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verschiedene: Die Gartenlaube (1862)

war, ihr die ganze Entführungsgeschichte mitzutheilen, so weit ihm dies vor Lachen möglich war.

„Sie sind ein göttlicher Georg!“ rief sie in Ekstase. „Hierher werden also die flüchtigen Damen geführt? – O das ist prächtig, herrlich, himmlisch!“ – Und ein sonderbarer Blitz schoß aus ihren dunklen Augen, der wenig zu ihren fröhlichen Worten und zu ihrem unbefangenen Gelächter paßte.

„Und Sie leihen mir Ihr Boudoir zu der Komödie, nicht wahr, Gräfin? Die Nassau wird natürlich verschleiert sein, wir wollen thun, als wüßten wir nicht, wer unter dem Schleier steckt, um ihre Angst zu verlängern. Ah! da kommt Jemand!“

Die Portiere der Thüre wurde hastig in die Höhe gehoben, und Illisch steckte seinen Kopf in das Gemach. „Der Wagen hat soeben gehalten – man führt die Damen eben herauf.“

„Haben sie den gespielten Streich gemerkt?“ fragte Georg.

„Da die Nacht ziemlich dunkel ist, sind die Damen der Meinung, sie seien in der maison Walden, wo der Entführer sie erwarten sollte. Da sind sie schon …“

Die Platen entfernte mit rascher Hand den dünnen Schleier, welcher das Licht der Lampe dämpfte, so daß der volle Schein derselben auf die Thüre fiel. Dann trat sie einen Schritt zurück und wurde auf diese Art durch einen der schweren Vorhänge fast ganz verborgen. Auch Georg trat zur Seite, um die verschleierten Frauen einzulassen.

„Wo sind wir?“ flüsterte die Größere der Beiden, indem sie sich umsah. „O, ich habe Furcht!“

In diesem Augenblicke schloß Georg mit einer raschen Handbewegung die Thüre und stand so zwischen den Frauen und dem Ausgange.

Die Beiden stießen zu gleicher Zeit einen lauten Schrei aus, und die Größere der Beiden mußte sich an der Lehne eines Fauteuils halten, um nicht umzusinken.

„Verloren!“ murmelte sie, „verloren!“

Georg machte eine spöttische Verbeugung. „Seien Sie mir willkommen, Frau von Nassau!“ sagte er galant. „Sie wundern sich vielleicht, mich hier zu sehen? Sie erwarteten wohl einen Andern? einen geliebten Freund, nicht wahr? der Sie in irgend ein reizendes Paradies illegitimer Liebe führen sollte? Aber was wollen Sie? Man liebt Sie hier so sehr, daß man Sie durchaus nicht fortlassen will – meine Frau würde untröstlich sein, wenn sie ihre beste Freundin verlieren sollte. Die arme Dörthe! Und so habe ich es denn auf mich genommen, Sie unserem Kreise zu erhalten, den Sie so grausam fliehen wollen. Darf ich hoffen, daß meine Bitten Erfolg haben werden?“ Und indem er sich lachend umwandte, fügte er lustig hinzu: „Kommen Sie doch, Gräfin, und helfen Sie mir, diese ehrenwerthe Dame zu überreden!“

Frau von Platen trat vor. „Sie scheinen sich in der Person zu irren, Monseigneur,“ sagte sie, „das ist nicht Frau von Nassau …“

Die verschleierte Dame stieß einen Ausruf der Indignation aus, indem sie der Platen ansichtig wurde.

„Ah!“ rief Georg verblüfft, indem er von Einer der Verschleierten auf die Andere blickte. „Der Teufel mag sich da auskennen. Parbleu, mesdames, Sie haben wohl die Güte, sich zu entschleiern, hein? – Wir sind hier nicht im Carneval und befinden uns auch nicht auf einem Maskenballe, sondern bei der Frau Gräfin von Platen.“

„Ah!“ rief die Größere der beiden Damen, indem sie ihren Schleier mit einer blitzschnellen Bewegung zurückschlug und ein Antlitz zeigte, auf welchem sich Zorn und Demüthigung malten. „Ah, wir sind also bei der Frau Gräfin von Platen?“

Der Prinz machte einen Sprung vorwärts und faßte die Dame bei beiden Armen, während sein keuchender Athem beinahe ihr Antlitz berührte und seine stieren Augen die ihrigen gleichsam festhielten. „Dörthe! Du? Du?!“

„Ja, ich! “ rief Sophie Dorothea, indem sie ihr Haupt erhob. „Ich! Und was ist da so Seltsames daran, Georg? – Es ist ja Alles aus zwischen uns. – Ich wollte Dir entfliehen – ich hab’ Dir’s ja gesagt, ich könne es nicht länger hier aushalten – ich wollte fort! Und was ist’s weiter? – Und Du hältst mich zurück wie eine Gefangene, Du zwingst mich, hier vor diesem Weibe zu erröthen, und giebst mich dem Spotte Deiner Maitresse preis! – Ah, wir sind hier bei der Gräfin von Platen! Das ist wahrhaftig der Ort, wo Deine Gemahlin hingehört. O, es ist eine Schmach!“

Und sie riß sich mit einer heftigen Bewegung los und kreuzte ihre Arme über der Brust, um dort ein Schluchzen festzuhalten, während ihre Augen Blitze sprühten.

