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verschiedene: Die Gartenlaube (1862)

Anderen dieselbe zuzueignen, oder sonst einen Vortheil davon zu verschaffen. Verbraucht jedoch Jemand ihm anvertrautes Geld oder andere Sachen, die nur in derselben Gattung zu gewähren sind, z. B. Getreide, und hat er dabei die wohlbegründete Ueberzeugung, daß er zur bestimmten Zeit oder auf jedesmaliges Verlangen des Berechtigten Ersatz leisten könne, so begeht er keine Unterschlagung, dafern er nicht Cassen-Beamter ist, denn einem solchen kommt die wohlbegründete Ueberzeugung, daß er werde Ersatz leisten können, nicht zu statten. –

Sagt man im gewöhnlichen Leben, man habe eine Sache verloren, so will man damit allerdings bezeichnen, daß man nicht mehr im Besitze derselben sei. Man faßt aber dabei den Begriff des Besitzes nicht weit und nennt mitunter schon das Geldstück verloren, das man in seinem Zimmer auf den Boden fallen ließ und nicht sofort wieder finden kann. Der Jurist setzt dem Besitz eine weitere Grenze, indem er das noch nicht als verloren betrachtet, was man wiederzufinden in seiner Gewalt hat, oder was sich im Gewahrsame, z. B. im Zimmer, im Hause, im Garten und dergl. befindet, oder was man eben erst verloren hat, indem man sich des Ortes, wo es liegt, noch lebhaft erinnert. Erst dann, wenn sich der Eigenthümer nicht mehr zu erinnern vermag, wo ihm seine Sache abhanden gekommen, oder wenn ein äußerer Zufall hinzugetreten ist, der ihm die Einwirkung auf solche unmöglich macht, hat er den Besitz verloren. Da der sogen. Funddiebstahl milder beurtheilt wird, als der Diebstahl, so wird dies natürlich von großer Wichtigkeit. Ein Beispiel giebt folgender Fall. [1]

Ein Müller fuhr, noch am hellen Tage, mit einem beladenen Wagen auf der Chaussee nach seinem Dorfe und legte, in der Nähe desselben angelangt, auf den hintern Theil des Wagens seinen Pelz, den er bis dahin am Leibe gehabt hatte. Bald fiel der Pelz auf die Straße, ein Wandersmann sah ihn herabfallen und warf ihn mit seinem Stocke in den Chausseegraben, begab sich dann in einen benachbarten Wald und versteckte sich hinter einen Baum. Eine dritte Person hatte das Gebahren beobachtet und setzte den Müller in Kenntniß. Dieser kehrte um, holte den Fremden ein und fragte ihn nach dem Pelze. Der Fremde stellte nicht nur in Abrede, daß er von dem Pelze etwas wisse, sondern schlug sogar dessen Eigenthümer.

Nach Schluß der eingeleiteten Untersuchung betrachtete die erste Instanz das vorliegende Vergehen als Vorenthaltung einer gefundenen Sache und leichte Körperverletzung. Der Pelz des Müllers sei, nach dem Sprachgebrauche, verloren gewesen, der Eigenthümer habe den Ort, wo sich sein Pelz befunden, nicht gewußt und also auf seine Sache nicht einwirken können. Durch das bloße Ansichnehmen des Pelzes habe der Angeschuldigte keine unerlaubte Handlung begangen, und seine Handlungsweise sei erst dadurch verbrecherisch geworden, daß er den Pelz nicht an den Verlierer zurückgegeben, sondern dessen Auffinden abgeleugnet habe. Die höhere Instanz erkannte dagegen, daß der Angeschuldigte einen wirklichen Diebstahl begangen habe. Der Pelz sei nach rechtlichen Begriffen gar nicht verloren gewesen, da sich der Eigenthümer bei der Kürze der Zeit des Verlustes und des zurückgelegten Weges durch ein einziges Umblicken über den Verblieb seines Pelzes hätte vergewissern und ihn sofort wieder an sich nehmen können, wenn nicht der Angeschuldigte durch das Verstecken desselben dies vereitelt hätte. Der wirkliche Besitz des Pelzes sei durch das Herabfallen vom Wagen noch nicht verloren gewesen. Vom gewöhnlichen Sprachgebrauche könne hier nicht ausgegangen werden, da man nicht anstehe z. B. ein Taschentuch als verloren zu bezeichnen, das einem im Zimmer eben aus der Tasche gefallen sei.

