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Verschiedene: Die Gartenlaube (1863)

Aus den Zeiten der schweren Noth.
Nr. 8. Der Landtag zu Königsberg und die Errichtung der Landwehr.
Von Ferd. Pflug.
(Schluß.)


Als eine besondere Gunst des Zufalls mußte jetzt gelten, daß eine der Hauptbestrebungen der Junker und Franzosenfreunde in Berlin vordem darauf gerichtet gewesen war, die Männer der entschiedenen Actionspartei, welche sie nicht unmittelbar zu stürzen vermochten, mindestens doch in der einen oder andern Weise in die entlegenen Provinzen zu entfernen, um so für den Verfolg ihrer eignen Pläne und Absichten in der Hauptstadt desto freieren Spielraum zu gewinnen. Ein gleich günstiges Geschick wollte, daß mehrere der bedeutendsten Männer derselben Partei, die, verzweifelnd an den eignen preußischen Zuständen oder verfolgt von den französischen Schergen, in Rußland eine Zuflucht oder einen neuen Wirkungskreis gesucht hatten, in Anlaß des jetzigen Umschwungs der Dinge, mit diesem Moment in Königsberg wieder zusammengetroffen waren. Der Graf Alexander von Dohna-Schlobitten, einst neben und mit Stein Minister des Innern, gehörte zu den Ersteren, Moritz Arndt, der mit dem Letztgenannten gekommen war und auf denselben den größten Einfluß ausübte, wie Clausewitz zählten zu den Letzteren. Dieser, der spätere große Militärschriftsteller und befähigtste Schüler Scharnhorst’s, wie dessen Hauptgehülfe namentlich auch bei Ausarbeitung des Landwehr-Entwurfs, übernahm es, diesen Entwurf zur unmittelbaren praktischen Ausführung vorzubereiten und zugleich York, mit dem er als einer der russischen Unterhändler bereits zu Tauroggen in vertrautere Beziehungen getreten war, demselben günstig zu stimmen. Der schon erwähnte und von York hochgeachtete Regierungspräsident v. Schön, der ebenfalls nach Königsberg gekommen, unterstützte ihn hierin, während Moritz Arndt sich bemühte, das Schroffe und Herbe in dem Charakter Stein’s thunlichst auszugleichen und denselben den anderweitig aufgestellten Forderungen nachgiebig zu stimmen. Dohna endlich hatte als schwierigste Aufgabe die Vertretung des gefaßten Plans in der Versammlung übernommen. Wo jene, die eigentlichen Urheber desselben, kraft ihrer eigenthümlichen Stellung nicht unmittelbar handelnd eintreten konnten, wollte er sie ersetzend und ergänzend eintreten. Alles war so vorbereitet. York gab nach, Stein trat in die bescheidene zweite Reihe zurück. Bereits am 23. Januar ward der Landtag unter Hinzuziehung auch der Deputirten der westpreußischen Kreise diesseits der Weichsel auf den 5. Februar nach Königsberg ausgeschrieben.

Der große Tag war endlich erschienen. York, von einer Deputation in die Versammlung abgeholt, sprach für die Errichtung einer Landwehr. Der ganze Mann, eisern, fest, kar und selbstbewußt im Wollen und Vollbringen, klang aus seinen Worten wieder. Hingerissen von stürmischer Begeisterung schlugen alle Herzen ihm entgegen. Glücklich warf Dohna den von Clausewitz bearbeiteten und von ihm selber den Umständen noch mehr angepaßten Landwehr-Entwurf in den bewegten Moment hinein. Es gab hier kein dissentirendes Votum mehr, die Aufstellung von 30,000 Mann Landwehr Seitens der Provinz, 20,000 davon in erster Reihe, 10,000 in Reserve, ward thatsächlich schon an diesem ersten Tage entschieden.

Zuvor jedoch, und das ehrt diese Männer noch mehr, hatten sie auch den Schatten einer russischen Beeinflussung von ihren Berathungen und Beschlußfassungen zu entfernen gewußt. Ein unmittelbar deutsches Werk sollte die neue große Schöpfung aus ihrem freien und selbstständigen Entschluß hervorgehen. Nur mit York, dem zeitigen Militär-Gouverneur der Provinz, wollten sie über den Entwurf dazu unterhandeln, nur auf dessen Autorität ihre Entscheidung begründen. Daß dieser, wie die Berliner Zeitungen bereits unterm 9. Januar berichtet hatten, sich gegenwärtig seines Commandos entsetzt befand, galt ihnen dabei nicht. Der Bote, welcher die Entsetzungsordre an den General überbringen sollte, Major Natzmer, war hiermit an der Weichsel von den russischen Posten aufgehalten und zurückgewiesen worden, und York befand sich deshalb nach der Auffassung der Versammlung auch noch in der vollkommen rechtlichen Ausübung der ihm übertragenen Militärstellung. Diese Auslegung mochte angezweifelt werden, thatsächlich hatten die Stände mit derselben unbedingt das Gebiet des durchaus eigenmächtigen Handelns betreten. Der günstige Umstand, daß sich momentan der Osten der Monarchie durch die Kriegsoperationen der Russen gegen die sich nothdürftig noch zwischen der Weichsel und Oder behauptenden französischen Abtheilungen von dem Westen so gut wie abgeschnitten befand, und die Erhebung des Augenblicks ließen dies bedenkliche Verhältniß jedoch kaum in einigen vereinzelten Andeutungen durchklingen. Der Bann des Herkömmlichen und Gewöhnlichen war durch den einmal entfesselten Strom gewaltsam durchbrochen worden, die Erregung der Gemüther wogte zu voll und schwer, als daß die Dämme der staatlichen Ordnung nicht davon hätten überfluthet werden sollen.

