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verschiedene: Die Gartenlaube (1862)

die Scheidung ein Urtheil ist, mit dem die Untreue des einen Theiles bestraft wird.“

„Und wenn der schuldige Theil die Frau ist, nicht wahr?“ flüsterte der Kurfürst ebenso leise, „als desto strengerer Züchter steht dann der Gemahl da. O, Sie sind ein Juwel, Mylord!“ lachte er dann laut heraus. „Und ich werde nächstens bei Ihnen Stunden nehmen in der deutschen Sprache!“

Mylord verbeugte sich lächelnd. Dann nahm er sein rothes Portefeuille von der Leuchtersäule und öffnete es. „Es ist aber wahrhaftig unverzeihlich von mir, gnädigster Herr, daß ich von Dingen rede, die nicht hierher gehören – anstatt Ihnen die Depeschen vorzulegen, welche ich heute aus London erhalten habe.“

Der Kurfürst lachte laut auf. „Von Dingen, welche nicht hierher gehören, sagen Sie?“

„Nun ja,“ entgegnete Mylord, indem er emsig seine Schriften durchblätterte; „wie kann sich das, was wir soeben besprachen, auf irgend ein Ehepaar unserer Umgebung beziehen? Die Damen Ihres Hofes, gnädigster Herr, sind sämmtlich Muster von Treue und Sittsamkeit und Würde, in welchen Tugenden die schöne Prinzessin Sophie Dorothea allen Andern als glänzendes Beispiel voranstellt. – Hier ist der neue Handelsvertrag gnädigster Herr, den Ihre Majestät mit Frankreich abgeschlossen hat …“



5. Herr von Königsmark amüsirt sich.

Der Hof Ernst August’s zeigte noch immer sein altes Gesicht. Prinz Georg ging mit seinem Busenfreunde Königsmark allnächtlich auf Abenteuer aus, die gewöhnlich mit kleinen Orgien endigten, und die petites maisons des Kurprinzen wiederhallten von dem Jauchzen und Singen seiner Gefährten und Freundinnen. Sophie Dorothea lebte eingezogener als je und verließ nur selten ihre Gemächer. Seit jenem Abende der Vorstellung hatte der Prinz nicht mehr mit ihr gesprochen. Umsonst ließ sie ihn täglich und stündlich um eine kleine Audienz ersuchen – umsonst bat sie ihren Gatten um eine Gunst, welche er dem Geringsten seiner Unterthanen gewährte. Selbst der alte Kurfürst behandelte sie schroff und zuckte mit den Achseln, wenn sie sich mit einer Klage an ihn wandte. Sie erstickte beinahe in der feindlichen Atmosphäre dieses Hofes, an welchen sie durch die Etiquette und die Convenienz gefesselt war wie an eine Schandsäule, der ihr eine Heimath sein sollte und der ihr nur ein Kerker war. Ihr Gemahl und ihr Schwiegervater haßten sie – und dennoch durfte sie nicht fort - denn sie war ja in den Augen der Welt die Gattin des Einen und die Tochter des Andern.



Das Toilettezimmer des Prinzen Georg war an diesem Abende freundlicher als je. Die offenen Fenster desselben gingen in den Garten und ließen den Duft tausendfältiger Blumen und Blüthen herein. Eine leichte, frische Brise machte die Reben erzittern, welche die Fenster umrankten, und die Vögel zwitscherten der sinkenden Sonne ein lustiges „Auf Wiedersehen!“ zu. Alles war voll Sonnenschein und Sommerduft. Der Graf von Königsmark lehnte am Fenster und trällerte ein Liebchen, während sich Prinz Georg, vor seinem Spiegel stehend, ein wenig Rouge auflegte und seinen Augenbrauen mit einem parfümirten Cosmetique eine dunklere Färbung verlieh.

„Heute muß ich besonders schön sein!“ meinte er lachend. „Heute kommt die kleine Italienerin zur Tafel, die unserm Kapellmeister empfohlen worden ist.“

„Und die möchten Sie gern unglücklich machen, Prinz?“ lachte Königsmark, „o weh! und ich wäre Ihnen da so gern in’s Garn gegangen –! Aber wenn Sie sich so unwiderstehlich machen, muß ich freilich alle Hoffnung aufgeben!“

„Spotte nur, Du Glücklicher! mit Deinem südlichen Teint brauchst Du freilich keine Rouge, um beim Lampenschein den Eclat Deines Gesichtes zu erhöhen, aber wir armen Blondins! – Ah, wie die verdammte Sonne blendet!“

„Aber es ist doch ein herrlicher Abend, Prinz. Wir sollten wahrhaftig eine kleine Streiferei durch den Park machen, ehe wir uns in die schwüle Atmosphäre der Frau von Wimpffen begeben.“

Georg seufzte. „Unmöglich. Denke Dir, Philipp, ich muß noch eine Audienz geben.“

„Jetzt – am Abend?“

Georg nickte.

