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verschiedene: Die Gartenlaube (1862)

auf der Insel weideten, und ich begriff jetzt erst, wie die Schiffer dazu kommen konnten, die Albatrosse, welche in südlichen Meeren in ähnlicher Weise sich zeigen, mit dem Namen „Capschafe“ zu beschenken. Hier war aber mit der Jagd nichts zu machen; denn sonderbarer Weise zeigten sich die doch ganz unbehelligten Pelekane scheuer als irgendwo. Sie wichen dem Boote mit der größten Sorgfalt aus und erhoben sich augenblicklich, wenn unser Führer, welcher meinetwegen ein menschliches Rühren zu verspüren schien, den Versuch machte, sich ihnen zu nähern. Ich schoß einige Male mit der Büchse vergeblich unter die Haufen, fand es aber bald unterhaltender, einem der hier sehr häufigen Haifische oder einem der immer und immer wieder auftauchenden Delphine eine Kugel auf den Pelz zu brennen. Schließlich hatte ich die Jagd entsagend aufgegeben. Da half mir ein glücklicher Zufall doch noch zur Erfüllung meines Wunsches.

Auf unserem Boote war wegen der langen Fahrt das Brennholz ausgegangen, und unsere Matrosen, welche jetzt, während des Ramadan, überhaupt nur eine Mahlzeit genossen, thaten alles Mögliche, um eine Landung zu bewerkstelligen. Eine kleine Insel, die „Djesiret el Namuhs“, schien ihnen besonders geeignet zu sein, sich mit neuem Vorrath zu versehen. Auf sie hin wurde also das Schiff gelenkt. Ich erfuhr beiläufig, daß die Insel von Menschen verlassen sei und auch niemals bewohnt werden könne, weil sie ihren Namen mit erschreckender Wahrheit bethätige. Djesiret el Namuhs bedeutet nämlich die Mückeninsel, und nach den Versicherungen unserer Matrosen sollten diese kleinen Quälgeister der höheren Geschöpfe in geradezu unglaublichen Schaaren dort heimisch sein.

Gegen Abend stieg das Eiland über den Meeresspiegel heraus, und nach weiterer Fahrt zeigte es sich als ein ausgebrannter Krater, welcher ringsum mit einem dichten Walde mittelhoher Bäume oder besser hoher Büsche bewachsen war. Auf dem grünen Rande sah ich zu meiner nicht geringen Freude dicht aneinander jene lebendigen weißen Blüthen, welche die Pelekane und Reiher ihm eingestickt hatten. Die Mückeninsel war ein Schlafplatz der von mir gewünschten Vögel, und wie es schien, hatte sich ein guter Theil der Bewohner des rothen Meeres hier versammelt.

Ich beschloß, sofort den zum Schlafen aufgebäumten Vögeln einen Besuch zu machen. Nächtliche Jagden habe ich von jeher mit besonderer Liebe betrieben, weil sie bei vielen Thieren, und zumal bei Vögeln, gewöhnlich am sichersten zum Ziele führen. Man kann sich da so hübsch verstecken, und der arme, fliegende Schelm, den man aus seinen ersten Träumen aufstört, hängt viel zu sehr an dem einmal gewählten Platze, als daß er gleich flüchten sollte; er zeichnet sich auch, wenn die Nacht ziemlich dunkel ist, im Fliegen noch immer klar genug ab, um es dem Schützen möglich zu machen, das Todesrohr einigermaßen sicher zu richten.

Etwas nach Sonnenuntergang waren wir zur Stelle gekommen und warfen den Anker in eine jener seichten, mit dem reinsten Sande erfüllten Straßen, welche zwischen den Korallenbänken verlaufen und schon von Weitem sichtbar sind. Das kleine Boot wurde ausgehoben, in das Wasser gelassen und mit vier Matrosen bemannt. Ich hatte kaum Platz zum Sitzen mehr. Rasch steuerten wir der Insel entgegen. Als wir dort ankamen, war die Nacht bereits eingetreten. Ich ging längs des Strandes dahin, mühselig mir einen Weg suchend; denn bald kam ich an Stellen, wo das Gebüsch bis hart an das Wasser heranreichte, oder an andere, wo die Korallenbänke erhoben worden waren, aber noch ganz ihre Zerklüftung beibehalten hatten. Hier konnte jeder Schritt gefährlich werden; man konnte, ohne es zu ahnen, in eine jener tiefen Höhlungen versinken, welche, Brunnen ähnelnd, in den Korallenkalk eingetieft und gewöhnlich mit dem durchsickernden oder überfluthenden Wasser gefüllt sind. Drei von den Matrosen wendeten sich in der entgegengesetzten Richtung, um Holz zu sammeln, der vierte begleitete mich, und seinen Falkenaugen überließ ich es auch gern, den passendsten Weg zu suchen; ich hatte ohnehin mit meinen Augen genug in der Höhe zu thun.

