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Verschiedene: Die Gartenlaube (1863)


es bei der energischen Derbheit dieses Staatsmannes nicht an heftigen Auftritten und spitzigen Correspondenzen zwischen Beiden, zumal Vincke ein bedeutendes Erbe väterlicher Heftigkeit besaß; allein Stein erkannte schnell den hohen Werth des jungen Mannes und verhalf ihm bald zu höherer Wirksamkeit. Es galt den Augiasstall eines nichtsthuenden Vorgängers aufzuräumen. Der feuereifrige junge Landrath fuhr unter die Faulpelze seiner Unterbeamten und weckte sie aus vieljährigem Schlummer. Um 4 Uhr des Morgens war er schon an der Arbeit oder auf dem Wege, einen langschlafenden, lahmen Bürgermeister oder Schulzen zu wecken. Bald wußte Jeder, daß er keine Minute vor dem kleinen quecksilbernen Landrathe sicher war. Bald lernten ihn auch seine Kreisinsassen, seine „lieben Bauern“ kennen, lieben, achten, ihm vertrauen und Rath und Hülfe bei ihm suchen. Er konnte stundenlang mit ihnen reden, ohne zu ermüden, war aber selbst kurz, bündig und immer beim Kern der Sache. Er umfaßte das Wohl des Volkes nach allen Richtungen und zwar nicht als Actenwurm oder auf schriftlichem Wege, überall untersuchte er persönlich, kroch in den Küchen und auf den Speichern umher, untersuchte die Wiesen, Felder und Wälder, die Feuerspritzen, Brandeimer und Wasserbehälter und sammelte eine ihn unbeschreiblich fördernde Orts- und Personenkenntniß. Wie stand er mit seinen Bauern? – Eines Tages besucht ihn ein Oberförster von Bülow, ein strenger, adelstolzer Herr, der es unter seiner Würde hält, sich irgendwie mit dem Volke gemein zu machen. Als er keinen Bedienten findet, tritt er durch die Thür und sieht zu seinem Entsetzen den Landrath von Vincke bei zwei Bauern am Ofen in aller Gemüthlichkeit mit übergeschlagenen Beinen sitzen; alle drei schmauchten ihr Pfeifchen im dampferfüllten Zimmer. Weniger gemüthlich ging es ein andermal bei einem reichen ländlichen Bürgermeister zu, der bei jeder Pflicht zu spät kam. Im westphälischen blauen Kittel betrat Vincke in früher Morgenstunde den Hof des Herrn, ward von den Hausmägden für einen frischen, jungen Bauer angesehen, auf die Frage, ob der Herr auf sei, ausgelacht, von ihnen zum Kaffee geladen und mußte zwei bis drei Stunden auf den Langschläfer warten, den er dann zum Schrecken des Hauses gründlich abkanzelte.

Zwei größere Reisen in’s Ausland lassen auf Vincke’s deutsch-westphälische Natur manches interessante Streiflicht fallen. Von dem 1800 in höherem Auftrage nach England unternommenen Ausfluge (von Minden bis London brauchte man damals 24 Tage!) brachte er zur Verwertung in seiner Heimath die wichtigsten landwirthschaftlichen Notizen höherer Kategorie, höchst interessante Details über Blindenanstalten, Irrenhäuser, Fabrikwesen und Schulen mit, fühlte dagegen bei seiner Vorstellung am Hofe zu St. James, zu welcher Haarkräusler und Kleiderkünstler ihn zu seinem Leidwesen ganz neu ausstaffiten, die höchste Langeweile und muß auf einer musikalischen Soirée beim Herzog von York beinahe verhungern.

Man wollte damals in Preußen die Merino-Schafe einführen. Vincke hatte als Kammerassessor in Berlin einen Bericht über die Schafzucht eines schlesischen Grafen abgestattet und war mit Thaer in nahe Beziehung getreten. Dies lenkte die Blicke auf ihn und veranlaßte seine Sendung nach Spanien.




Sport und Sportsmen in England.
I.
Was ist Sport – Seine Bedeutung für das englische Volk – Das Cricketspiel – Das Rudern und Segeln – Der Fischfang mit der Angel – Der Salm.

Was ist Sport? – Vor allen Dingen ist der Begriff, den dieses Wort einschließt, aufzusuchen. Denn Sport ist ein durch und durch national englisches Ding, und die einfache Uebersetzung in die Sprache eines anderen Volkes ist geradezu unmöglich, da mit der Sache ein entsprechender Name fehlt. Zudem sind die Engländer selbst nicht einig, welcher Umfang dem Ausdruck zu geben sei, und manchen Dingen, die die Einen darunter rechnen, bestreiten Andere die Ehre dieses Ranges. Das Wörterbuch sagt aus: Sport ist Vergnügen. Dies ist zum Mindesten ungenau. Ein Wörterbuch kann freilich keine Erläuterung, sondern muß eine Uebersetzung geben, und soll diese in einem einzigen Worte geschehen, so kommt Vergnügen vielleicht noch am nächsten.