Die Leiter der Bewegung kannten jedoch aus eigner trüber Erfahrung den schleppenden Verlauf der Dinge in Berlin und, da die eigentlich bestimmenden Persönlichkeiten größtentheils dieselben geblieben waren, zweifelsohne jetzt auch noch in Breslau zu gut, um die Verwirklichung und Durchführung des einmal in die Hand genommenen Werks den widerstreitenden und schwächlichen Einflüssen dort überlassen zu sollen. Eine vollendete, durch nichts mehr zu ändernde, zu beseitigende Thatsache mußte die Errichtung der Landwehr vor jene Männer hintreten, um deren endlicher Zustimmung und der Uebertragung derselben Einrichtung auch auf die anderen Provinzen des Staats gewiß sein zu dürfen.

Stein, der den Volkskrieg entzünden wollte, und Clausewitz, der die erhöhte militärische Brauchbarkeit der neuen Volkstruppen hierbei zunächst in’s Auge faßte, trafen außerdem auch noch in einem andern wichtigen Punkt zusammen. Beide hatten 1812 die russische Landwehr und deren geringe Wirksamkeit zu beobachten Gelegenheit gehabt, der Scharfblick dieser hellsehenden Geister aber begriff zu schnell und sicher, als daß ihnen die ängstlich genaue Einfügung dieser Landwehren in das stehende Linienheer als die Ursache der auffälligen Schwäche derselben hätte verborgen bleiben sollen. Der vom Pfluge weggerissene Bauer wird immer neben dem altgeschulten Soldaten nur eine traurige Rolle zu spielen vermögen, doch der zur Vertheidigung von Haus und Heerd, zum Schutze seines Vaterlandes ausgerufene freie Mann wird, was ihm an Uebung gegen den Berufssoldaten abgeht, durch verdoppelten Eifer, durch die ihn beseelenden geistigen Potenzen ersetzend, jenen sehr bald überbieten, oder sich ihm doch mindestens vollkommen ebenbürtig zur Seite stellen. Das war der große Grundgedanke, den Scharnhorst bei seinem ersten Landwehr-Entwurf schon, wenn auch nur dunkel, vorempfunden hatte und der bei der thatsächlichen Inslebenrufung der preußischen Landwehr nach der zusammentreffenden Idee der genannten Beiden nunmehr verwirklicht werden sollte.

Es geschah in diesem Sinne, wenn sich in Clausewitz’s Entwurf die Landwehr in allen Einzelnheiten auf die Gemeinde und den Kreis zurückgeführt und aus diesem entwickelt befand. Die Züge, Compagnien und Bataillone derselben sollten sich möglichst immer aus den Mannschaften der gleichen Orte, Gemeinden und Kreise zusammengesetzt finden. Eben diese Letzteren trugen die Kosten der ersten Ausrüstung ihrer Landwehrleute, wie denn auch der Unterhalt derselben bis zu deren Ausmarsch in’s Feld ihnen zur Last fiel. Wer durch körperliche Gebrechen oder sonstige Umstände sich von der Theilnahme am Landwehrdienst befreit fand, sollte nach seiner Vermögenslage zur Aufbringung der zu dem Rüstungswerk nöthigen Gelder um desto höher besteuert werden. Pflichtig für den Dienst der Landwehr war die ganze nicht schon dem stehenden Heere oder dessen Reserve angehörige wehrbare Mannschaft vom 20. bis 40. Jahre; bei der nur aufzubringenden genau normirten Zahl entschied indeß über die eigentliche Einstellung das Loos, wofern die Quote der von den einzelnen Orten aufzubringenden Landwehrleute nicht auch ohnehin schon durch freiwillige Gestellung aufgebracht werden konnte. Die Officierstellen endlich wurden bis zum Major aufwärts durch Wahl der eigenen Mannschaft besetzt, nur die Ernennungen für die höheren Stellungen blieben der Entscheidung des Königs vorbehalten. Der thatsächliche Begriff war hier der speciellen Bezeichnung lange vorausgeeilt. Dieser Entwurf enthielt genau das, was wir heute unter dem Namen der Volkswehr erstreben.

Dohna hatte im Großen und Ganzen diese Grundsätze auch in seine der Versammlung unterbreitete Landwehrvorlage aufgenommen.

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1863).Leipzig: Ernst Keil, 1863, Seite 55. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1863)_055.jpg&oldid=- (Version vom 21.4.2017)