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Verschiedene: Die Gartenlaube (1863)

Einstimmig erfolgte die Annahme derselben. Die Tage bis zum 9. Februar, dem Schluß dieser denkwürdigen Sitzung, beschäftigte man sich nur noch mit den Anordnungen zur schleunigen Ausführug der gefaßten Beschlüsse. Eine eigene in Permanenz verbleibende Landwehr-Commission ward eingesetzt, die nötigen Geschäfte in die Hand zu nehmen und so schnell als möglich zu Ende zu führen. Der Major Graf Dohna erhielt den Auftrag, nach Breslau zu reisen, um nachträglich für das Geschehene die Sanction des Königs einzuholen.

Große, herrliche, ruhmvolle Zeit! Jetzt war der Boden bereitet und der Moment zum Handeln für das Volk eingetreten. Der Volkskrieg, den Stein mit der Errichtung der Landwehr entzünden gewollt, er war da – geharnischt, gerüstet, wie einst die Minerva dem Haupte Jupiters entstiegen, hatte dieser große Gedanke mit seiner eignen Verwirlichung den Volks-, den heiligen Krieg fertig, abgeschlossen aus sich hervortreten lassen. Alles dachte, handelte, lebte nur für den Krieg. Wer zählt die hehren Beispiele von des Alterthums würdiger Vaterlandsliebe, welche, die Lohe der Begeisterung, immer weiter tragend, jeder Tag neu erzeugte? Von den Ständemitgliedern, welche, der alte Graf Dohna unter den Ersten, nach kaum beendeter Berathung eilten, die Ständeuniform mit dem einfachen Landwehrrock zu vertauschen, bis zu der Bettlerin von Lyck, die ihr einziges Hemde dem Vaterlande darbrachte; in Angerburg, wo, der Bürgermeister Mey voran, die ganze wehrhafte Bevölkerung des Orts mit jubelndem Ruf sich zur Landwehr stellte, und im Dorf Lorquitten, wo der Streit über die Ehre, zum Waffendienst zugezogen zu werden, fast zu blutigen Händeln geführt hätte; von den unbärtigen Knaben, die nicht abließen, zu bitten und zu betteln, in die Reihe der Vaterlandsvertheidiger aufgenommen zu werden, bis zu dem 75jährigen Invaliden Radzkowsky und dem 72jährigen Lieutenant Seitz, welche Beide, Allen später im Kampfe vorleuchtend, sich unter den Besten das eiserne Kreuz verdienten: überall derselbe hochherzige, vor keinem Opfer zurückschreckende Geist, überall das innigste, stolzbewußte Zusammenwirken zu dem einen, Allen gemeinsamen Zweck, der Befreiung des Vaterlandes.

Es gab kein Halten, kein Deuteln mehr, vor der Wucht dieser Thatsachen mußten alle Bedenken schwinden. Unterm 17. März ward endlich zu Breslau auch die Ordre zur Errichtung der Landwehr in den übrigen preußischen Provinzen ausgegeben.

Die bei der ostpreußischen Landwehr einmal fest normirten Grundsätze hatten unter der zwingenden Gewalt der Verhältnisse dabei fast unverändert in die Bestimmungen auch über diese Neubildung aufgenommen werden müssen, und die Resultate der Wehrbarmachung des Volks entsprachen vollkommen den von deren Urhebern dabei in’s Auge gefaßten Erwartungen. Die Geschichte der Landwehr in den Jahren 1813 bis 1815 ist von dem ersten bis zum letzten Blatt derselben eine Geschichte voll Ruhm und Sieg, voll freudiger Hingebung und glänzender Erfolge. Wenn neuerdings in tendenziöser Weise die Tage von Kulm, von Goldberg und Löwenberg als Beweise gegen die Kriegstüchtigkeit der Landwehr geltend gemacht worden sind, so waren es dort doch ausschließlich nur die weit überwiegend aus den der polnischen Nationalität angehörigen oberschlesischen Mannschaften zusammengesetzten schlesischen Landwehr-Regimenter, welche theilweise versagten, und wenigstens an dem erstgenannten Tage haben die neben denselben fechtenden alten Linien-Regimenter vor denselben keinen Vorzug bewiesen. Die den rein deutschen Provinzen des preußischen Staats angehörigen Landwehren sind wohl bei Rheims einmal vom Feinde überfallen, aber im ganzen Verlauf des Krieges von demselben nie besiegt, nie geschlagen worden.

