah, daß Alles in Ordnung war, das Zeichen, daß ich hinabgelassen werden sollte, bis meine Füße die Klippe berührten. Darauf kroch ich leise und sorgfältig entlang, bis ich das Nest entdeckte, das unter Zweigen verborgen war und gegen vier Fuß im Durchmesser hatte. Glücklicherweise war die Mutter fort, und mit freudeklopfendem Herzen ging ich auf das Nest zu, in dessen Nähe ein wilder Weinstock Wurzel gefaßt hatte und eine Felsenhöhlung umrankte. Als ich durch diese hindurchtrat und in das Nest sah, erblickte ich zwei junge Vögel in einem weichen Federnest.

Sie waren etwa so groß wie große Gänse, und ich beschloß daher rasch, sie zusammen zu binden und mit ihnen zu entfliehen. Während ich aber damit beschäftigt war, fühlte ich einen Ruck an meinem Leibe, und man kann sich meine Empfindung denken, als ich gewahrte, daß das Seil sich aus irgend einer Ursache gelockert hatte, losgegangen war und etwa fünfzig Fuß lang über den Abgrund hing. Rasch ließ ich die Vögel fallen, zog mein Messer, schnitte das Seil durch und war im Begriff, es einzustecken, als ein wilder Schrei meine Aufmerksamkeit erregte. Verstört blickte ich auf und erblickte zu meinem Entsetzen über dem See einen furchtbaren Vogel, der die Luft durchschnitt und gerade nach der Richtung, wo ich stand, hinflog. Großer Gott! Nie vergesse ich das entsetzliche Gefühl, das mich in dem Augenblick erfüllte, als ich die volle Gefahr meiner Lage erkannte. Auf dieser Felsenkante, fern von meinen Freunden, allein mit dem ungeheuren Vogel, der wie ein Teufel auf mich zustürmte, um mich zu zerreißen! So furchtbar dieses Gefühl war, fühlte ich jedoch auch Muth und Kraft zum Widerstande in mir, eilte durch die Höhlung zurück, zog meinen Revolver und erwartete den Angriff. Ich brauchte nicht lange zu warten. Mit furchtbarem Schrei, der von Klippe zu Klippe hallte, kam der wüthende Condor auf mich losgeschossen, und als er herabschwebte, erhob ich meinen Revolver und zielte so gut ich es in der furchtbaren Aufregung vermochte. Dreimal schoß ich und entlud den Inhalt des Pistols in die Brust des furchtbaren Thieres, ehe es seine Klauen in mein zuckendes Fleisch schlug und mit dem furchtbaren Schnabel nach mir hackte. Mit der Energie der Verzweiflung hieb ich mit meinem Jagdmesser um mich, während ich mit der linken den Weinstock faßte, um meinen Feind zu verhindern, mich nach dem Abgrund der Klippe zu ziehen. Unablässig bohrte ich das Messer in seinen Leib, aber ohne eine Wirkung dadurch zu erzielen. Während der Vogel so stark und kräftig wie im Anfang fortkämpfte, fühlte ich meine Kräfte schwächer werden und begann zu fürchten, daß sie mich verlassen würden. Meine Stöße wurden nach und nach schwächer, meine Hand hielt den Weinstock nicht mehr fest genug, meine Kniee begannen zu zittern, und ich fühlte, daß meine Kräfte mich verließen. „Gott erbarme sich meiner Seele,“ rief ich betend aus, während ich mit einer letzten furchtbaren Anstrengung mein Messer bis zum Heft in die Kehle meines gefiederten Feindes bohrte. Der Schlag zog mich zu Boden, und es schien mir, als falle ich leise einen dunklen Abgrund hinab, während das geflügelte Unthier meine Kehle zerfleischte, heisere, teuflische Schreie ausstoßend – hinunter, hinunter ging es, bis wir am Fuß einer furchtbaren Kluft ankamen, wo Alles um mich her finster wurde.

