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verschiedene: Die Gartenlaube (1862)

von der einfachsten Kost sich nährend, oft von körperlichen Leiden gestört, ohne jede sonstige Lebensfreude nur dem einen Gedanken lebend, und schrieb und schrieb, und Alles, was er schrieb, haftete wie scharfe Harpunen in dem Fleische der Gegner. Mit unerbittlicher Logik wies er nach, was unter dem Hassenpflug’schen System aus dem Lande geworden. Mit bitterem Sarkasmus legte er die ganze Abscheulichkeit der Vilmar’schen Doctrinen an den Tag. Das war eine Sprache, wie man sie seit Jahren in Kurhessen nicht mehr gehört hatte. Schnell war das wohlfeile, populär geschriebene Blatt in Tausenden von Exemplaren über das ganze Land verbreitet und wurde von Bürger und Bauer begierig verschlungen. Es war eine unendliche moralische Erfrischung für das hessische Volk, daß endlich einmal das Recht wieder Recht genannt und dem Unrecht die heuchlerische Larve vom Gesicht gezogen wurde. Mehr aber noch wirkte das Blatt durch das Beispiel politischen Muthes, womit es auftrat, und durch die thatsächliche Beweisführung, was man selbst einer solchen Regierung gegenüber im Bewußtsein seines guten Rechtes wagen könne.

Wie die Bewegung lawinenartig heranwuchs, ist bekannt, und ebenso bekannt ist es, daß dies Alles den Bundestag nicht hinderte, in der Sitzung vom 22. März 1860 für die definitive Beseitigung der Verfassung von 1831 zu stimmen; und die kurhessische Regierung glaubte hiernach eine neue Verfassung unterm 30. Mai 1860 verkünden zu dürfen. Aber die Bewegung war bereits zu tiefgehend, als daß damit die Sache beendigt gewesen wäre. Dreimal mußte das Volk Kurhessens nach der neuen Verfassung zur ständischen Wahl schreiten, und dreimal stellte es der Regierung eine Kammer gegenüber, welche fast einstimmig es ablehnte, sich als die rechtmäßige Vertreterin des Landes anzuerkennen.

Alle diese Schritte wurden theils vorbereitet, theils begleitet und gestützt von der „Morgenzeitung“. Ohne das Verdienst Anderer um die hessische Sache gering anschlagen zu wollen – wir brauchen blos beispielsweise die Namen Nebelthau und Ziegler zu nennen – muß daher die Wirksamkeit Oetker’s ohne Zweifel hier als die bedeutendste anerkannt werden.

Sehen wir auf den inneren Charakter der von Oetker verfolgten Richtung, so war solche durchweg von der Festhaltung des strengsten Rechtsstandpunktes bestimmt. Während Andere noch schwankten, in welchem Maße man Wiederherstellung des alten Verfassungsrechts beanspruchen solle, und nicht abgeneigt waren, in dieser Beziehung politisch zu markten, vertrat Oetker von Anfang an mit Entschiedenheit die Ansicht, daß zunächst das volle Recht wieder herzustellen und erst dann dasjenige, was etwa in der Verfassung von 1831 bundeswidrig, auszuscheiden sei. Aus diesem Gesichtspunkte betonte er auch stets die Nothwendigkeit, eine neue Ständeversammlung zunächst nach dem Wahlgesetz von 1849 zu berufen, weil er nur hierdurch den nothwendigen Rechtszusammenhang gewahrt fand. Dieser Standpunkt, der anfangs Manchem zu ideal erschienen, ist gleichwohl im Laufe der Zeit der allgemeinere geworden und hat sogar schließlich, und auf die unseren Lesern noch vor Augen schwebende höchst überraschende Manier, den Sieg errungen.

Groß war natürlich in gewissen Kreisen das Aergerniß, daß Oetker, der vernichtet Geglaubte, wieder auftrat. Es fehlte nicht an Lust, sich seiner durch einen Gewaltstreich zu entledigen. Aber man fand nicht den Muth dazu. Man beschränkte sich deshalb auf alle nur möglichen kleinen Maßregelungen. Aber hier war Oetker gerade der Mann, um mit köstlichem Humor seinen Widersachern die Spitze zu bieten. Wurde sein Blatt vor der Ausgabe polizeilich confiscirt, so hatte er an der Stelle des beanstandeten einen zweiten Artikel schon im Drucksatz bereit, und anstatt des confiscirten Blattes erschien nach einer Stunde ein neues. Als der Nationalverein verboten wurde, machte er bekannt, daß er Beiträge zwar nicht mehr „für den Nationalverein“, wohl aber „zu guten Zwecken“, oder „zur beliebigen Verwendung“ anzunehmen im Stande sei; und nun flossen unter diesen Titeln die Geldsendungen der Vaterlandsfreunde in seine Hände. Als er polizeilich befragt wurde, was er mit diesen Geldern anfange, erfreute sich die Polizei der aufklärenden Antwort: „er wolle sich das noch reiflich überlegen.“ Wurde er, wie dies oftmals geschah, wegen Preßvergehen angeklagt, so benutzte er die Freiheit der Vertheidigung, um seine Gegner mit einer Lauge beißenden Spottes zu überschütten. Als dem ersten Drucker der Morgenzeitung im Verwaltungswege die Concession entzogen wurde, war bereits ein zweiter engagirt, der den Druck ungestört fortsetzte. Als der zweite fiel, trat ein dritter an seine Stelle. Freilich war diese Concessionsentziehung eine Maßregel, gegen welche auf die Länge der Zeit nicht aufzukommen war. Oetker sah sich daher genöthigt, in seiner Zeitung auf alle eigenen Artikel über die vaterländische Sache zu verzichten und sich auf den Abdruck von Artikeln auswärtiger Blätter zu beschränken, und selbst diese durfte er oft genug nur lückenweise zu bringen wagen. Aber nun ließ er selbstständige Flugblätter auswärts drucken und diese seine „Rathschläge und Winke“, „Wünsche und Vorschläge“ etc. neben der „Morgenzeitung“ deren Lesern zugehen, und sie wurden nur um so eifriger gelesen, als die Regierung auch diesen Mittheilungen ein Verbot entgegensetzte. Von den gegen ihn erhobenen Anklagen hatten die meisten eine Freisprechung, einige freilich auch eine Verurtheilung zu Geldstrafen zur Folge, die in höchster Instanz mitunter zu nicht ganz unbedeutenden Summen aufstiegen.