Indeß es lag in der Natur der Verhältnisse begründet, daß mit dem Sieg selbst auch für die Landwehrverfassung ein Rückschlag eintreten mußte. Das preußische Volk war noch zu wenig politisch entwickelt, um die Gewähr, welche es in derselben für die künftige freie Gestaltung seines Staatslebens besaß, mit eifersüchtiger Sorge hüten zu sollen. Wo hätten in dem Lande, das, neben der freisinnigsten Wehrverfassung der Welt, noch keine regelmäßige Volksvertretung besaß, auch die Organe zum Schutz und zur Behauptung jener gefunden werden sollen? – In dem Grade, als die endliche Niederlage Napoleon’s sich immer unzweifelhafter herausstellte, traten auch die Anzeichen der wiedererstarkten Richtung gegen diese neue Schöpfung immer bestimmter hervor, und mit dem gegenwärtig so häufig angezogenen Gesetz vom 3. September 1814 ward der Landwehr durch den Wegfall der für die ursprüngliche Fassung dieses Instituts so wichtigen Anlehnung an die Gemeinden und Kreise, wie mit der thatsächlichen Beseitigung der freien Wahl der Führer bereits der bisherige Charakter einer Volkswehr entzogen und sie an dessen Statt in eine Reserve des stehenden Heeres umgewandelt. Im Gegensatz zu den sechs Wochen, welche Scharnhorst bei dem von ihm zur vorbereitenden Verstärkung der Armee von 1808 bis 1813 in Anwendung gesetzten Krümpersystem für die militärische Ausbildung der jungen Mannschaften ausreichend erachtet hatte, wurde jetzt die active Dienstzeit auf drei Jahre normirt; es galt eben vor Allem durch Eingewöhnung in eine nach dem alten Zuschnitt gemodelte Disciplin und Subordination das neue Volksheer ebenso unbedingt in die Hand der Regierung zu bringen, als dies mit dem früheren stehenden Werbeheere nur je der Fall gewesen war. Dennoch aber bleibt das erwähnte Gesetz unendlich wichtig für den gegenwärtigen Streit, sein Ursprung lag jener großen Zeit von 1813 doch noch zu nahe, als daß der in dieser wirksame freie Geist sich in demselben nicht hätte wiederspiegeln sollen. Nur den eigentlichen Schwerpunkt dieses Gesetzes gilt es genau zu erkennen und unverrückt festzuhalten, und dieser liegt in der Landwehr begründet. Die zweijährige Dienstzeit, in welcher sich der erwähnte Streit mehr und mehr zu concentriren droht, kann gegen die allseitige unbedingte Wichtigkeit jener jedenfalls nur eine in die zweite Reihe zurücktretende[WS 1] Bedeutung beanspruchen. Das, was die Landwehr war, was sie sein soll, dafür bleiben freilich die Normen in jener alten, einstigen Landwehr zu suchen; in dieser, in der glücklichen Zusammensetzung der preußischen Waffenmacht von 1813, sind unbedenklich die Keime nicht nur der Wehrverfassung der Zukunft für Preußen, sondern überhaupt der neuen, auf die freie Entwicklung der Volkskraft gerichteten Zeit enthalten.


Ueber die Feier des fünfzigjährigen Jubiläums der Landwehr sprechen die öffentlichen Organe in Preußen sich sehr verschieden aus. In allen äußert sich die bittere Stimmung des preußischen Volks über den Zwiespalt zwischen ihm und seiner Regierung, den die feudale Partei verursachte und nun benutzt, um sich als ein nach beiden Seiten giftiger Keil zwischen Thron und Land fest zu setzen. – Solcher Kundgebung gegenüber drangen viele Stimmen, besonders vom Rhein her, auf die Entsagung von jeder öffentlichen Feier. Andere, namentlich im Mansfelder Seekreise und in Berlin, erinnern an die vielen darbenden Veteranen des Befreiungskriegs, deren man in Berlin allein 652, mit Ehrenzeichen geschmückt, Noth und Elend in ihrer Erscheinung ausgeprägt, durch die Straßen wanken sehe, und begehren wenigstens für sie ein Fest. – Wieder Andere halten die Standarte der geschichtlichen Ehre und des geschichtlichen Rechts aufrecht, indem sie sagen: Das freiwillige Wort des Königs (als er am 22. Mai 1815 dem preußischen Staate eine Verfassung versprach) und die Hingabe des Volks sind der große Rechtstitel der preußischen Constitution. Die Landwehr und die Verfassung gehören in Preußen zusammen, und darum ist die Landwehrfeier des Volkes Ehrenpflicht. – Am entschiedensten traten die Patrioten des Hagener Kreises auf. Sie beschlossen mit Einstimmigkeit die Feier des Tages, und zwar am 5. Februar, dem Tage des Aufrufs der Freiwilligen. Wie die Bewegung des Jahres 1813 vom Volke ausgegangen sei, sei es auch jetzt eine Ehrensache des Volkes, die Feier selbstständig und aus eigenem Antrieb in die Hand zu nehmen, – und wie man damals einmüthig aufgestanden sei gegen den äußern Feind, so solle man jetzt den innern Feind in geschlossener Phalanx bekämpfen, den wahren Feind Preußens, die feudale Partei: so erhebe sich das Fest zu einer Demonstration des ganzen Preußenvolks für sein Abgeordnetenhaus, das dadurch einen neuen Halt gewinne, um unbeirrt in der betretenen Bahn fortzuschreiten. – Und während in solcher Stimmung und mit solchen für das Landwehrwesen kampfbereiten Entschlüssen das Volk seinem Feste entgegengeht, ja während der König selbst für die Feier jener großen Zeit seine Anordnungen gebietet, hat die Gegenpartei, wenn die Zeitungsnachrichten nicht trügen, zum Vernichtungsschlag gegen das ganze Landwehrsystem ausgeholt durch die fast siegesgewiß verkündete Einführung der Stellvertretung im preußischen Heere. Damit wäre der Abfall von der alten Wehrverfassung – und wohl nicht von dieser allein – besiegelt!


  1. Im Original: zurücktetende
Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1863).Leipzig: Ernst Keil, 1863, Seite 56. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1863)_056.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)