Von welcher Seite nun aber den Begriff fassen und festhalten? – Das Einfachste scheint, mit einer Aufzählung der hauptsächlichsten Beschäftigungen anzufangen, die zum Sport gerechnet werden. Haben wir durch eine äußere Uebersicht eine ungefähre concrete Vorstellung gewonnen, so werden wir mit Hülfe dieser leichter die allgemeinen Charaktere entdecken. – Obenan unter den verschiedenen Arten des Sport stehen denn die fünf Ballspiel, Pferderennen, Jagd, Fischfang und Wasserfahrten. Diese sind, so zu sagen, die Blume des Sport, und auf sie wird der Name in vorzüglichem Sinne angewandt. Sie aber erschöpfen bei Weitem nicht die reiche Mannigfaltigkeit von Belustigungen, welche in Wahrheit dahin gerechnet werden müssen. Das Reich des Sport ist im Grunde überhaupt kein fest und ein für alle Mal abgeschlossenes. Die verschiedenartigsten menschlichen Thätigkeiten können unter Umständen den Charakter eines Vergnügens dieser Art annehmen. Ganz besonders wird eine Beschäftigung zum Sport, wenn Einzelne darin eine hohe Vollkommenheit erlangen und öffentliche Wettkämpfe, einen sogenannten Match, unter einander zur Belustigung einer größeren Menge veranstalten. So unter Anderm die einfache Fortbewegung des Menschen auf seinen Füßen: Dauerläufe und Wettmärsche sind häufig anzusehen, und gelten als Sport unter der besondern Bezeichnung Pedestrianism. Aehnlich Schwimmen und Rudern und manche andere Thätigkeiten untergeordneter Art.

Unter dieser bunten Vielfältigkeit von Belustigungen, theils Einzelner, teils einer größeren Anzahl, fallen folgende allgemeine und unterscheidende Merkmale des Sport in’s Auge. Alles abstracte Vergnügen, jeder bloße Genuß des Geistes oder der Seele, ist dem Begriffe fremd. Es ist immer eine äußere, eine körperliche Verrichtung, eine natürliche Thätigkeit von Mensch oder Thier, deren eigene Ausübung oder Anschauung das Vergnügen gewährt. Und gerade in diesem realen, physischen Elemente liegt ein großer Theil des Einflusses, den der Sport auf die Ausbildung der Manneseigenthümlichkeit des Engländers hat. Sodann ist es immer eine Thätigkeit, die von irgend einer Seite die Entwickelung einer besonderen Vollkommenheit voraussetzt, sei dies Körperkraft und Ausdauer, oder Gewandtheit und Geschick. Daher die so gewöhnliche Verbindung des Wettstreitens, des Ringens um den Preis der höheren Vollendung, mit fast allen Arten des Sport. –

Von der Bedeutung des Sport in dem Leben und in der Bildung des englischen Volkes kann sich der Ausländer kaum eine vollkommene Vorstellung machen, ohne dieses Treiben aus der Nähe mit angesehen zu haben. Es sind weniger die Gegenstände und Weisen der Belustigung, die das Interesse und die Bewunderung des fremden Beobachters auf sich ziehen, als vielmehr der Geist, mit dem die Nation sie auffaßt und belebt. Ein jedes Volk hat sein Vergnügen; manche der englischen Sports sind uns selbst vertraut und auf deutschem Boden heimisch. Aber es fehlt hier die tiefe und – es ist nicht zu viel gesagt – die wirklich großartige Durchdringung des nationalen Lebens mit jenem Element. Was den Sport so hoch über die Vergnügungsarten anderer Völker stellt und ihn im eigentlichen Sinne des Worts zu einem Culturelement macht, ist namentlich Zweierlei. Das Eine ist die Allgemeinheit, mit der er von dem ganzen Volke in allen seinen Kreisen getheilt wird. Jeder Engländer, ohne Ausnahme, von dem königlichen Prinzen und dem Nobleman durch die zahllosen Abschichtungen der Gesellschaft herunter bis zum gewöhnlichen Droschkenkutscher und Straßenkehrer, ist ein geborener Sportsman, das heißt, ein Mensch, der am Sport Freude und Lust findet und den lebendigsten Antheil nimmt. Dies schließt natürlich nicht aus, daß Einzelne es darin den Andern zuvorthun und sogar nicht selten aus dem Vergnügen einen Beruf machen. Nichts kann einem Fürsten in England eine sicherere Popularität gewinnen, als wenn er ein guter Sportsman ist, der seinen Fuchs hetzt und auf seinen Gaul wettet wie der erste und letzte seiner Unterthanen. Der Umstand aber, daß die Vornehmsten und Besten des Volkes in jenen Belustigungen voran stehen, giebt diesen selbst eine Weihe und einen Adel, und bewahrt sie am sichersten vor gefährlicher Ausartung. Der andere Punkt, den ich vorhin im Sinne hatte, ist die Intensität und die Mächtigkeit des Interesses, welches der Einzelne am Sport

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1863).Leipzig: Ernst Keil, 1863, Seite 232. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1863)_232.jpg&oldid=- (Version vom 7.1.2019)