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verschiedene: Die Gartenlaube (1862)

Was war nun aus der drohenden, noch am Morgen dieses Tages so stolzen und siegesgewissen Flottille des Feindes geworden? Drei von ihren fünf Fahrzeugen waren mit leichter Mühe in die Flucht geschlagen worden, und die beiden größten, bisher der Stolz und der Schmuck der ganzen dänischen Marine, lagen, fast bis zur Vernichtung zerschossen, als die Siegesbeute eines tiefverhaßten Feindes da! Ein Jubelruf, wie er wohl noch nie an diesen Ufern erschollen war, hallte entlang des Strandes, sich immer erneuernd, um das ungeahnte glorreiche Ergebniß des Kampfes zu begrüßen. Besonders stürmisch war natürlich der Jubel in den Batterien, die einen solchen Sieg erkämpft hatten, wo Untergebene und Vorgesetzte durch das Band einer gemeinsam vollbrachten Waffenthat von großer, unvergeßlicher Bedeutung einander genähert, ja verbrüdert waren. Leider sollte das Entzücken über den Sieg, die Siegestrunkenheit, noch einem der tapfern Befehlshaber, lange nachdem der Kampf beendet war, den Untergang bringen!

Es galt, sich der Gefangenen an Bord beider Schiffe zu versichern, den Verwundeten Hülfe zu leisten, die Schiffe selbst förmlich in Besitz zu nehmen. Zu diesem Behufe begab sich der Befehlshaber der Südschanze, Unterofficier Preußer, obwohl dies seines Amtes durchaus nicht war, selbst an Bord des Linienschiffs.

Man meint, er habe noch immer an die Möglichkeit des Entrinnens der feindlichen Fahrzeuge geglaubt und daher die Ausschiffung der Officiere und Mannschaften durch seine persönliche Leitung, so viel irgend möglich, beschleunigen wollen. Er zwang also Paludan und die übrigen Officiere, trotz ihrer Vorstellung, daß das Schiff brenne und daß es ihre Pflicht sei, die Löschung des Brandes zu leiten, an’s Land zu gehen, während er selbst es übernahm, die nöthigen Anordnungen zu geben. Die Beförderung der Besatzung an’s Ufer war keine geringe Arbeit, denn noch befanden sich über 600 Personen an Bord des Schiffes; Stunden waren schon verstrichen, da – es war gegen halb neun Uhr des Abends – ergriff das im Innern „Christian’s VIII.“ wüthende Element die Pulverkammer, und mit einem Krachen, vor dem Land und Meer weithin erbebten, flog in einer himmelhohen Feuergarbe das ganze Innere des riesigen Baues in die Luft. Hierbei fand mit den letzten der gefangenen Dänen, die noch nicht hatten geborgen werden können, der brave Preußer seinen Tod.

Das furchtbar-prächtige Schauspiel hatte das Wogen und Treiben der Menschenmassen am Strande auf einen Augenblick unterbrochen, aber, von Neuem begonnen, dauerte es noch stundenlang fort. Wie geräuschvoll es aber auch sein mochte, es erschien nach dem letzten entsetzlichen Gekrach, das die Ohren erfüllt hatte, doch wie Stille. Endlich trat die Nacht in ihr volles Recht ein, und Sieger und Besiegte fanden unter ihrem Schleier Erquickung und Vergessen, die Einen ihres Ruhms, die Andern ihrer Schmach.

Die Sonne des folgenden Tages, des Charfreitags, ging über eine Scene auf, wie sie anziehender und grausiger zugleich nicht wohl sein kann. Noch lagerte auf den Feldern rund um die Stadt der Pulverdampf in dichten, schweren Wolken; die Felder in der Nähe der Schanzen sahen wie frischgepflügt aus, so dicht an einander hatten die Kugeln ihre langen Furchen über sie hingezogen; zahllose angebrannte Holzstücke, zum Theil noch glimmend, ja selbst ganz unversehrte Gegenstände waren durch die Explosion weit umher gesät; vollends am Strande lag ein wahres Chaos der verschiedenartigsten Gegenstände, das die heranrauschenden Wellen noch stets durch neue Trümmer vermehrten, in deren Mitte, schaurig genug, geschwärzte, zerrissene Leichen in nicht geringer Zahl zum Vorschein kamen.

Auf dem Grunde des Meeres aber, kaum einige hundert Schritte von der Südbatterie entfernt, lag, bei der Klarheit und geringen Tiefe des Wassers bis in’s Kleinste deutlich zu sehen, der Rumpf „Christian’s VIII.“, vielfach durch die Gewalt des Pulvers zerrissen und auseinander gesprengt. Gänzlich unversehrt jedoch, in seiner noch frischen Vergoldung, leuchtete durch die Fluth herauf das riesige Brustbild des Königs, dessen Namen das Schiff geführt, und das an seinem Bug geprangt hatte. Eigenthümliche Gedanken mußten Einem bei seinem Anblicke kommen. War es doch König Christian VIII. gewesen, der durch seinen berüchtigten „offenen Brief“ den in seinen Landen still glimmenden Zwist zwischen Deutschthum und Dänenthum zur hellen Flamme angefacht hatte, die bald den dreijährigen blutigen Krieg entzündete, der bei seiner Resultatlosigkeit doch nur als ein Vorspiel späterer Kämpfe angesehen werden kann! Das Meer mußte das Bild wieder herausgeben, und es bildet jetzt neben der versenkt gewesenen und wieder an’s Land gespülten Flagge des untergegangenen Schiffes, den Säbeln der kriegsgefangenen Officiere und andern dänischen Waffen eine Trophäe auf der Veste Coburg.

