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Verschiedene: Die Gartenlaube (1863)

eine Erzählung von den Vorgängen der Nacht begonnen hatte, so weit sie durch das Gerücht schon bekannt geworden waren. „Es würde Dir gewiß gut thun!“

„Laß mich in Ruh’,“ erwiderte der Bauer, „mir ist aller Appetit vergangen. Der Hies soll weiter erzählen.“

„Das ist schon Alles, was ich weiß,“ sagte der Knecht. „Die Jäger und die Gensd’armen und die Grenzwächter sind im Wimbachthal mit den Tyroler Schwärzern zusammen ’troffen, und es ist scharf her’gangen. Ich hab’s vom Botenschuster gehört; der hat noch vor Tag einspannen und in aller Eil’ nach Bertelsgaden fahren müssen, den Bader zu holen – es liegen ihrer sieben oder acht schwer Blessirte draußen beim Bauern am Kniebis...“

„Das ist wohl nur ein Gered’,“ rief die Bäuerin, indem sie sorgsam nach dem Bauer blickte, als ob sie in seinen Mienen die Zustimmung zu ihren Worten lesen wollte. „Ein Jeder, der so was weiter erzählt, macht noch einmal so viel dazu.“

„Nein, nein, es ist Alles wahr!“ sagte der Knecht. „Und Einer geht ganz und gar ab – der Jäger Gaberl ist auch dabei gewesen, aber er ist nit mit heim ’kommen, und kein Mensch weiß, was aus ihm ’worden ist!“

Der Bauer erwiderte nichts, aber über sein Gesicht zuckte eine Bewegung, welche der ohnehin besorgten Mutter nicht entging. Auch Evi quoll der Bissen im Munde, und das Herz schlug ihr bis an den Hals empor; sie dachte an Mentel’s Abwesenheit, an seine offenkundige Feindschaft mit dem vermißten Jäger, und eine entsetzliche Möglichkeit zuckte ihr durch Sinn und Herz.

Eine peinliche Stille war eingetreten, und es war gut, daß die Schüssel geleert war und der Oberknecht durch sein Aufstehen das Zeichen zur allgemeinen Erhebung und zum allgemeinen Gebete gab. Der Reihe nach kniete Alles an den Bänken hin, die gefalteten Hände aufstützend und nachbetend, was die Hausfrau mit ihrer klaren, freundlichen Stimme vorsprach. Laut wurden dann die Bänke gerückt und Alle verließen die Stube, indem sie der Reihe nach in das zinnerne Weihwasserkesselchen am Thürgerüst langten, sich besprengten und mit dem Kreuze bezeichneten. Bald klangen die Schläge der Drischeln wieder von der Tenne herüber.

Evi war bereits unter der Thüre, als der Bauer sie zurückrief. „Ich hab’ dir nur sagen wollen,“ sagte er, indem er sie mit Wohlgefallen betrachtete, „daß ich zufrieden mit Dir bin. Du hast das Vieh schön und gut besorgt, hast keins abfallen lassen und hast mehr Butter und Käs zusammenbracht, als keine von meinen frühern Sennerinnen. Du bist eine ordentliche Person, und wenn’s dir recht ist, bleiben wir bei einander...“

„Mich freut’s, wenn Du einsiehst, daß ich meine Schuldigkeit thu’, Bühelbauer,“ erwiderte Evi, „und wenn’s Dir recht ist, daß wir bei einander bleiben, hab’ ich auch nichts dawider! – Willst sonst auch noch was?“

Der Bauer sah sie verwundert an; daß er Jemand solche Lobsprüche ertheilte, war etwas so Ungewohntes, daß er staunte, sie so gleichmüthig aufgenommen zu sehen. „Ob ich sonst noch was will?“ sagte er, beinahe lachend. „Nein, ganz und gar nichts! Sei nur nit harb, daß ich dich aufgehalten hab’!“ Sie ging, der Bauer aber sah ihr kopfschüttelnd nach. „Eine saubere Person,“ brummte er, „und eine prächtige Dirn – aber hoffärtig wie ein Pfau!“

„Das ist sie nit, Vater,“ sagte die Bäuerin, „sie hat nur ein so gesetztes Wesen an ihr – aber stolz ist sie nichts und hat gar ein gutes Gemüth!“

„Meinetwegen,“ rief der Bauer, indem er aufstand und mit bedächtigen Schritten die Stube durchmaß, „wenn sie ihre Schuldigkeit thut als Dienstbot, was geht mich dann ihr Gemüth an! Mir geht ganz ein anderes Gemüth im Kopf herum ...der Mentel macht mir Sorg’, Bäuerin, mit dem Mentel ist’s nit richtig!“

Er blieb vor ihr stehen und sah ihr, die Hände über’m Rücken gekreuzt, wie forschend in’s Gesicht. „Ach was,“ erwiderte sie und machte sich an dem Spulen ihres Spinnrades zu schaffen, um den Blick nicht aushalten zu müssen. „Was soll denn schon wieder nit richtig sein mit ihm? Du hast alleweil was auszusetzen und zu beschandeln an ihm – er läßt sich in keiner Arbeit spotten, mein’ ich...“

