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verschiedene: Die Gartenlaube (1862)

Ruhe auftrieben. „Willst Du mir denn alle Erinnerungen nehmen?“ fragte sie mich mit einem fast schmerzlichen Tone auf meine Vorhaltungen, und ich wußte jetzt, daß unsere Anschauungen in Punkten, die für mich die empfindlichsten waren, so weit auseinander liefen, daß sich an eine Zusammenstimmung nie denken ließ, daß mir eben nichts übrig blieb, als meinen Willen zum Gesetz zu machen. Es war der erste Riß, der in unser Familienleben kam, denn es währte lange Zeit, ehe der schmerzliche Kampf in mir endete und die siegende Zuneigung für die Mutter meiner Kinder die zu Tage getretene Dissonanz in den Hintergrund meiner Seele zurückdrängte.“ Der Erzähler machte, wie sich in seinen Gedanken verlierend, eine neue Pause und begann dann mit einem leisen, halbunterdrückten Seufzer: „Es war an einem naßkalten Frühjahrstage, und Helene war erst drei Monate vorher geboren, als mir der kleine Hugo in seiner Kinderweise die Nachricht brachte, daß die Mutter in unserem Gesellschaftsgarten mit einem Officier in fremder Uniform zusammen getroffen sei, und ich wußte in diesem Augenblicke, daß das Glück meines Lebens sein Ende erreicht hatte. Zehn Minuten darauf war ich an dem bezeichneten Orte, den bei dieser Witterung Niemand besuchte, und traf das Paar in ruhigem Gespräche auf einer halb im Bosket versteckten Bank. Ich würdigte ihren frühern Bewerber keines Blicks, reichte der zum Tode erblaßten Frau den Arm und führte sie schweigend weg. Ihre Glieder begannen bald an meiner Seite zu fliegen, sie versuchte zu mehreren Malen mich anzureden, aber in mir war Alles starr und todt, ich hätte, um damit das Leben zu gewinnen, kein Wort für sie finden können. Ich verließ sie am Eingang ihres Zimmers und verschloß mich in das meinige. Am andern Tage ließ sie mir sagen, sie sei krank und müsse mich sprechen – in mir selbst aber war Alles zum Tode krank; ich sandte Mangold nach dem Arzte für sie und wies jede Aussprache zurück. Am dritten Tage sandte sie mir trotzdem eine neue, dringendere Bitte um eine Unterredung – ich vermochte ihr nicht zu willfahren. Ich hätte ihr das für immer zerbrochene Vertrauen, unser ganzes vernichtetes Lebensglück vor die Augen halten, hätte sie um des Leichtsinns willen, dem die Ehre ihres Mannes nichts gegolten, von mir stoßen und mich selbst damit zerfleischen müssen. Ich arbeitete fünf Tage und fünf Nächte meinen Gram mit mir selbst durch, während Mangold meine Thür vor jedem neuen Drängen bewachen mußte; dann aber, als sie in der Hand ihrer herbeigerufenen Mutter und unseres alten Hausarztes aufgehoben war, trat ich eine kurze Reise an, die mich wenigstens wieder arbeitsfähig machen sollte. Zwei Tage darauf ruft mich ein Brief des Arztes zurück, ein Nervenfieber hat sich kurz nach meiner Entfernung bei der Kranken eingestellt. Ich eile Tag und Nacht heimwärts, als ich aber anlange – ist sie todt!“

Der Erzähler erhob sich rasch und machte einen Gang durch das Zimmer; dann trat er an das Fenster und sah eine Weile in die dunkele Nacht hinaus. „Sie äußerten,“ unterbrach er endlich das Schweigen, wieder langsam nach seinem Stuhle schreitend, „daß jede strenge Tugend zum Unrecht werden könne; überlassen wir aber doch die Beurtheilung der Scheidelinie in dem einzelnen Falle dem Gewissen eines Jeden selbst, das meist allein das rechte Zeugniß abgeben kann. So stehe ich, durch tiefe Trübsal zur Klarheit gelangt, vor mir gerechtfertigt, während Andere mich verurteilen mögen. – Doch zu Ihren Angelegenheiten!“ unterbrach er sich, mit der Hand über sein Gesicht streichend, als wolle er dort den Abglanz einer weichen Empfindung, der sich während des Schlusses seiner Erzählung gebildet, verwischen. „Wenn Sie wünschen, von Helenen eine Zurückweisung zu erhalten, so kann ich natürlich nichts dawider haben, sowenig ich Sie auch verstehe,“ fuhr er dann fort; „paßt es in Ihren Plan, so mögen Sie der Mama selbst sagen, daß ich mich um diese Angelegenheit nicht mehr kümmern werde, und wenn damit der Grund fällt, der Sie morgen von uns entfernt halten würde, so soll es mich freuen!“

Meßner machte soeben mit aufglänzendem Gesichte eine Bewegung, die Hände des Geheimraths zu fassen, als sich die Thür öffnete und der alte Mangold mit ungewöhnlicher Hast eintrat. „Der junge Herr Römer läßt dringend nur um eine Minute Gehör bitten, er habe dem Herrn Geheimrath eine wichtige Mittheilung zu machen!“ meldete er, sich kaum die Zeit gönnend, seine gewöhnliche dienstliche Haltung anzunehmen; die Züge des Hausherrn aber erhielten plötzlich wieder einen vollen Ausdruck eisiger Kälte.

