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verschiedene: Die Gartenlaube (1862)

Grabesschauer, indem man ihn betritt. Keine Spur von Tageslicht dringt in das entsetzliche Gewölbe, ein Moderduft haucht dem Vorschreitenden entgegen; der Gang wendet sich links, man gewahrt die Spuren von vier eisernen Thüren und einen etwas breiteren Raum, vermuthlich den Aufenthaltsort einer Wache; dann wieder rechts sich wendend, steht der Besucher in einer finstern Höhle, deren Wände von dein herabsickernden, fauligen Wasser blitzen. Das Licht der Führerin fällt auf einen schauerlichen Gegenstand: wir stehen vor der „eisernen Jungfer“.

Die entsetzliche Maschine befindet sich genau auf derselben Stelle, auf welcher sie ehedem ihre furchtbaren Dienste leistete. Die Figur ist sieben Nürnbergische Fuß hoch und hat die Tracht einer Nürnberger Bürgerfrau des 16. Jahrhunderts, im Mantel mit der Haube auf dem Kopfe, wie die nebenstehende Abbildung zeigt. Mit dicken Eisenplatten bedeckt, aus Schienen und Stangen zusammengesetzt, von der feuchten Luft triefend und mit Rost bezogen, macht sie einen grauenerregenderen Eindruck, als die Bilder gewisser indischer Götzen, denen Menschenopfer dargebracht werden. Die Vordertheile bilden zwei mit eisernen Handhaben versehene Klappen, welche durch Charnierbänder mit der Hinterseite verbunden sind.

Inwendig befinden sich verschiedene Dolchspitzen. Betrachtet man den Untertheil der Figur, so bemerkt man, daß dieselbe auf einer hölzernen, mittelst Schieber zu öffnenden Klappe steht. Nachdem die Klappe geöffnet ist, sieht man in eine viereckige Röhre hinab und gewahrt durch ein hinuntergelassenes Licht am Ende derselben Wasser. Es hat auf den ersten Blick den Anschein, als sei die Maschine lediglich zur Tödtung bestimmt gewesen. Bei genauerer Betrachtung läßt sich jedoch Manches dagegen einwenden. Die Spitzen scheinen von einer anderen Arbeit, als der Eisenüberzug der Figur; aber warum sollten sie auch nur zum Tödten gedient haben? und war, wie schon oben bemerkt, der Verurtheilte so vieler Umstände werth? wenn aber die Tödtung vollstreckt war, so hielten die Spitzen den Körper in der Figur fest, und das Hinabfallen desselben in das unterirdische Wasser war unmöglich, das Wasser selbst aber unnütz. Es hätte ferner nur des Zuschlagens der mit Spitzen versehenen Vorderklappen bedurft, um dem in der Figur befindlichen Maleficanten den Garaus zu machen. Man gewahrt aber gegenüber von der „Jungfer“ ein in die Wand gemauertes Instrument, genau wie unsere Wagenwinden gestaltet. Das hintere Ende hängt in einem Charniere, und so konnte die Winde horizontal gegen die Figur gerichtet werden. Befand sich der Verurtheilte nun in der Maschine, so ward das Kurbelrad gedreht, und das vordere, mit einem breiten, halbmondförmigen Eisen versehene Ende preßte gegen die zusammengelegten Vorderklappen und übte einen furchtbar quälenden Druck auf den in der Maschine Eingeschlossenen. Sollte er getödtet werden, so war die Presse überflüssig, denn das Zuschlagen der Klappen mußte sofort tödten. Es scheint indessen, daß die Spitzen wohl später angebracht worden sind, vielleicht um das Grauenhafte des Eindrucks zu erhöhen, vielleicht sind sie auch kleiner und an anderen Stellen befindlich gewesen, um nur Schmerzen, nicht aber den Tod herbeizuführen. Jedenfalls war dieser Grad der Tortur ein sehr schwerer, und es begreift sich leicht, welche Marter der Eingeschlossene ausstehen mußte, wenn immer dichter und dichter die Klappen sich gegen ihn preßten; und gewiß hat es häufig genug keiner Dolchspitzen bedurft, um einen Getödteten in der Maschine zu finden.

Uebrigens erzählt schon Tearfall, daß die zu Feistritz befindliche „Jungfer“ mannigfacher Reparaturen bedurft hätte; es ist möglich, daß die Spitzen vergrößert und vermehrt wurden, wenn anders das Nürnberger Exemplar das früher zu Feistritz befindlich gewesene ist. Das unter der Figur sichtbare Wasser konnte ich nicht genauer untersuchen. Es soll nach den eingezogenen Erkundigungen sich in einen Canal verlaufen, der seinen unterirdischen Ausfluß in dem Garten der höchst angesehenen Familie Plattner haben soll, ein Garten, welcher vor der Stadtmauer liegt. Es entsteht immer wieder die Frage, wozu ein geheimes Verfahren des Wassers bedurft hätte. Richter, die mit so empörender Verachtung aller Menschenrechte verfuhren, bedurften wahrlich keines unterirdischen Canales, um ihre Opfer zu beseitigen; es ist jedoch möglich, daß die während der Tortur Gestorbenen in die Cloake gesenkt wurden, um jede Verantwortung der Richter überflüssig zu machen, denn eigenthümlicher Weise lautete ein Paragraph der Gerichtsordnung bei peinlichem Verfahren: „Dem zu Marternden solle Nichts zum Schaden an seinem Leibe und Leben geschehen.“!! Auf der Oberfläche der über dem Wasser befindlichen Klappe sieht man deutliche Spuren von Rinnen, welche muthmaßlich Federn bargen, deren Kraft die Maschine schneller öffnete. Ob die Klappen, mittelst der Charnierbänder sich in einer Kreislinie gegen den Körper des Gemarterten bewegend, die Anwendung der Stacheln überhaupt möglich machten, bleibt zu untersuchen und sehr fraglich.