„Und ich bleib’ dabei, es ist nit richtig mit ihm! Er ist bei der Arbeit, ja – aber nur halb! Der beste Theil von seiner Kraft und seinen Gedanken ist anderswo und fliegt wahrscheinlich in der weiten Welt umeinander – vermutlich bei den Gambsen am Gewand und bei den Hirschen im Wald! Das verfluchte Wildpretschießen – – – wenn der Unglücksbub’ nur in seinem Leben keine Büchs zu sehen ’kriegt hätt’!“

„Mach’ dir keine unnütze Sorg’! Er wird’s wohl lassen, seit Du’s ihm verboten hast!“

„Verboten! Was braucht’s da noch Verbieten von meiner Seiten? Ist das Gesetz nit genug? muß ich ihm erst noch verbieten, daß er nit stehlen soll?“

„Stehlen! Wer red’t denn davon? das ist ja doch ganz was Ander’s!“

„Stehlen! Ich sag’s noch einmal! Oder ist das nit gestohlen, wenn er das Wildpret schießt, das nit ihm, sondern dem König gehört?“

„So hab’ nur Geduld – er wird’s wohl lassen, hoff’ ich...“

„Ich wär’ froh, wenn ich’s glauben könnt’, aber es schaut nit darnach aus. Wo treibt er sich alleweil ’rum, der Unnutz? Warum ist er heut wieder nit bei der Morgensuppe gewesen?“

Die Alte sah beklommen zu Boden. „Ich weiß es nit,“ sagte sie, „aber ich denk’ halt...“

„Ja Du denkst und denkst alleweil, wie du ihm hinaushelfen kannst!“ brauste der Bauer auf. „Warum ist er nit da? Wo kann er sein um die frühe Tageszeit?“

„Vermuthlich ist er schon fort in’s Holz...“ erwiderte stockend die Bäuerin. „Hast ihm nit angeschafft, er soll einmal den Schlag übergeh’n?“

„Hab’ mir’s eingebild’t, daß du was ausstudirst!“ lachte der Bauer unwillig. „Bäuerin, ich sag’ dir’s, wenn ich mir so Alles einfallen laß’, was möglich ist... es steigt mir ganz heiß auf in den Kopf! Wenn ich daran denk’, was passirt sein soll diese Nacht – und daß der Mentel vielleicht gar nit daheim gewesen ist...“

„Wer wird denn auch gleich das Schlimmste denken,“ sagte die Bäuerin anscheinend ruhig, aber innerlich von derselben Furcht noch ärger als der Alte gefoltert.

„Ich weiß nit, was ich thät’,“ fuhr der Bauer fort, „wenn etwas passiren thät’, ich will gar nit sagen, was... Das wäre so das Rechte für einen Gemeindevorsteher! Hab’ ohnehin Verdruß genug, Schererei und Lauferei mit der Vorsteherei, und was wird die Geschichte von heut’ Nacht wieder Alles zu thun machen! – Hab’ da erst heut’ wieder einen Befehl vom Landgericht bekommen, hab’s aber noch nit dazu bringen können, zu lesen, was drinnen steht! Ich hab’ meine Augengläser verlegt und kann nur so viel herausbringen, daß es sich um ein davongelaufenes Weibsbild handelt. …“

Er suchte unter den Papieren auf seinem Tischchen und auf dem tiefen Fenstergesims herum und tastete nach der Brille; dabei fiel sein Blick wie zufällig durch die Scheiben in’s Freie, und ein Ruf des Unmuths entfuhr ihm.

„Aber so fluch’ doch nit gleich so lästerlich!“

„Da müßt’ ein Kapuziner scheltend werden! da schau hinaus, Bäuerin, da kommt er just auf’s Haus zu, der Mentel! Ueber den Bühel, vom Thal kommt er her, nit vom Schlag! Und wie er ausschaut – ich brauch keine Brillen, um das zu seh’n! Blaß und übernächtig, verrissen, schmutzig und voll Ruß, kommt man so aus dem Schlag zurück? Da schau hinaus, Mutterl, weil Du doch alleweil hätschelst und pantschelst mit ihm... schau’ das Früchtel an und sag’ selber, ob der im Schlag gewesen ist... der Lump ist richtig gar nit daheim gewesen, die ganze Nacht!“ Während dieser Worte hatte er hastig den Fensterreiber aufgedreht und rief durch den halbgeöffneten Flügel hinaus: „Da herein, Mentel! Schleich nit um’s Eck’ in’s Haus, wie ein Dieb... da komm’ herein, wenn Du ein gutes Gewissen hast!“

Der Bursche stand und zögerte einen Augenblick, ob er dem Rufe folgen solle; er sah ein, daß wieder einer jener Auftritte zwischen Vater und Sohn bevorstand, wie sie leider seit geraumer Zeit keine Seltenheit mehr waren auf dem sonst so friedlichen Bühelhofe. Es war aber keine Möglichkeit, der unangenehmen Erörterung zu entgehen; deshalb wandte er sich entschlossen um und schritt der Hausthüre zu.

„Guten Morgen, Vater!“ sagte er beim Eintreten, indem er den Hut bei Seite legte, auf welchem neben Gemsbart und Spielhahnstoß der Strauß von Alpenrosen und Edelweiß prangte. „Was schaffst?“

Der Bauer hatte sich gesetzt und wehrte mit einer Handbegung

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