Sobald wir den Busch betreten, fanden wir, daß die Insel ihrem Namen Ehre machte. Noch war es still zwischen den Bäumen, und wir konnten deshalb das bekannte und gehaßte Schwirren der Mücken deutlich genug vernehmen. Wie hungrige Blutegel fielen sie über uns her; nach wenigen Augenblicken waren wir von einer Wolke umgeben, und diese nahm an Dichtigkeit und Größe zu, je weiter wir vorwärts schritten. Aber das jetzt sich regende Jagdfeuer ließ, mich wenigstens, der Mücken nicht mehr achten. Gleich beim Eintreten in den Wald verkündigte mir die tiefe Baßstimme eines Pelekan, daß er etwas Ungewöhnliches gewahrt haben mußte, und bald darauf hörte ich an dem Flügelschlag, daß er sich erhoben hatte, um Rundschau zu halten. Ich blieb auf einer kleinen, lichten Blöße stehen und sah, daß mehrere der Vögel wach und rege geworden waren, bemerkte aber zugleich auch, daß sie noch keine Ahnung von dem Vorhandensein eines so gefährlichen Feindes haben konnten. Sie kreisten ruhig und still über dem Walde; einer nahte sich, und der erste Schuß donnerte durch die Nacht. Der Pelekan zuckte zusammen; die Flügel wurden schlaff, er sauste nieder. Allein ich hatte die Richtung seines Fluges nicht beachtet. Das Parallelogramm der Kräfte machte sich geltend. Hart vor mir, aber immer noch zu weit, stürzte der getödtete Vogel klatschend auf die Meeresfläche, und die von dem Ufer zurückgeworfenen Wellen trugen ihn bald weiter und weiter hinaus in die dunkle See.

Unmöglich vermag ich den Eindruck zu beschreiben, welchen dieser Schuß auf die schlafende Gesellschaft hervorrief. Hunderte von Pelekanbässen wurden hörbar, die Reiher kreischten laut auf; Alles flog und schwirrte durcheinander; von jeder Seite her vernahm man das Fuchteln der Flügelschläge, und an dem dunklen Himmel zog ein Schatten nach dem andern vorüber. Ich sandte rasch den zweiten Schuß ab. Er blieb erfolglos; wahrscheinlich hatte ich mich in der Entfernung getäuscht. Wiederum erhob sich ein neuer Schwarm aus dem Dickicht. Es schien, als hätten die Thiere den ersten Schuß überhört oder wären nach ihm starr vor Schrecken geworden und hätten gleich wieder gebäumt. Mit dem dritten Schuß donnerte ich einen zweiten Pelekan herab. Er fiel unweit von uns in das Gebüsch. Wie ein Leopard kroch der Somali, welcher mich begleitete, durch die Büsche, und lange mußte er suchen, ehe er die Beute auffand.

Tiefer und tiefer waren wir in den Wald gekommen; aber mit jedem Schritte wurde er undurchdringlicher. Tausende von Dornen bemühten sich, wenn auch glücklicher Weise vergebens, mir meine Kleidung vom Leibe zu reißen; Aeste, welche nicht richtig gesehen worden waren, schlugen mir den Hut vom Kopfe oder hingen sich in die Riemen der Jagdtasche; jeder Schritt mußte erst erkauft, errungen werden. In solchen Augenblicken merkte ich nun auch wieder die mir nachziehenden stechenden Quälgeister: – es war unmöglich weiter vorzudringen. Der Führer erhielt also den Befehl, umzukehren. Er tappte, er suchte, er kroch; der gute Somali hatte den Weg verloren! – Jetzt war unsere Lage keineswegs eine angenehme mehr, obgleich ich es überaus lächerlich fand, in einem Walde, welcher höchstens ein paar Morgen Landes deckte, mich verirrt zu haben. Alle Mittel wurden nun aufgeboten, um uns wieder herauszusitzen. Aber wie es bei solchen Gelegenheiten zu gehen pflegt: wir kamen dadurch nur noch tiefer in das Dickicht hinein. Der Matrose erhob seine Stimme, so laut er konnte; er lauerte umsonst auf Antwort. Selbst das eintönige und doch so angenehme Schlagen der Wogen, welche gar nicht weit von uns an den Felsen brandeten, tönte nur wie ein schwacher Schall herüber; denn jeder Laut wurde von den im höchsten Grad erschreckten Vögeln vollständig übertäubt. Man vernahm nichts weiter, als ein unentwirrbares Zusammenklingen der allerverschiedenartigsten Stimmen, von denen auch nicht eine einzige angenehm genannt werden konnte. Das war ein Kreischen und Quaken ohne Aufhören! Der Baß der Pelekane grollte da nur dumpf dazwischen.

Mich fesselte unsere Lage. Ich träumte mich so recht in das Vogelleben hinein und dachte, daß eine Nacht in diesem Dickicht unter so anziehender Gesellschaft doch auch ertragen werden müßte. Wir hätten ja zuletzt uns häuslich einrichten können. Gefährliche Thiere gab es in diesem Urwalde nicht, und ein recht kräftiges Feuer mit darauf geworfenen grünen Zweigen hätte die Mücken schon vertrieben. Mein Somali aber war anderer Ansicht. Er schauderte bei dem Gedanken, auf der verrufenen Insel nur eine Stunde länger bleiben zu müssen, als nöthig. Immer und immer wieder versuchte er einen Ausweg zu finden. Endlich schien ihm das Glück gelächelt zu haben. Er rief mich zu sich; ich arbeitete mich durch die Büsche und sah nach etwa hundert mit mancher Fährlichkeit zurückgelegten Schritten vor mir den leuchtenden Schaum der Wogen, welche[WS 1] sanft an der Küste sich umstürzten.

„Gott sei gelobt!“ rief der Erfreute, „wir haben das Meer und gehen nun am Strande hin.“ Der gute Mann irrte sich wiederum.


  1. Vorlage: walche
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verschiedene: Die Gartenlaube (1862). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1862, Seite 730. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1862)_730.jpg&oldid=- (Version vom 12.12.2020)