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Verschiedene: Die Gartenlaube (1863)

das Bewußtsein, daß wir einen letzten und äußersten Versuch zur Rettung der Freiheit machten und daß, wenn dieser Versuch mißlang, mit ihm vielleicht unser ganzes Leben zugleich ein mißlungenes wurde. Trotzdem herrschte in jener Versammlung die Heiterkeit des Wiedersehens; unsere Partei hatte im Laufe des Jahres eine Art Familiengefühles bekommen, viele einzelne Mitglieder waren unter einander auf’s Innigste befreundet, und zu alle dem kam, daß die große Mehrheit der Anwesenden sich gerade durch das Schwierige unserer Lage gehoben fühlte.

Am 6. Juni Morgens neun Uhr versammelten wir uns auf dem Rathhause, um uns von da nach der würtembergischen Kammer zu begeben. Bürgerwehr bildete den ganzen Weg entlang ununterbrochene Spaliere, und hinter diesen drängte sich das Volk, um uns durch Zuruf zu begrüßen und zu ermuntern. Der kleine Saal der würtembergischen Kammer war groß genug, um die deutsche Nationalversammlung, welche einst in den weiten Räumen der Paulskirche kaum Platz hatte, bequem zu beherbergen. An die große, säulengetragene Rotunde mit den weiten Gallerien gewöhnt, war es uns hier zu Muthe, als befänden wir uns in einem hübschen Familienzimmer. Indessen war unsere Schaar nicht so klein, als man gewöhnlich annimmt. Hundertunddrei oder hundertundfünf Mitglieder waren bereits anwesend; Manche, die zur äußersten Linken gehörten und die uns unter andern Umständen gewiß begleitet hätten, waren als Theilnehmer an der Pfälzer und badischen Bewegung in der Ferne, wie z. B. Ludwig Bamberger aus Mainz, Trützschler, Martin, Würth aus Sigmaringen u. A. Nahe an funfzig waren mit „Entschuldigung“ abwesend und gehörten de facto noch zur Nationalversammlung, obwohl sie ihrem ganzen Wesen nach nichts mehr mit uns zu thun hatten und nur noch aus Politik, um abwarten zu können, ihre Austrittserkläurugen verzögerten. Zu diesen darf man wohl die Herren Beseler, Edel, Robert Mohl, Tellkamp u. A. zählen.

Löwe von Calbe wurde zum Präsidenten gewählt, und es begannen sofort die Debatten, welche die Schöpfung eines neuen Mittelpunktes, einer neuen Centalgewalt zum Zwecke hatten. Der Reichsverweser konnte als Vertreter der Centralgewalt von uns nicht anerkannt werden; er hatte keine der Pflichten erfüllt, die er beschworen, und die Gewalt, die man ihm anvertraut hatte, gegen die Nation gekehrt, die ihn an die Spitze gestellt. Wir waren mehr als berechtigt, wir waren verpflichtet, diese Centralgewalt als null und nichtig wenigstens zu erklären, und es war geboten, eine neue zu schaffen, für den Fall, daß ihr noch irgend eine Wirksamkeit gegönnt wäre. Die Debatten, die sich in Bezug darauf entspannen, sowie die Debatten der folgenden Tage zeichneten sich vor denen der Paulskirche vortheilhaft durch ihre Kürze aus. Man fühlte wohl, daß man keine Zeit zu verlieren hatte, und es war keine Partei da, in deren Interesse es lag, vor Allem Zeit zu gewinnen und die revolutionäre Kraft verrauchen zu lassen, wie das ein Jahr hindurch in der Paulskirche der Fall gewesen. Nur um vor der Nation unsere Schritte zu motiviren, hielt noch Vogt eine seiner glänzenden Reden. Was in dieser ersten Sitzung noch auffallen mußte, war die größere Thätigkeit, die Uhland jetzt entwickelte. Es war ein Antrag von ihm auf der Tagesordnung, und er sprach auch einmal vom Platze. Weil die Gefahr da war, wurde dieser Edle auch thätiger. Er griff unmittelbar ein, während er sich in der Paulskirche immer im Hintergrunde gehalten hatte, und er sprach frisch weg und eifrig seine Meinung aus, da es ihm doch sonst eine große Ueberwindung kostete, eine Rede zu halten. Ich erinnere mich, wie ich ihm in der Paulskirche, als er nach seiner Kaiserrede die Tribüne verließ, einige Schritte entgegen eilte, in der Besorgniß, daß ihm, aufgeregt wie er war, etwas begegnen könnte, und wie er mir beinahe athemlos versicherte, daß er mehr als zwei Dritttheile dessen, was er sagen wollte, vergessen habe. Jetzt war es anders. Er sprach kurz, aber entschieden und präcis, horchte nach allen Seiten, blickte überaus ruhig und war wie ein Steuermann, der auf Alles achtet. Der Minister Römer nahm sich neben ihm wie das böse Gewissen aus; er schob sich auf seinem Sitze hin und her, beugte sich bald vor-, bald rückwärts, fuhr sich mit den Händen über’s Gesicht und murmelte viel vor sich hin, ohne ein lautes Wort zu sprechen.