Wo möglich noch größer, als der Haß seiner Feinde, erzeigte sich aber die Hochachtung und das Vertrauen seiner Freunde und Mitbürger. Als im Laufe des vergangenen Jahres der Bürgerausschuß zu Kassel zu ergänzen war, ging aus allen Wahlabtheilungen der Bürgerschaft der Name Friedrich Oetker’s in erster Linie fast einstimmig hervor, ein Act, dessen Bedeutung um so weniger zu verkennen war, als vorauszusehen war, daß die Wahl wegen regierungsseitig versagter Bestätigung ohne Erfolg blieb. Zahlreiche Beiträge „zu guten Zwecken“ wurden vertrauensvoll in seine Hände gelegt, damit es der von ihm vertretenen Sache nicht an Geldmitteln fehle. Da aber auch bekannt wurde, daß Oetker selbst während seiner politischen Thätigkeit sein kleines Vermögen, welches er als Anwalt erworben, zugesetzt habe und nur noch auf geringe Mittel beschränkt sei, unternahmen einige Freunde streng geheim eine Sammlung; und binnen Kurzem waren sie in der Lage, ihm ein Ehrengeschenk von beinahe 7000 Thalern zur Bestreitung seiner persönlichen Bedürfnisse zu überreichen. Bei seiner Erkrankung im Sommer 1861 beschenkten ihn Kasseler Frauen mit einem prachtvoll gestickten Ruhesessel. Und bei den Festessen, welche die beiden letzten Male bei Wiederkehr des Jahrestags der Verfassung von 1831 zu Kassel und Hanau stattfanden, wurden unter den Toasten keine lebhafter begrüßt, als die auf den Namen „Friedrich Oetker’s“ ausgebrachten. Die Auszeichnungen, welche ihm nach dem endlichen Verfassungssieg, in Folge der Mobilmachung Preußens, zu Theil wurden, die Ehrenbürgerrechte, seine mehrseitige Wahl in die Kammer und dergl. sind unseren Lesern bekannt.

Leider wohnt der starke Geist, dem alle diese Huldigungen gelten, nicht in einem gleich starken Körper. Asthmatische Beschwerden, welche ihn von früher Jugend auf gepeinigt, hatten sich durch die Anstrengungen der letzten Jahre so gesteigert, daß die Aerzte für den Winter 1861 zu 1862 ihm dringend einen Aufenthalt im Süden anriechen. Oetker ging in die südliche Schweiz. Seine Hauptaufgabe war ohnehin erfüllt, und in die Redaction seines Blattes hatte er schon zu Anfang des Jahres Dr. Wippermann, einen Sohn des früh verstorbenen Märzministers, mit aufgenommen. Gegenwärtig steht er wieder daheim fest auf dem Boden seiner Kämpfe und seines Siegs, für jeden neuen Kampf allezeit gerüstet und sattelfest.

Friedrich Oetker ist in jeder Beziehung ein seltener Mann. In seinem strammen Wesen, welches durch einen hindurchlaufenden humoristischen Zug seinen Gegnern oft noch unbequemer wird, birgt sich ein edler, durchaus reiner Charakter. An literarischer und politischer Begabung mögen Andere in Deutschland ihn erreichen; an Lebendigkeit des Rechtssinnes, an Muth und Entschlossenheit, an zäher Beharrlichkeit und eisernem Festhalten eines einmal erfaßten Zieles, an völliger Hingebung seiner Person für die Sache des Vaterlandes wird nicht leicht Einer es ihm gleichthun. Möge dem hessischen Volke die Freude gegönnt sein, in ihm noch lange einen seiner größten Wohlthäter verehren und ihm den reinsten Volksdank bethätigen zu können, ihm und sich zu Ehren.



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