Aus dem bisher Gesagten geht hervor, daß die eiserne Jungfer eben kein Tödtungs-, sondern nur ein Peinigungswerkzeug war, daß aber ihre Anwendung mit großer Heimlichkeit betrieben wurde und daß schließlich das zu Nürnberg befindliche Exemplar eine der größten Seltenheiten ist, welche aus vergangenen Jahrhunderten zu uns herübergekommen sind. Das erste Auftauchen eines solchen Strafverfahrens laßt sich natürlich schwer nachweisen. Folterungen durch Einpressen des Körpers sind häufiger, z. B. das sogenannte neue Mecklenburger oder Strelitzer Instrument, eine Lade, in welche der Verurtheilte hineingepreßt wurde; wahrscheinlich ist es dasselbe, welches in England, durch den Herzog von Exeter eingeführt, nach ihm „des Herzogs von Exeter Tochter“ genannt wurde. Die Außenseite dieses Instrumentes war muthmaßlich mit dem Bilde einer Frau bemalt und dürfte demnach Aehnlichkeit mit der „eisernen Jungfer“ gehabt haben. Letztere war übrigens schon vor der Publicirung der Halsgerichtsordnung Kaiser Karl’s V. in Thätigkeit und scheint nur ferner bestätigt worden zu sein. Die Stadt Wittenberg besaß erweislich schon 1509 nicht eine, sondern zwei „eiserne Jungfern“. Nach den Rechnungen der Stadtkämmerei wurden die Maschinen in jenem Jahre bereits reparirt, waren also schon längere Zeit in Gebrauch. Die Rechnungsbeläge sagen:

A 1509 iiij gl. vor zweyen Jungfrawen in das gefenchnis weyter zu machen und vor iiij gelenckenn zu machen.
1 gl. vor zcwey gelencke zu eyner Jungfrawen in das gefenchnis gemacht und di Kette alzo hiemit gebessert.

Fällt nun auch die romantische Zuthat der Umarmung des Verbrechers, so wie mancher zur Ausschmückung erfundene Gegenstand weg, so bleibt die ganze Procedur der eisernen Jungfrau dennoch eine höchst merkwürdige und die Phantasie in schauerlicher Weise erregende. Besonders trägt dazu die Verborgenheit bei, welche die Schreie der unglücklichen Opfer an den Wänden der Kerker verhallen ließ. In der That scheinen die durch Anwendung der eisernen Jungfer erpreßten Geständnisse immer wichtiger Art gewesen zu sein, es bezeugen dies Vorsichtsmaßregeln, welche man bei der Wahl des Ortes traf, an welchem die Maschine aufgestellt wurde. Recht anschaulich wird dies bei Betrachtung der Localitäten zu Nürnberg. Sie lassen überhaupt einen tiefen Blick in das Getriebe mittelalterlichen Justiz-Verfahrens thun. Gleich hinter der Eingangsmauer mündet ein erst in neuerer Zeit zugemauerter Gang, welcher mit dem zu den Marterkammern führenden in unmittelbarer Verbindung steht. Der Ausgangs- oder Eingangspunkt zu diesem Gange soll im sogenannten Bannerhause gewesen sein, welches nicht weit von der Stadtmauer entfernt liegt und bekanntlich im Mittelalter ein wichtiger Ort für die Angelegenheiten der Stadt war. Die vollständige Verschließung des Ganges ließ keine Besichtigung desselben zu. Tearfall hat ihn jedoch noch offen gefunden und beschrieben. Er fand in der Mitte des Ganges einen halbkreisförmigen Raum, in welchem noch ein steinerner Tisch und eben solche Sitze befindlich waren; drei Stufen führten zu diesem Richterstuhle. Die dem Gerichte Ueberlieferten wurden wahrscheinlich durch den in der Bastionsmauer befindlichen Eingang in den Thurm, und später vor die Richter gebracht; durch den vom Bannerhause auslaufenden Gang brachte man aber jedenfalls die im Geheimen Verhafteten, deren Loos es dann später vielleicht war, in die furchtbare Maschine der „eisernen Jungfer“ zur qualvollen Erpressung von Geständnissen gesteckt zu werden. Die Bewunderer des Mittelalters müssen natürlich Schwurgerichte sehr prosaisch finden; mögen sie die Kerker unter den Stadtmauern Nürnbergs besuchen, die entsetzlichen Strafinstrumente betrachten – wahrlich nirgends fühlt man lebhafter die Wohlthaten des Fortschrittes und der lichtvollen Rechtspflege als in dem Bereiche jener Kerker, deren Wände selbst ungeheuren, geschlossenen Mundöffnungen zu gleichen scheinen, denen das Entsetzen die Lippe schloß.

Kein Besucher Nürnbergs versäume die Besichtigung dieser Räume. Es ist noch Vielen unbekannt, daß die „eiserne Jungfer“ sich hier befindet; selbst die neueren Reisehandbücher enthalten noch

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verschiedene: Die Gartenlaube (1862). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1862, Seite 679. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1862)_679.jpg&oldid=- (Version vom 12.12.2020)