In dieser ersten, wie in allen spätern Stuttgarter Sitzungen wurden uns Ergebenheits-Adressen vorgelesen oder angekündigt, die allerdings von vielseitigem gutem Willen zeugten, gegen die aber Unsereiner schon längst abgehärtet war. Ebenso kamen uns verschiedene Geschenke zu, und unter diesen auch noch ein Beitrag zur deutschen Flotte, was wohl Manchen noch hätte lachen oder lächeln machen können, wenn man damals überhaupt zur Beobachtung der komischen Momente und der komischen Seiten unserer Lage gestimmt gewesen wäre. Es war damals schon ebenso schwer, an die deutsche Flotte zu glauben, wie an eine deutsche Reichsverfassung.

Am Nachmittag des 6. Juni gingen wir an die Wahl der Reichsregentschaft. Mehr oder weniger hatten wir Alle die Ueberzeugung, daß wir damit etwas Illusorisches begannen, und gewiß waren die fünf Männer, die wir zu Reichsregenten ernannten, von dieser Ueberzeugung durchdrungen. Desto größer war ihr Opfer, daß sie sich zu einem Versuche hergaben, der wie ein Spiel ausfallen konnte, ja der alle Wahrscheinlichkeit des Mißlingens für sich hatte. In der That ist die Selbstverleugnung, die diese Männer zeigten, nicht genug zu rühmen. Man sage, was man wolle, man mache alle Witze, welche Gefallenen gegenüber so leicht zu machen sind, so ist es doch wahr, daß Charaktere und Intelligenzen, wie Heinrich Simon, Schüler, Raveaux, Becher, Vogt, selten in einer Regierung vereinigt sind, und man darf behaupten, daß solche Männer, wo sich ihnen nicht Unmöglichkeiten entgegenstellen, ein Regierungscollegium bilden würden, das hoch über all den Regierungen stünde, welche uns besiegt haben. Man vergleiche diese Männer mit den Ministerien und Regierungen der damaligen Zeit und sage, ob hier zu viel behauptet oder übertrieben werde. Daß sie mit unbestreitbarem Rechte auf ihrer Seite doch unterlagen und das vorgesteckte Ziel nicht erreichten, das beweist nur, daß Recht, Charakter und Geist auf dieser Erde nicht immer, vielleicht am seltensten den Sieg davon tragen, und daß dieser häufiger ihren Antagonisten, ihrem Gegentheile bestimmt ist. Die Wahl der Reichsregenten wurde von den Gallerien mit Begeisterung aufgenommen, und in der ganzen Umgebung der Kammer erscholl gewaltiger Jubel, als man von Einsetzung der Reichsregentschaft vernahm. Ich gestehe, daß dieser Jubel, als er in den Sitzungssaal eindrang, mein Herz mit den schmerzlichsten Gefühlen und mit der größten Bitterkeit erfüllte. Aber es blieb uns nichts mehr übrig, als wenigstens die Form des Rechtes zu erfüllen, da es uns, die wir von der Majorität der Nationalversammlung, sagen wir es nur gerade heraus, feige verlassen waren, nicht gegönnt war, das Recht selbst zu verwirklichen. Wir versuchten das Letzte und Aeußerste, wenn es auch bereits wie ein leeres Spiel aussah, und mit kaltem Blute, nach jahrelanger Abkühlung scheint mir dieses Spiel noch immer würdiger, als die Desertion der Mehrzahl, die so rasch den Regierungen gehorchte und die Fahne dahinwarf, die ihr die Nation in die Hände gegeben. Was wir thaten und begannen, war Moschus, den wir dem sterbenden Rechte eingaben, um noch Tage oder Stunden zu gewinnen, während welcher eine heilsame Krisis, eine Rettung möglicherweise eintreten konnte.

Am 8. Juni nahm Fürst Waldburg-Zeil Urlaub, und so that auch der Abgeordnete Giskra. Das waren Symptome. An diesem Tage hatte auch schon Herr Römer, unser College, seine gegen die Nationalversammlung gerichtete Ansprache an das würtembergische Volk erlassen, und damit war der Krieg erklärt und der Bruch des Rechtes eingeleitet, welches Herr Römer selbst in dieser Ansprache noch anerkannte. So stark ist der Deutsche, wenn es gilt, die Theorie von der Praxis zu scheiden. Es ist wohl zu bemerken, daß Herr Römer seinen Austritt aus der Nationalversammlung erst am 13., also nach Erlaß der Ansprache, anzeigte. Allerlei dunkle Gerüchte verbreiteten sich in Folge dieser Kriegserklärung; unsere Freunde glaubten uns von drohenden Gefahren umgeben, und ihre Besorgnisse schienen gerechtfertigt, als man sich überzeugen konnte, daß in der That allerlei militärische Vorbereitungen getroffen wurden. Es kamen uns allerlei Warnungen zu, und der Schreiber dieser Zeilen erhielt selbst einen Brief von einer mit höhern Kreisen in Verbindung stehenden Person, in welchem er beschworen wurde, an seine Sicherheit zu denken und Stuttgart zu verlassen. Die Bürgerwehr bot uns ihren Schutz an, und das Bureau der Nationalversammlung, auf den Antrag eingehend, verlangte, daß die Bürgerwehrartillerie vor dem Sitzungssaale auffahre, um uns den Eingang frei zu erhalten. Aber als die Artillerie Folge leisten wollte, fand es sich, daß die Regierung an ihr Eigenthum Hand gelegt und ihre Kanonen confiscirt hatte.

Die Sitzung des 8. Juni war die letzte, die wir in der würtembergischen Kammer gehalten; von diesem Tage an waren wir,

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