Jetzt erst entrang sich der gepreßten Brust des Prinzen ein Schrei und ein wildes Lachen. „Wo Du hingehörst?“ rief er. „Ah! konnte ich denn ahnen, daß es die tugendhafte Sophie Dorothea, daß es meine Gemahlin sei, die mit ihrem Buhlen entfliehen wollte?“

Die Prinzessin fuhr auf, wie von einer Schlange gebissen. „Mit meinem Buhlen?“ rief sie.

„Nun ja!“ brüllte Georg. „Ist denn Königsmark nicht Dein Geliebter, Weib?!“

„Mein Geliebter!“ rief Sophie Dorothea. „Georg, Du willst mich also auch beschimpfen, nachdem Du mich gemißhandelt hast? Mein Geliebter! Er, der mich verrathen hat, er, der mir eine Komödie der Freundschaft vorgespielt hat, um mich Deinem Spotte in die Hände zu liefern – o, er ist ein Schurke!“

Ehe der Prinz noch antworten konnte, trat die Platen vor. Es lag nicht ihrem Plane, daß die Prinzessin den Grafen für schlecht hielt. „Er?“ rief sie. „Nicht doch, Durchlaucht – nicht er ist es, der dem Prinzen das Ganze verrieth, sondern ein Zufall – und der Graf harrt in diesem Augenblicke noch immer in der maison Walden.“

Etwas wie ein freudiger Blitz zuckte über das Gesicht der Prinzessin – durch all ihren Jammer und ihre Verzweiflung hindurch that es ihrem Herzen wohl, den nicht verachten zu müssen, den sie als ihren einzigen Freund betrachtete. Und was der Schmerz und der Zorn nicht vermocht hatten, das vermochte die Liebe: unfähig ihre Bewegung länger zu bemeistern, verhüllte sie ihr Antlitz mit beiden Händen und weinte bitterlich.

Es schwebte wie ein drohendes Gewitter über diesen Dreien, die sich stumm gegenüberstanden. Das Stillschweigen währte einige Minuten. Der Prinz hatte sich gesammelt und stand todtenbleich, aber ruhig vor seiner Gattin. Sein Gesicht war drohend und finster, und ein unheimliches Etwas lag wie ein Spinnengewebs darüber gebreitet. Er näherte sich langsam der Thür und öffnete sie.

„Herr von Illisch,“ sagte er laut in das Vorzimmer hinaus, „Sie werden die beiden verschleierten Damen in ihrem Wagen nach dem Schlosse begleiten. Sie werden auf dem Wege dahin nichts sprechen und werden sie am Eingange des westlichen Flügels verlassen.“ Dann wandte er sich zu der Prinzessin, welche ihren Schleier hastig wieder herabgelassen hatte. „Folgen Sie dem Herrn von Illisch. Er wird Sie in’s Schloß bringen. Denn Sie haben Recht, Ihr Platz ist nicht hier.“

Die Prinzessin wendete sich stumm zum Gehen.

„Und Sie, Gräfin,“ wandte sich Georg zur Platen, die mit gekreuzten Armen dastand, „leuchten Sie Ihrer Gebieterin. Sie sind ja doch die Ehrendame der Frau Prinzessin.“

Die Platen warf ihm einen halb erstaunten, halb forschenden Blick zu. Dann ergriff sie schweigend die Lampe und schritt den beiden Damen voran bis zur Schwelle des Zimmers, wo sie eine tiefe, ehrfurchtsvolle Verbeugung machte. Als die Beiden sich entfernt hatten, setzte sie die Lampe so heftig auf den Tisch, daß das Glas derselben klirrte. Dann näherte sie sich dem Prinzen, welcher noch immer mit jenem seltsamen Ausdrucke im Gesichte in der Mitte des Zimmers stand.

„Und was wollen Sie jetzt thun, Georg? Und an was denken Sie?“ fragte sie mit trockener, herber Stimme, indem sie ihre Hände ballte.

Er zuckte auf und strich sich über das Gesicht, als wolle er das unsichtbare Spinnengewebe entfernen.

„Was ich thun will?“ sagte er – und es schien, als habe seine Stimme wie ein Echo den Ton der ihrigen angenommen. „Ich will, daß der Verräther, den ich meinen Freund nannte, sterbe – und ich will, daß sie leide. An was ich denke? Ich denke an die Krone von England, und wie sich mein Vater amüsiren wird, wenn ich ihm das heutige Abenteuer erzähle.“

„O ja! ja!“ rief sie mit einem seltsamen Blicke. „Schonen Sie ihn nicht, Georg, rächen Sie sich und mich an diesem Königsmark!“

Er fuhr auf. „Sie rächen, Gräfin, Sie?“

Der Hohn verzerrte ihre Züge, als sie einen Schritt zurücktrat,

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