„Herr Römer? ich habe von dem Herrn weder eine Mittheilung zu erhalten noch ihn selbst zu empfangen – sagen Sie ihm das!“ erwiderte der Letztere und wollte sich steif abwenden; die buschigen Augenbrauen sammt dem Schnurrbarte des Meldenden begannen aber in so eigenthümliche Zuckungen zu gerathen, daß Jener unwillkürlich den Blick wieder zurück wandte.

„Herr Geheimrath – es scheint wegen derselben Sache zu sein, um die ich an meinen Sohn schreiben mußte,“ versetzte der Alte in halber Scheu, während er einen unbehaglichen Blick nach dem Schuldirector sandte. „Vor kaum einer Stunde ist auch ein Brief von dem Heinrich gekommen, den ich, wegen anderer Sachen darin, an die gnädige Frau Mama gegeben habe – wenn der Herr Geheimrath doch vielleicht – “

Zedwitz hatte mit scharfer Aufmerksamkeit die Augen gehoben, während Meßner discret seinen Platz verlassen und mit einem raschen: „Ich stehe später zu Befehl!“ der Thür zugeeilt war, und wohl eine halbe Minute lang ruhte des Ersteren Blick, wie in einem jäh erwachenden Gedanken, in dem besorgten, treuen Auge des Dieners. „Ich wünschte, Sie hätten mir zuerst diesen Brief gebracht!“ sagte er dann mit leicht zusammengezogenen Brauen; aber Mangold richtete jetzt frei den Kopf auf. „Es waren Sachen darin, die der Herr Geheimrath streng verpönt haben vor ihn zu bringen,“ erwiderte er, „und so hoffte ich, daß vielleicht die gnädige Frau Mama – “

Ein plötzliches Sicherheben des alten Chefs, der einen raschen Gang durch das Zimmer machte, schnitt die fernern Worte ab. „So lassen Sie ihn eintreten!“ sagte der Letztere endlich, wie widerwillig zu einem Entschlusse gelangt, und blieb neben dem Mitteltische, die Hände auf dem Rücken zusammenschlagend, stehen. Zwei Minuten darauf öffnete Fritz Römer die Thür und trat mit sicherm Auge und ruhigem Anstande dem Wartenden entgegen.

„Ich weiß, Herr Geheimrath,“ begann er, „daß Ihrerseits eine Summe in den amerikanischen Obligationen, welche zuletzt im Markte waren, angelegt worden ist. Vor einer Viertelstunde nun habe ich eine sichere Privat-Mittheilung erhalten, die in Bezug auf dieselben Papiere den Ausbruch einer Krisis meldet, welche für den Augenblick den Werth derselben völlig illusorisch macht. Was die Zukunft darin bessern mag, läßt sich noch nicht absehen, in wenigen Tagen aber werden diese Schuldscheine in Deutschland gleich Null stehen. Noch ist es vielleicht für die jetzigen Inhaber möglich, den größten Theil ihres Geldes durch raschen Verkauf zu retten, da die deutschen Agenten sicher möglichst lange die Verbreitung ungünstiger Nachrichten hindern werden, und so hielt ich es für meine Pflicht, Ihnen persönlich die sofortige Mittheilung zu machen, sowie auch im Falle eines schleunigen Handelns mich zu Ihren Diensten zu stellen.“

Zedwitz hatte völlig unbeweglich den Worten gehorcht, und nur die Farbe seines Gesichts war um einen Schatten bleicher geworden. „Ich habe keinen Grund, die Richtigkeit Ihrer Mittheilung, für welche ich Ihnen danke, zu bezweifeln,“ erwiderte er nach einer kurzen Pause kalt und langsam, „von einem Handeln in dem angedeuteten Sinne kann aber jetzt, wo ich von dem Stand der Dinge unterrichtet bin, wo ich wissentlich werthlose Papiere für vollgültige verkaufen müßte, gar keine Rede sein. Was für den Kaufmann in einzelnen Fällen als Schlauheit gelten mag,“ setzte er mit einem leichten Zucken seiner Lippen hinzu, „würde hier die offene Unrechtlichkeit sein, und ich bin also außer Stande, einen mir in dieser Beziehung angebotenen Dienst anzunehmen.“

In Römer’s Gesicht war bei den letzten Worten ein hohes Roth geschossen. „Es ließe sich wohl ein Unterschied zwischen einer nur localen Coursentwerthung und einer thatsächlichen, allgemeinen Werthlosigkeit geltend machen,“ erwiderte er; „ich bescheide mich indessen, Herr Geheimrath, ich war auf unfreundliche Worte gefaßt und bitte nur die Regung, welche mich hierher trieb, zu entschuldigen!“ Er verneigte sich ruhig und verließ das Zimmer.


(Fortsetzung folgt.)

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verschiedene: Die Gartenlaube (1862). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1862, Seite 548. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1862)_548.jpg&oldid=- (Version vom 15.9.2022)