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höheren Luftschichten, sowie auf eine Prüfung des Gesetzes, welches diese Abnahme befolgt; außerdem sind die Stärke des Lichtes, sowie auch physiologische Erscheinungen in den Kreis dieser Beobachtungen aufzunehmen.

Eine mehrfache Wiederholung solcher Höhenfahrten darf wegen der so außerordentlich abweichenden Temperatur-Beobachtungen die volle Aufmerksamkeit der Naturforscher in Anspruch nehmen.

Aber auch die Engländer veranstalteten im Jahre 1853 unter der Präsidentschaft des Colonel Hykes ähnliche Fahrten, welche die Herren Welsh und Niclin vom Observatorium zu Kew bei London ausführten. Sie erreichten eine Höhe von 19,500 Fuß englisch und machten namentlich über die Beschaffenheit der Temperatur in den verschiedenen Schichten der Atmosphäre während verschiedener Monate interessante Beobachtungen. So betrug unter Anderen in den beiden Monaten auf der ersten und vierten Fahrt der Unterschied der Temperatur in einer Höhe von 19,500 Fuß nur 10 ° Fahrenheit, während er sich an der Oberfläche auf mehr als 22 ° Fahrenheit belief. Dies ist als eines der interessantesten Resultate jenes verdienstvollen Unternehmens anzusehen.

Die Deutschen sind in dieser Beziehung hinter den Engländern und Franzosen zurückgeblieben, obwohl es unter ihnen schon seit dem Jahre 1805 an einzelnen Anregungen zu einem solchen Unternehmen nicht gefehlt hat; denn genau ein Jahr nach der großen Gay-Lussac’schen Fahrt, am 16. September 1805, stieg der ehemalige Professor Jungius in Berlin auf und erreichte nach der Angabe seiner Instrumente eine Höhe von über 20,000 Fuß. Außerdem sind noch mehrere andere deutsche Naturforscher mit Instrumenten im Dienste der Wissenschaft in dieser Beziehung thätig gewesen.

Der lebhafte Wunsch, einige selbstständige Untersuchungen in verschiedenen Höhen der Atmosphäre auszuführen, regte mich schon vor vier Jahren bei der Ankunft des russischen Aëronanten W. Berg in Berlin zu meiner ersten Luftreise an. Zum hauptsächlichsten Gegenstande meiner Beobachtungen wählte ich damals das physiologische Verhalten meines eigenen Körpers und die ähnlichen Erscheinungen an verschiedenen Thieren aus allen großen Abtheilungen des Thierreiches; ferner nahm ich in den Kreis meiner Beobachtungen die Veränderungen der Temperatur und der Feuchtigkeit der Atmosphäre auf. Im weitern Verlaufe der Darstellung werde ich diese Beobachtungen selbstverständlich nur so weit berühren können, als sie von allgemeinem Interesse sind. Es sei mir jetzt nur die Bemerkung gestattet, daß ich damals, am 13. Juli 1858, nur eine Höhe von 9500 Fuß habe erreichen können; der Ballon kam schon nach einer Stunde und 10 Minuten 7½ Meilen ostsüdöstlich von Berlin wieder zu Boden.

Nach meiner zweiten vorjährigen Montblanc-Expedition, während welcher ich so glücklich war, 16 Tage und Nächte in einer Höhe von 10,000 Fuß auf dem Firn von Tacconay, einem der größten Eismeere des Montblanc, eine Reihe meteorologischer Beobachtungen auszuführen, erfüllte mich das unwiderstehliche Verlangen, meine daselbst gemachten Erfahrungen durch eine zweite Luftfahrt zu erweitern und zu vervollständigen. Die Befriedigung dieses Verlangens wurde durch die Ankunft des rühmlichst bekannten Aëronauten Anton Regenti hierselbst ermöglicht und die Fahrt bis auf ihr schrecklich schönes Ende am 17. August des laufenden Jahres nach Umständen glücklich zurückgelegt.

Bevor ich indessen zur Darstellung meiner Beobachtungen und Erlebnisse während dieser zweiten Luftfahrt übergehe, dürften einige Worte über den kolossalen Ballon selbst nicht uninteressant sein.

Der Riesenballon, dem wir uns anvertrauten, trug den Namen „Adler“ und stellte sich in seinen außerordentlichen Dimensionsverhältnissen als ein besonders riesenmäßiges Luftschiff dar. Bei mäßiger Füllung hatte er eine birnförmige Gestalt; er war aus rein leinenem Zeuge gearbeitet und mit gutem Firniß überzogen. Sechszehn lange Streifen, die durch dreifache Nähte verbunden waren, liefen vom Scheitel bis zum Fuß herab; die größte Breite eines jeden dieser Streifen betrug 8 Fuß, der ganze Umfang demnach 128 Fuß. Das Netz war am untern halsförmigen Theile durch sechszehn Schnüre zusammengezogen, die am obern Ringe der Gondel befestigt wurden. Von hier liefen alsdann jene Schnüre zur Gondel hinab, die aus mäßig starkem Weidengesträuch geflochten war; gleichzeitig stand die Gondel mit jenem Ringe durch eine Strickleiter in Verbindung, die bei der Niederfahrt fast unentbehrlich ist. Der wichtigste Theil des Ballons ist das in seinem Scheitel angebrachte Ventil. Zur leichten und sichern Oeffnung desselben war die Schnur am untern Theile des Ventils, also innerhalb des Ballons befestigt und lief von dort durch den Ballon nach der Gondel herab. Der Anker hatte ein Gewicht von 10 Pfund und war an einem weichen, ungefähr 100 Fuß langen Tau befestigt. Der Ballast in fünf kleinen Säcken à 20 Pfund befand sich am Boden der Gondel. Die Gesammthöhe des Ballons nebst der Gondel von seinem Scheitel bis zum Fuße der Gondel betrug 80 Fuß.

