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verschiedene: Die Gartenlaube (1862)

war ein hagerer, hoch aufgeschossener Mann mit wohlgeformten, aber strengen Zügen, deren Ausdruck sich noch durch den hohen kahlen Schädel und die dichten Augenbrauenbüschel steigerte, die über lebhaften, aber scharfen Augen saßen.

„Wo ist er hin?“ rief er wieder. „Bring nur mein Nachtessen.“

„Weiß nicht,“ erwiderte die Tochter wie zuvor, indem sie einen Teller mit geräuchertem Schweinefleisch und eine steinerne Flasche auf den Tisch stellte, zugleich aber den großen Laib Schwarzbrod, in welchem das Messer stak, daneben legte. „Wird wohl wieder in’s Wildern gegangen sein!“

„Himmelsacrament,“ schrie der Bauer, indem er dröhnend mit geballter Faust auf den Tisch schlug, „ich will’s ihm vertreiben, dem Tagdieb! Ich will einmal andere Saiten aufziehn – ich will Euch Allen miteinander zeigen, daß ich in meinem halben Hof ganz und gar Herr bin! Mein Geduldfaden ist ab!“

Annemarie stand dem Tobenden gerade gegenüber und sah ihm fest in’s Gesicht; wer sie so erblickte, hätte das kindlich einfache, fast schüchterne und weiche Mädchen an der Gartenplanke und am Nelkenstock nicht wieder erkannt. Es war die zweite Hälfte ihrer Natur, das Wesen ihres Vaters, das in ihr hervortrat und sich trotzig der verwandten und eben darum sie abstoßenden Gemüthsart gegenüber stellte. Milde liebevolle Güte und strenge grollerfüllte Härte lagen als gleichmäßig entwickelte Keime in ihr – noch war es unentschieden, welcher davon den andern überwuchern oder ersticken sollte. „Gieb’s nach, Vater,“ sagte sie schneidig, „ich glaub’, Du hast ’trunken!“

„’Trunken!“ lachte der Stürzer auf. „Wär’ kein Wunder, wenn Einem das Tröpfel Bier in Kopf steigen thät bei all’ dem Aerger, den man mit hinunterschlucken muß! Himmelsacrament, ist das auch ein Essen für den Stürzerbauern? Geselchtes und Scheps (Nachbier), und der Ueberrheiner-Lump da droben sauft vielleicht Wein und speist ein Schweinsbratel, wie ein Graf!“

„Aber was hast denn, Vater? Was giebt’s denn schon wieder!“

„Was wird’s geben! Der Nothleider da droben hat auf dem Fest drinnen einen Preis gekriegt und ein Fahn’l voll Baierthaler, weil er den schönsten Hanf gehabt hat und das schönste Obst!“

„Das wundert mich nit, Vater … solches Obst, wie der Nachbar hat, ist weit und breit nicht zu sehn!“

„Nichts ist damit! Ein Gelump’ ist’s … ein ordentlicher Bauer hat keine Zeit, daß er sich mit solchem Larifari abgiebt! Und da hat der König mit ihm geredt, und ich hab’ daneben stehn müssen in dem Gedräng’ und hab’s mit ansehn müssen, wie er ihn auf die Achsel geklopft und gelobt hat … aber ich mach’ der Geschicht’ ein End’! Hinaus muß der Kerl, oder ich will nicht der Stürzerbauer sein!“

„Du sollt’st Dich schämen, Vater,“ sagte Mirl und war wieder zu ihrem Haspel getreten, „die Ueberrheiner sind ordentliche, stille Leut’ …“

„Duckmäuser sind’s, die’s faustdick hinter den Ohren haben!“ polterte der Alte noch heftiger. „Red’ ihnen das Wort nit, Mirl, wenn Du’s nit auf ewige Zeiten bei mir verschütten willst! … Oder hätt’ etwa der Nachbar vom Walser-Schlag droben Recht? “

„…Was sagt der Walser?“

„Daß der Sohn von dem Hungerleider sich untersteht, nach Dir zu schauen! Daß er neulich zu Inzemoos am offnen Wirthstisch geprahlt hat, der alte Stürzer müßt’ noch sein Schwiegervater werden und wenn er die Kränk’ kriege’ sollt’!“

„Das hat der Adrian gewiß nit gesagt – und wenn’s wahr wär’, könn’st Du’s ihm auch nit verbieten: es wär’ keine Schande für mich – der Adrian ist ein braver, ordentlicher Bursch …“

„Ein Lump’ ist der Hadrian, oder wie er heißt! Ein Lump wie sein Alter! Und wie gut Du seinen Namen weißt! Thätst Dir wohl was einbilden auf die Ehr’, wenn der Rheinschnack’ sich bei Dir einnisten wollt’? Dafür will ich schon sorgen, daß ihm die Lust vergeht …“

Unsicher und taumelnd hatte er sich erhoben und wankte durch die Stube dem Wandkästchen zu. „Was willst denn, Vater?“ rief Annemarie und vertrat ihm ängstlich den Weg. „Was suchst?“

„Meine Pfeif’,“ erwiderte er, sie beiseite drängend. „Wo ist denn der Kloben?“

„Du wirst sie in der Stadt gelassen haben,“ stammelte das Mädchen, während er lachend das Kästchen aufriß, darin herum störte und im nächsten Augenblick das Körbchen mit den Blumen und Früchten in der Hand hatte. „Was soll denn das bedeuten?“ rief er. „Wie kommt das Gelump da herein?“

Das Mädchen stand todtenbleich und brachte keine Erwiderung hervor.

