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verschiedene: Die Gartenlaube (1862)

Zuhörerkreises hätten losringen können. Noch schüttelten die Nächststehenden Jacoby tiefgerührt die Hände, als Präsident Gmür, eine bejahrte, aber ungebeugte hohe Gestalt, hervortrat und mit sichtbarer Bewegung folgende schlichte Worte sprach: „Ich bin, wie Sie mir glauben werden, nicht vorbereitet und auch nicht gewandt zum öffentlichen Sprechen. Nur einfach erkläre ich, daß das, was die Schrift und der Vertrag enthaltet, mit aller Bereitwilligkeit eingehalten werden soll und die Gemeinde Murg dieses Denkmals Hüter sein wird. In allem andern bitte ich, daß man bereitwillig nur die große Liebe und Verehrung für den Seligen statt aller fernern Worte von mir und uns annehme.“

Laute Beifallsrufe begleiteten die Worte des wackern Mannes, und ein vaterländisches Lied entstieg den geübten Stimmen der Harmonie. Dann begann Moritz Hartmann seine Festrede:

„Bürger! deutsche und Schweizerbrüder! Wo die Vorväter einen Bund schlossen, da richteten sie einen Altar, und „das Buch“ vergißt es nicht, Bund und Altar zu erwähnen. Wo sie Brunnen gruben am Wege und in der Wüste zur Labung des Wanderers, des Pilgrims, auch da vergißt das Buch nicht es zu erwähnen, und sie benennen nach diesen Brunnen die Geschichte der Städte und Länder. Mit diesem Denkmal der menschlichen Bünde der Liebe und Milde hat dieses Denkmal, das wir heute hier errichten, mehr Aehnliches, als mit den Denkmälern der Eitelkeit, der Herrschsucht. Es ist ein stilles Denkmal der erfüllten Pflicht. Es ist ein Denkmal der Milde und Liebe. Der Ruhm Heinrich Simon’s klingt nicht laut wie Kanonendonner und wie das Brechen geschworner Eide (Beifall) oder wie Ambos und Hammer beim Kettenschmieden. (Lauter Beifall.) Es ist ein stiller Ruhm wie ein gutes Gewissen; und ein unbeweglicher Ruhm ist wie das Recht selbst, und demgemäß liegt dieses Monument hier hinter unnahbaren Bergen in unentweihtem Boden, gerade wie das unnahbare Bewußtsein, wie das unangreifbare Gewissen!

Als er für die Unabhängigkeit des Rechtes, für das Recht des preußischen Volkes überhaupt aufgetreten war – damals brachte ihm eine Zahl von Freunden und Gleichgesinnten einen Pokal dar, mit der Inschrift: „Virtuti“. Dieses wurde das Symbol seines Lebens. Sein Lebensbrod und Kelch trug diese Inschrift, worin er mit der ganzen Welt communicirte. Virtuti steht hier in seinem Monumente, das einzige, vielbedeutende Wort: die Mannhaftigkeit, die Tapferkeit, die Tugend. Er dachte, er beschloß wie ein Mann; er kämpfte mit Tapferkeit für das, was er als Recht erkannt und beschlossen hatte; und fleckenlos ging seine Tugend aus dem Kampfe hervor. Dieses Eine Wort ist sein ganzen Leben, sein ganzes Leben diese einzige Thatsache, daß er im Exil gestorben, und diese einfachen Worte sind nur ein kürzerer Commentar zu der ganzen Geschichte, die das Eine Wort Virtus erzählt.

Soll ich Ihnen das Leben, das Ihnen Allen bekannt ist, noch einmal erzählen? Ja, denn es ist ein Spiegel des Schönsten und Besten im deutschen Volke; denn sein Leben ist ein Sammelpunkt aller jener edlen Strömungen, die in der deutschen Nation über die Katarakte der deutschen Geschichte zusammenströmen. Es ist jener Thautropfen, in dem sich die ganze Sonne spiegelt; sein Leben jene klare Atmosphäre der Höhen, durch die wir in die ferne Zukunft blicken. Sein Leben für das öffentliche Wohl begann naturgemäß zu dem Zeitpunkt, wo in seinem Vaterlande die Liebe für das Abgestorbene und Dahingeschiedene den Thron bestiegen.[1] Die Liebe für die Zukunft mußte in diesem Zeitpunkt auftreten, wie das Heilmittel und das Gift eng bei einander sproßt in der großen Natur. Er trat zuerst für Religionsfreiheit auf, und als man dem preußischen Volke das Einzige nehmen wollte, die Unabhängigkeit des Richters, d. h. die Unabhängigkeit des Rechtes selbst, trat er gegen diesen fürchterlich drohenden Gewaltstreich auf. Seine größte That aber war es, als er zum dritten Mal auftrat, da man dem deutschen Volk anstatt des Brodes einen Stein, anstatt des Weines Essig, und anstatt der Wahrheit Heuchelei bieten wollte, als das sogenannte Februarpatent veröffentlicht wurde. Wie freute sich ein Theil der deutschen Nation, sich mit dem Scheine begnügen zu können; wie froh war man, nicht kämpfen zu müssen, da Einem nicht ein Papier geboten werden sollte, und doch nichts Anderes es war, als ein Papier! Er aber rief im entscheidenden Momente: „Annehmen oder Ablehnen?“ und er selbst gab die Entscheidung zu Letztem.