Nachdem die nothwendigen Vorbereitungen zur Reise getroffen worden waren, wurde die Abfahrt auf den 17. August anberaumt. Das Wetter war vor diesem Tage etwas veränderlich gewesen; am 16. August Nachmittags 2 Uhr drehte sich der Wind von O. nach S.-O, diese Richtung behielt er bis zum folgenden Tage Mittags 1 Uhr 25 Minuten; alsdann setzte er sich leider in einen Südwind von mäßiger Stärke über. Das Barometer beharrte seit dem Abend des 16. August in allmählichem Sinken und stand in der Stunde der Abfahrt Abends 6 Uhr auf 332 Par. Linien; die Lufttemperatur betrug 18° R., das Saussure’sche Haarhygrometer zeigte 62°. Mein Cyanometer[1] ließ im Zenith Nr. 27 als die Farbe des Himmels erkennen. Der Himmel erschien dunstig und war etwa zu zwei Fünftheilen mit Wolken bedeckt, deren unterste Schichten aus zerrissenen Gruppen von lockerem Cumulus (Haufenwolke) bestand; darüber lagen im fernen Osten allmählich heranziehende Gewitterwolken, während im Zenith die Schäfchen an verschiedenen Theilen des Himmels in bedeutender Höhe sich vertheilt hatten.

Die Füllung des Ballons mit Kohlenwasserstoffgas begann im Angesichte einer unzähligen Menschenmenge am 17. August Nachmittags 3 Uhr auf einem der besuchtesten Plätze der Hauptstadt in der Nähe des Kroll’schen Etablissements, auf dem frühern Exercirplatz unweit des Brandenburger Thores; es waren zu dem Ende vom Thiergarten aus lange Gasröhren bis zum Centrum des umschlossenen Kreises hinübergelegt. Durch königliche Bewilligung hatte Herr Regenti die großen Jagdnetze und Leinen-Wandungen vom Hofjagdamte erhalten und damit beinahe zwei Drittheile des Exercirplatzes eingeschlossen. Im weitern Umkreise, zum Theil in den Gipfeln der Bäume, zum Theil auf den Dächern der zunächst liegenden Häuser und Paläste, hatte sich amphitheatralisch der Zuschauerkreis ausgedehnt und aufgebaut.

So harrte Alles in ruhiger Spannung auf die allmähliche Füllung des kolossalen Ballons und war begierig auf den Ausgang derselben. Noch hatte er nicht 20,000 Kubikfuß Gas aufgesogen, als die Strömung in den untern Luftschichten mit den allmählich aus großer Ferne heranziehenden Gewitterwolken sich verstärkte und den dienstthuenden Leuten, sechszehn an der Zahl, die an langen Leinen den Ballon zu halten hatten, die Arbeit sehr erschwerte. Der kühne Aëronaut hätte sich kaum dazu entschließen können, die bereits angekündigte und so weit vorbereitete Fahrt aufzugeben, obgleich starker Wind und Gewitter von dem erfahrenen Luftschiffer mit Recht als die größten Gefahren der Luftschifffahrt bezeichnet werden. Denn bei starken Windstößen befürchtet er ein Zerreißen des Ballons, während die Gewitter eine Gasexplosion nur zu leicht herbeizuführen im Stande sind.

Es prägte sich eine gewisse Unruhe auf Regenti’s Gesicht aus, so oft er nach den Wolken blickte; doch er wurde wieder ruhig, sobald er den von ihm so oft mit Muth und Unerschrockenheit geführten Ballon betrachtete. So leitete er, keinen Augenblick die Besonnenheit verlierend, mit großer Vorsicht die Füllung des immer mehr und mehr sich erhebenden kühnen Adlers. Wiederum fragte er die dunkeln, erzürnten Wolken, und noch immer blickten sie ihn drohend an. Da er sich nun von jeglicher Verantwortung befreien wollte, sagte er mit gedämpfter, etwas zurückgehaltener Stimme: „Meine Herren, ich darf Sie nicht mitnehmen, ich fahre allein.“

Willig, doch ungern fügten wir uns diesem bestimmten Ausspruche des erfahrenen Mannes, mein Begleiter, Herr Dr. Wachenhusen, und ich. Es wurden mehrere kleine Probeballons entsendet,

  1. Mein Cyanometer (von H. B. Saussure erfundenes Instrument, um die Stärke der Bläue des Himmels zu messen) besteht aus 32 Nuancen des Bleu de Prusse, von denen Nummer 1 die tiefste Stufe, ein sehr intensives Schwarzblau bezeichnet, während Nummer 32 den möglichst hellsten Ton angiebt; dazwischen liegen alsdann die andern allmählichen Uebergänge.
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verschiedene: Die Gartenlaube (1862). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1862, Seite 569. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1862)_569.jpg&oldid=- (Version vom 12.12.2020)