„Das sind ja Zwetschgen, wie wir sie gar nicht im Garten haben!“ schrie der Bauer wüthend. „Und auch solche Blumen haben wir nicht! Himmelsacrament, wie kommt das Körbel da herein? Wirst reden, Mirl, oder soll ich Dir die Zung’ lösen?“

Annemarie hatte sich gesammelt; entschlossen trat sie auf den Vater zu, nahm ihm das Körbchen aus der Hand und stellte es an den vorigen Ort. „Der Adrian hat mir’s über den Zaun herüber gegeben,“ sagte sie und schob ruhig den Schlüssel des Wandschrankes in die Schürzentasche.

„Der Adrian? Uebern Zaun?“ rief der Alte, vor Ingrimm bebend. „So bekannt seid Ihr miteinander? Und Du hast es angenommen? Hast es ihm nicht in’s Gesicht geworfen?“

„Ich wüßt’ nit warum … der Adrian ist ein seelenguter Mensch …“

„Du weißt nit warum, Mirl? Du weißt nit, daß Dein Vater die ganze liederliche Sippschaft nit leiden kann? Du unterstehst Dich, mit einem Menschen zu reden und Dir schön thun zu lassen von Einem, der Deinen Vater in die Grube bringt?“

„Vater,“ entgegnete Mirl, indem die Augen aus dem bleichen Gesicht den seinigen noch trotziger entgegen funkelten, „ich bin Dir in keinem Stück entgegen … aber Du mußt die Leut’, die ich gern hab’, nit in Tag hinein schimpfen … Du mußt mich nit peinigen: ich leid’s nit, Vater … ich hab’ meinen Kopf so gut wie Du!“

„So will ich ihn Dir wieder zurecht rücken, Deinen Kopf!“ schrie der Bauer außer sich, riß das Brodmesser vom Tisch und stürzte auf Annemarie zu, die ihn entschlossen erwartete … ehe er sie erreichte, hielt er inne, ließ das Messer fallen und sah knirschend zu der holzgetäfelten Stubendecke empor.

Geräusch von dort hatte ihn aufmerksam gemacht: es kam von oben aus der Wohnstube der Pfälzer Familie, aus der Gegend des Ofens, neben welchem ein bei der Abtheilung des Hofes vergessenes Wärmeloch angebracht war.

„Rührt sich da droben auch was?“ brüllte der Bauer, „bin ich verkauft und verrathen in meinem eigenen Haus? … Das Horchen will ich Euch vertreiben, Ihr Himmelsacrament …“ Im Augenblick hatte er das an der Nebenwand hängende Hausgewehr herabgerissen und, ehe die Tochter abwehrend herbeispringen konnte, in den Deckenschlauch losgedrückt…

Ein gellender Schrei und ein dumpfer Schlag ertönten von oben in den Schuß. „Jesus Maria, Vater… was hast gethan?“ rief das Mädchen, der Alte aber taumelte auf die Bank und lallte: „Ich hab’ angefangen, das Lumpengesind aus dem Hof zu treiben. … Ich muß den ganzen Stürzerhof wieder haben, oder es soll auch den halben der Teufel holen!“




2.

Allerheiligen war vorüber; der Jahreszeit nach war es längst Winter geworden, aber in Wirklichkeit wollte er nicht kommen. Der Herbst brachte noch spät eine Reihe schöner Tage nachgetragen, und wenn es auch stark reifte, wenn manchmal der Morgen auf kleinen Wässern eine leichte Eisdecke und den weichen Boden überfroren fand, der Mittag ließ Alles wieder verschwinden; der härtende und kältende Schnee blieb aus, und waren auch die Obstbäume in den beiden Gartenabtheilungen des Stürzerhofs lang schon entblättert, hatte doch die Eiche am Schauerkreuz den ganzen gebräunten Blätterschmuck ihrer Krone behalten.

In einem ähnlichen widerstreitenden Zustande befand sich der alte Stürzerbauer; er rang sich täglich matter zwischen seiner gewohnten Kraft und der unerklärlichen Hinfälligkeit, die ihn befallen hatte. Jeden Morgen erhob er sich mit dem Gedanken und Vorsatz, wie sonst seiner Arbeit nachzugehen; aber nach kurzer Zeit war es ihm, als ob alle Glieder und Sehnen nachließen, matt und fröstelnd suchte er den Lehnstuhl am Ofen auf, um in Kissen gehüllt über seine Schwäche zu brüten und sich in bittern Gedanken zu verlieren. Manchmal tobte und schalt er in alter Wildheit über die Dummheit des Baders, der ihn so dahin leiden lasse und die

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verschiedene: Die Gartenlaube (1862). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1862, Seite 642. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1862)_642.jpg&oldid=- (Version vom 12.12.2020)