Von diesem Augenblicke an stand Heinrich Simon überall in den ersten Reihen der Kämpfer für das Recht des Einzelnen, wie für das Recht des Staates. Ihn schickte deshalb seine Vaterstadt an Friedrich Wilhelm IV., als sie wollte, daß ein Mann vor einem Thron spreche, ihn schickte das Vertrauen seiner Mitbürger und Gesinnungsgenossen in das Vorparlament, das Vertrauen dieser Männer in den Fünfzigerausschuß und das Vertrauen des ganzen Volkes in das deutsche Parlament zu Frankfurt. Sie kennen seine Stellung hier, und Viele von Ihnen als Augenzeugen.

Sie wissen, mit welcher Achtung, ja mit welcher Ehrfurcht man horchte, wenn Er sprach. Sie wissen, daß er Einer der Wenigen war, die die Parteienwuth selbst nicht mit der Verleumdung, die doch alle Welt angriff, anzugreifen wagte. Man wußte zu gut, daß die deutsche Nation es wisse, wie Heinrich Simon sein Auge und Herz nur dem Einen Ziele zugewandt habe: der Größe, der Freiheit seines Vaterlandes. Sehr bezeichnend ist es, daß seine Stellung ursprünglich eine vermittelnde war, daß er sich aber der kämpfenden und thätigen Partei mehr und mehr näherte, je größer die Gefahr für das Recht und die Freiheit ward, und Jeder, der ihn kannte, konnte es voraussagen, daß er auch beim letzten Häuflein stehen würde. So war es auch. Er stand mit den Letzten; und als das Lager der Freiheit gänzlich versprengt wurde, war er es, auf den zuletzt noch das kleine Häuflein die Blicke richtete, war er es, der sich in die vordersten Reihen stellte, als Führer dieses Häufleins. Auch auf diesem Posten harrte er bis zum letzten Augenblicke aus, denn das Ausharren war es, was ihn auszeichnete. Schritt für Schritt, und Fußbreit für Fußbreit kämpfte er für das Recht, bis er mit dem letzten Schritte das Land des Exils betrat. –

Auch hier hörte seine Wirksamkeit nicht auf. Wir wollen bei diesem Lobe nicht verweilen; wir wissen, daß er sein Brod mit seinen Gesinnungs- und Leidensgenossen theilte. Ein großer Verwandter seines Geistes, der große Ghibelline, der in der Verbannung die Hölle malte, schildert sein eigenes Elend in den Worten: „Mit allen Unglücklichen empfinde ich Mitleid, aber das größte Unglück mit den Unglücklichen, denen es nur im Traum vergönnt ist, ihr Vaterland zu sehen.“ –

Doch sollen wir über das Exil sprechen? Nein, es hieße den Triumph unsrer Feinde vergrößern. Vergessen wir nur nicht, was er opferte! Seine Stellung, in der er von der Achtung der Besten umgeben war; eine Familie, eine seelenadlige Familie, deren Blüthe er war, in der sich die schönsten und besten Eigenschaften dieser Familie vereinigten, die ihm mit Stolz und Sehnsucht nachsah, wie einer Mutter und einem Vater, der ihr jene Wege des Rechtes und der Tugend gelehrt hatte zu wandeln; und ein Vaterland, das ihm um so werther war, je mehr er ihm Opfer brachte.

Dürfen wir aber von Heinrich Simon und seinem Exile sprechen, ohne des Landes zu gedenken, das ihn gastlich und edel aufnahm?

Dieser Freistaat, dieser edle Freistaat aller freien Gedanken aller Welt! Wohin wir sehen, an allen Seen liegen sie, die Märtyrer aller Nationen; die Märtyrer für den Glauben, die Italien, Frankreich und selbst Spanien hergesandt hat; die Märtyrer der Könige – und endlich haben wir hier in nächster Nähe einen Märtyrer, Ullrich Hutten, den würdigen Vorläufer Heinrich Simon’s. Gesegnet sei dieses Land, das so vielen Kämpfern für ihre Ueberzeugung eine Freistatt gewährt hat, dessen Freiheit das Dach war für so viele Obdachlose, und Sie Alle, die Sie hier sind, Nichtschweizer, Sie werden in diesen Segen mit voller Herzlichkeit einstimmen, wie Sie Alle, Schweizer! (Anhaltender Beifall.)

Aber, meine Herren, selbst durch die Gegenwart dieses Grabes seien wir nicht betrübt! Wir feiern kein Todtenfest, wir feiern ein Fest der Heiterkeit. Wir haben ein Recht, mit Heiterkeit auf einen Menschen und ein Leben zurückzublicken, das von der Heiterkeit erfüllter Pflicht getragen war. Mit Uebereinstimmung des Wesens Heinrich Simon’s hat der Künstler jene rein griechischen Formen gewählt, die dem freien Staate und der schönen Lebenslust voll sich geweiht hatten. Heinrich Simon’s Leben war ein eng in sich abgeschlossnes Kunstwerk, und er selbst ein schönes Menschenbild, und er starb, wie Einer, den die Götter lieben, in der Fülle des Lebens, wie Einer, der ewige Jugend in sich fühlt. Warum sollten wir traurig sein? Modell der Bürger, die wir erwarten, derjenigen Bürger Beispiel, deren Mitbürger er war – feiern wir ihn nicht besser als mit jener heitern Hoffnung, die ihn beseelte, wenn wir damit in die Zukunft sehen, und ihr

festvertrauend mit dem Rufe endigen: Es lebe dieses edle und

  1. Friedrich Wilhelm IV.
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verschiedene: Die Gartenlaube (1862). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1862, Seite 734. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1862)_734.jpg&oldid=- (Version vom 12.12.2020)