Als ich zum Bewußtsein erwachte, lag ich auf dem Boden der Höhle, auf der ich gestanden hatte, und der Condor verendet und steif neben mir. Der letzte Stoß, den ich gethan, hatte die Schneide des Jagdmessers zwischen zwei Rückenwirbel getrieben, die Wirbelsäule durchschnitten und dadurch den unmittelbaren Tod des Ungeheuers verursacht. Aber mit welchen Gefühlen mußte ich um mich blicken! Die Sonne ging herrlicher unter, als ich sie je gesehen, aber nicht ein einziger Laut unterbrach die furchtbare Stille, welche ringsumher herrschte. Verwundet, blutend, halb ohnmächtig und verzweifelnd saß ich dort und bewachte die Felsenhöhen, welche immer dunkler und unbestimmter wurden und sich endlich ganz in dichten, grauen Nebel hüllten, und als Stern nach Stern emportauchte und den Himmel mit seinem Glanz erfüllte, zog die furchtbarste Verzweiflung in meine Brust und mein Verstand began zu wanken. – Welche Hoffnung hatte ich noch. Meine Freunde mußten mich todt glauben und waren zurückgegangen, um nie wieder zurückzukehren. Der Führer würde mein keckes Abenteuer denen der Anderen in seiner wundervollen Erzählung beifügen – und meine Knochen mussten unterdessen unbeerdigt auf dem Felsen meiner Tollkühnheit bleichen! Mit tiefem Seufzer ließ ich das Haupt auf die Brust sinken, und als ich es that, fiel der Schimmer eines kleinen Feuers in der fernen Dunkelheit in mein Auge. – Begierig strengte ich meine fieberischen Augen an, um den Schatten eines menschlichen Wesens in der Nähe des Feuers zu erspähen, denn wo dieses war, mußten auch Menschen sein. Eine schwache Hoffnung entsprang in meiner Brust. Konnten es nicht meine Gefährten sein, die, nachdem sie mich aufgegeben, nach dem Ort zurückgekehrt waren, von dem aus unser Führer uns das Nest gezeigt hatte? Mit dem Gedanken hieran wuchs auch die Hoffnung, ich zog mein Pistol und feuerte beide Läufe nach einander ab, aber ach! es kam kein Laut zurück, als das Echo, das meiner Noth spottete. Großer Gott! Sollte ich im Angesicht menschlicher Wesen, ohne daß sie eine Anstrengung zu meiner Rettung machten, verkommen? Der bloße Gedanke daran machte mich beinahe wahnsinnig, da durchzuckte es wie ein belebender Funke mein angstdurchglühtes Gehirn, und es überkam mich dabei wie ein Gefühl der Rettung, das unheschreibbar ist, daß, ich vielleicht das Nest anzünden und dadurch die unten Befindlichen darauf aufmerksam machen konnte, daß sich oben ein lebendes Wesen befand, das aus Mangel an Hülfe dem Verderben ausgesetzt war. Mit zitternder Hand zündete ich ein Schwefelholz an, häufte ein Paar trockene Blätter zusammen, kroch nach dem Nest und legte sie darauf. Eine Zeit lang schien es, als wollten sie nicht brennen, dann brach jedoch eine Flamme hervor, die trockenen Zweige fingen Feuer und in wenig Minuten brannte das ganze Nest prasselnd lichterloh.

Ach, wie ängstlich bewachte ich es und lauschte, ob ihm nicht ein Zeichen des Verständnisses folgen würde. Freude, Freude! Ja, es kam. Eine Büchse wurde unten abgeschossen, ein zweiter und dritter Schuß folgten. Halb verrückt vor Freude ergriff ich einen großen Theil des brennenden Nestes und schleuderte ihn mit aller Kraft in das Dunkel hinein, und als es wie ein Meteor hinabflog, rollten zwei neue Schüsse durch die stille Luft. Gott sei gelobt! Meine Freunde waren unten, und ich sollte gerettet werden. Ich will jetzt nicht wieder erzählen, was ich während der Nacht empfand und mit welcher halb wahnsinnig machenden Angst ich die langsam dahinschleichenden Stunden bis zur Dämmerung zubrachte. So wie es hell wurde, standen meine Freunde auf dem Felsen über mir und bereiteten Alles zu meiner Rettung. Ich warf den Condor über den Klippenrand und während ich das Seil fest um meinen Leib band, sah ich mit Ueberraschung, wie der Vogel wie ein lebendes Wesen im Kreise flog, jemehr er sich dem See näherte. Die Flügel hatten sich ausgebreitet und trugen ihn langsam von der Felshöhe herab. Während er langsam herniederflog, wurde ich eben so langsam hinaufgezogen, und endlich erreichte ich, unter Freudenrufen, den obersten Felsen, wo ich in die Arme meiner Freunde sank, die mich wie einen vom Tode Erstandenen begrüßten. Sie reichten mir Erfrischungen, verbanden meine Wunden, und eine Stunde nach Sonnenuntergang gelangten wir glücklich nach dem See, wo ich den Preis fand, den ich mit so viel Gefahren errungen hatte, und den ich jetzt als Andenken an die um ihn erduldeten furchtbaren Leiden aufbewahre.