Der sogenannte Funddiebstahl (Fundunterschlagung, strafbare Vorenthaltung fremder Sachen) wird erst dann angenommen, wenn Seiten des Finders eine solche Handlung vorgenommen worden ist, welche die Ansicht zu erkennen giebt, sich die gefundene Sache anzueignen, also ein Verstecken, Verleugnen derselben. Spiegelberg in den Räubern macht aus dem Benehmen beim Finden einer Sache einen Prüfstein für anzuwerbende Räuberrekruten, indem er zu Razmann sagt: „– – – oder besser und kürzer, du gehst und wirfst einen vollen Beutel auf die offene Straße, versteckst dich irgendwo und merkst dir wohl, wer ihn aufhebt – eine Weile d’rauf jagst Du hinterher, suchst, schreist und fragst nur so im Vorbeigehen: Haben der Herr nicht etwa einen Geldbeutel gefunden? Sagt er ja, – nun, so hat’s der Teufel gesehen; leugnet er’s aber: Der Herr verzeihen – ich wüßte mich nicht zu entsinnen – ich bedauere – (aufspringend) Bruder! Triumph, Bruder! lösch deine Laterne aus, schlauer Diogenes! – du hast deinen Mann gefunden.“ –

Aufheben darf demnach Jeder eine Sache, welche er findet, nur muß er sie auf die vom Eigenthümer oder sonst Berechtigten resp. Seiten der Obrigkeit erfolgte Nachfrage nicht verleugnen, sie vielmehr dem Verlierer, wenn dieser ihm soweit bekannt geworden, daß er in den Stand gesetzt wurde, die Sache an den rechten Mann zu bringen, aushändigen oder der Behörde Anzeige erstatten. Wo in den Gesetzen für die letztgedachte Anzeige keine Frist bestimmt ist, thut man wohl, sie sobald als möglich zu machen, worauf man dann, wenn sich nach einer gewissen Frist der Eigenthümer nicht gemeldet hat, soweit dies das Gesetz bestimmt, einen Antheil vom Erlöse der gefundenen Sache als sogenanntes Finderlohn erhält. Einige Gesetze stellen dem Funddiebstahle gleich das Unterschlagen angeschwemmter Sachen und gefundener Schätze. Ein in der Erde verborgener Schatz, dessen Eigenthümer durch die Länge der Zeit gänzlich unbekannt geworden ist, gehört nach den Grundsätzen des gemeinen Rechtes zur Hälfte dem Finder und zur Hälfte dem Eigenthümer des Grundes und Bodens, worin er gefunden wurde. Wenn aber absichtlich und ohne Einwilligung des Grundeigenthümers danach gesucht worden ist, so kann dieser das Ganze fordern. Der Staatsfiscus hat das Recht des Eigenthümers bei Grundstücken, die in öffentlichem Eigenthume stehen, z. B. Staatswaldungen, Staatsgebäuden, öffentlichen Chausseen und dergleichen. – Eine Fundunterschlagung findet demnach bei Schätzen dann statt, wenn der Finder in eigennütziger Absicht die in den Rechten geordnete Ablieferung unterläßt.

In der Gegenwart bestehen die Strafen des Diebstahls in Freiheitsstrafen, von den leichteren – Gefängnißstrafe – bis zu den schwereren – Arbeitshaus, Zuchthaus, schwerer Kerker etc. – je nach dem Werthe der gestohlenen Sache und ihrer besonderen Eigenschaften, sowie nach der Art und Weise der Verübung und den Eigenschaften des Diebes, wobei besonders die Rückfälligkeit in Betracht kommt. Ein Diebstahl, verübt zur augenblicklichen Befriedigung des Hungers oder der Lüsternheit an Eßwaaren, ist besonders mild zu beurtheilen und war nach der peinlichen Gerichtsordnung in dem Falle sogar straflos, wenn der Dieb die eßbaren Gegenstände entwendet hatte, um sich selbst, sein Weib oder seine Kinder dem Hungertode zu entziehen. – Die Untersuchung und Bestrafung des Diebstahls hat in der Regel ohne darauf gerichteten Antrag zu erfolgen, jedoch wird ausnahmsweise ein solcher erfordert bei Diebstählen unter nahen Verwandten und Ehegatten - insofern einzelne Gesetze hier die Bestrafung nicht ganz ausschließen. Freiwillig geleisteter, vollständiger Ersatz vor Entdeckung des Diebstahls (bez. vor dem Einschreiten der Behörde) ist entweder in hohem Grade ein mildernder Umstand oder hebt die Strafbarkeit beim einfachen Diebstahl ganz auf. – Die Strafen der Fundunterschlagung sind durchgängig geringer, als die des Diebstahls, bestehen sogar nach Landesgesetzen bei geringeren Beträgen in Geldbußen, setzen einen Antrag des Verletzten voraus oder sind bei ganz geringen Beträgen, vorausgesetzt, daß der Finder den Fund nicht verleugnet oder die dem Verderben ausgesetzte Sache verbraucht hat, straflos.

Ueber Forst-, Wild- und Felddiebstähle bestimmen in den meisten deutschen Staaten besondere Gesetze.




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verschiedene: Die Gartenlaube (1862). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1862, Seite 728. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1862)_728.jpg&oldid=- (Version vom 10.11.2020)
  1. Ausführlich mitgetheilt in Dr. Friedrich Oscar Schwarze’s Allgem[.] Gerichtszeitung für das Königreich Sachsen und die Großherzogl. und Herzogl. Sächs. Länder, Jahrg. 1858.