„Und wem?“

„Du wirst es nie errathen, – meiner Frau.“

Königsmark horchte aus. „Bah! Ich denke, Sie sprechen nicht mehr mit ihr.“

„Ja, ich verabscheue sie. Du hast mich ja selbst meiner Festigkeit wegen gelobt. Aber sie hat endlich ihren Stolz gebeugt und giebt nach.“

„Wirklich?“

„Sie hat mir angetragen, Frau von Platen zur Palastdame zu erheben, wenn ich ihr eine Unterredung gewähre. Ist das nicht göttlich? O die Weiber! Früher oder später werden sie doch kleinlaut!“

Königsmark runzelte die Stirne. „Auch diese?“ murmelte er.

„Du begreifst also wohl, daß ich diese Unterredung nicht gut abschlagen konnte.“

„Ja,“ sagte Königsmark, indem er seinen Hut ergriff, „ich begreife es und will daher nicht länger lästig fallen.“

„Du gehst, Philipp?“

Mais …

„Was fällt Dir denn ein?– Du mußt hier bleiben, damit wir dann gleich zusammen ausfliegen können.“

„Aber die Unterredung, welche die Prinzessin von Ihnen erbat, soll doch jedenfalls eine geheime sein?“

„Das soll sie auch. Geh hier in dieses Cabinet – da sieht sie Dich nicht.“

„Nein aber, Prinz, ich höre Alles …“

„Nun, und?“

Königsmark sah den Prinzen mit einem seltsamen Ausdrucke an. „Es ist nicht ritterlich, Monseigneur, die Geheimnisse eines Frauenherzens so preiszugeben.“

„Du bist ein Narr! Bist Du denn ein Fremder? Allons! Nimm Dich in Acht, daß Du nicht einschläfst – die Apostrophen meiner Frau sind schrecklich langweilig. Ich glaube, ich höre sie schon.“

„Ihre Durchlaucht, die Frau Prinzessin Sophie Dorothea!“ meldete in diesem Augenblicke der einäugige Jean, des Prinzen Kammerdiener.

Georg ließ die Portiere des Cabinets, worin Königsmark verschwunden war, niederfallen und näherte sich wieder dem Spiegel. Die Prinzessin trat ein. Sie schritt rasch einen oder zwei Schritte vor, mit ausgestreckten Armen und fliegendem Athem. Als sie aber ihren Gemahl erblickte, der sich im Spiegel besah und dessen kalte Miene wie ein eisiger Frost auf ihr Herz fiel, blieb sie wie angewurzelt stehen. Ihre Arme sanken herab, und das Feuer ihrer Augen erlosch.

Georg wandte sich halb um. „Nun, Madame?“ sagte er.

Sophie preßte ihre Hände aneinander und sagte mit thränenschwerer Stimme, der sie vergebens den Ton der Fassung zu geben suchte: „Georg! Georg! So empfängst Du mich? Nachdem ich wochenlang umsonst versucht habe, zu Dir zu dringen – nachdem ich, Deine Gattin, Dich umsonst angefleht habe, daß Du mich anhörst nachdem ich endlich diese Unterredung mit einer Unterschrift erkauft habe, welche mir noch jetzt die Schamröthe in’s Gesicht treibt: jetzt empfängst Du mich so? O Georg, Georg! Ich bin Deine Gattin, die Mutter Deiner Kinder! Und Du hast mich doch einst geliebt!“ Und unfähig, die hervorquellenden Thränen länger zurückzuhalten, barg sie ihr Gesicht in ihren zitternden Händen.

Georg maß sie mit seinen insolenten Blicken. „Ist das Alles, was Sie mir zu sagen haben, Madame?“ sagte er – „Sie sind also mir gekommen, um mir Vorwürfe zu machen und mich in meiner Eigenschaft als „Ungeheuer“ anzuklagen? – Das ist gewiß sehr amüsant – aber machen Sie schnell, ich habe Eile.“

Sophie fuhr auf. Ihr Auge blitzte und ihr bleiches Antlitz röthete sich. „Nein,“ rief sie, „nein, Georg, ich komme weder um Dir Vorwürfe zu machen, noch um Dich anzuflehen – ich komme nicht als ein schwaches, liebendes Weib zu Dir, die sich zu Bitten erniedrigt, ich komme als Deine Gattin, als die Fürstin, welche Deinen Thron theilt, zu Dir, um mein Recht zu fordern. Es muß endlich in’s Reine kommen mit uns Beiden, Georg. Ich bitte nicht mehr, ich verlange!“

Georg versuchte ein Lachen, aber vor diesen gebietenden Augen, welche durch ihren Thränenschleier Blitze schossen, und vor dieser

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