„Das“, sagte mein Freund, indem er unsere Gläser von Neuem füllte, „ist die Geschichte des furchtbaren Vogels, der jetzt so harmlos in meinem Cabinet hängt.“



Körner’s Todtenkranz. Es ist bekannt, daß der jugendliche Held und Dichter oft von dem Vorgefühle seines frühen Todes beschlichen wurde. Kurz vorher, ehe diese trübe Ahnung sich verwirklichen sollte, war er in G. in einer fröhlichen, meist aus jungen Leuten beiderlei Geschlechts bestehenden Gesellschaft. Man scherzte, man lachte, bis durch eine unvermuthete Wendung des Gespräches die Rede auf einen kürzlich verstorbenen jungen Officier kam, dessen Sarg man reich bekränzt mit allen militärischen Ehren zu Grabe getragen habe. Bei diesem Gespräch wurde Körner sehr ernst und äußerte: er fühle nur zu gewiß, daß auch er bald diesen letzten Weg antreten müsse. Man wollte ihm natürlich diese schweren Gedanken ausreden; vor allen war es ein junges, hübsches, lebhaftes Mädchen, die sich für den liebenswürdigen Dichter interessirte und ihm theilnehmend bei dieser Gelegenheit zusprach. „Nun, Mademoiselle,“ sprach Körner, „wenn Sie von dem Gegentheile meiner Ahnung überzeugt sind, so werden Sie mir um so leichter eine Bitte gewähren: winden Sie mit Ihren schönen weißen Händen einen Kranz von Myrthen und Rosen und legen mir diesen Kranz auf den Sarg.“ Julie G. versprach es wie im Scherze mit einem Handschlag, aber mit einem wehmüthigen Schauer. Kurze Zeit darauf drang der Schmerzensschrei: Körner ist gefallen! auch nach G. und zu ihr. Unter heißen Thränen wand das junge Mädchen den versprochenen Todtenkranz und reiste so schnell wie möglich ab. Da aber in jener Zeit Gedanke und That nicht auf Flügeln eilten wie jetzt, kam sie in dem etwa 3 Meilen von G. entfernten Dorfe Wöbbelin erst an, als Körner bereits unter der schönen, von ihm selbst zum Ruheplatze auserwählten Eiche eingesenkt war. Seine Freunde, welche diese traurige Pflicht schweren Herzens erfüllt, waren hingezogen, Körner’s frisches Blut am Feinde zu rächen, und so schlief der Dichter von „Leyer und Schwert“ einsam unter der Eiche, und die Nacht senkte sich auf die Erde, und die Sterne woben ihren unvergänglichen Strahlenkranz.

Da eilte leicht wie ein Schatten eine schlanke weibliche Gestalt über den Feldweg dem einsamen Grabhügel zu. Hier scharrte sie mit ihren zarten Händen und einer kleinen Hacke, die sie mitgebracht, die frisch aufgeworfene Erde hinweg, und als sie den Deckel des Sarges erreicht, rief sie, dreimal an denselben klopfend: „Theodor Körner, ich bringe Dir den versprochenen Myrthenkranz!“ Unter Thränen nahm sie dann Abschied von dem stillen Grabe und eilte heimwärts.

Diese vorstehende Thatsache erzählte mir eine erst kürzlich verstorbene alte würdige Dame. Sie selbst war jene Julie gewesen, welche in ihrer Schwärmerei dies Zeichen inniger Verehrung noch dem jungen Dichter im Grabe darbrachte.

Fr. L. Graff.

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1863).Leipzig: Ernst Keil, 1863, Seite 400. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1863)_400.jpg&oldid=- (Version vom 8.4.2021)