Die werthvollste Beute aber, die deutschen Händen verblieb, war „Gesion“, die am Morgen jenes Charfreitags, mit der deutschen Tricolore geschmückt, hart am Bollwerke des Eckernförder Hafens lag, ein Gegenstand der Freude und der Bewunderung für die Tausende, die von nah und fern auf die Kunde von dem großen Ereignisse herbeigeeilt waren. Zwar war das Schiff von unzähligen Kugeln durchlöchert, aber es konnte doch zu vollster Seetüchtigkeit wieder hergestellt werden. Bekanntlich kam es bei der traurigen Auflösung der deutschen Reichsflotte, der es, als in einem Reichskriege erobert, zunächst einverleibt worden war, durch Kauf an Preußen, und ist noch jetzt das größte Segelschiff der preußischen Marine.

Der glänzende Sieg der deutschen Waffen war mit einem verhältnißmäßig ungemein geringen Verlust an Mannschaft errungen worden. Von den sämmtlichen im Feuer gewesenen Truppen hatten die Artillerie der beiden Schanzen, das dritte schleswig-holsteinische Reserve-Bataillon und das Bataillon Reuß zusammen nur 4 Todte und 14 Verwundete; bei der nassauischen Artillerie war nicht ein Einziger verletzt, nur 2 Pferde waren erschossen. Beträchtlich war dagegen der Verlust an Menschenleben, den die dänische Flottille zu beklagen hatte. „Christian VIII.“ hatte 90 Todte, darunter 6 Officiere, „Gesion“ 40 Todte und „Geyser“ einen, die drei Schiffe zusammen also 131 Todte. An Bord der drei Schiffe zusammen gab es ferner 80 Verwundete, von denen ein nicht geringer Theil bald nachher im Lazareth verstarb. Unverwundet gefangen genommen wurden 943 Mann, darunter 39 Officiere. Der Gesammtverlust der Dänen in dem Kampfe vor Eckernförde an Todten, Verwundeten und Gefangenen erreichte also die Höhe von 1154 Mann.

Die Statthalterschaft der Herzogthümer machte am 6. April das große Ereigniß des vorigen Tages dem Lande durch eine Proklamation, General Bonin dem Heere durch einen Armeebefehl bekannt; in den folgenden Tagen wurden die militärischen Belohnungen für die Hervorragendsten unter den vielen Tapfern verkündigt. Hauptmann Jungmann ward „für sein ausgezeichnetes Benehmen in dem ruhmwürdigen Gefechte“ zum Major befördert, Feldwebel Clairmond, der den Lieutenantsrang bescheiden abgelehnt hatte, ward Oberfeuerwerker, mehrere Bombardiere avancirten zu Unterofficieren und Kanoniere zu Bombardieren. Um das Andenken des gebliebenen Unteroffiziers Preußer zu erhalten und zu feiern, ward verfügt, daß er in den Officier-Ranglisten der Artillerie-Brigade als Lieutenant verzeichnet und auf ewige Zeiten fortgeführt werde. Auf ewige Zeiten? Ja, wenn Preußen und Oesterreich nicht mit rücksichtsloser Hand das schöne Werk, die schleswig-holsteinische Armee zerbröckelt und zerstreut hätten!

An eine andere Belohnung, wie sie dem Helden des Tages, Jungmann, wohl gebührt hätte, an eine Art Nationaldank, dachte man damals nicht, oder man hielt sie für unnöthig, da ja dem Eroberer zweier großer werthvoller Schiffe ein reicher Ertrag an den üblichen Prisengeldern zu Theil werden mußte. Getäuschte Erwartung! Das deutsche Reich von damals und diejenigen, die später seine Erbschaft antraten, sind diese Schuld bis auf den heutigen Tag den Siegern von Eckernförde und ihren Wittwen und Waisen schuldig geblieben.

Die Kunde von dem Siege am ersten April erregte von einem Ende Deutschlands zum andern Freude und Zuversicht. Blieb doch diese Siegesbotschaft nicht die einzige, die im April, dem wahren Wonnemond der schleswig-holsteinischen Sache, aus den deutschen Nordmarken einlief! Am 13. folgte die Erstürmung der Düppler Schanzen, am 23. der Sieg Bonin’s bei Kolding. Nie hat der Stern Schleswig-Holsteins Heller gestrahlt, als in jener Zeit. Und doch mußte ihn so tiefe Wolkennacht bedecken! Will sie denn noch immer nicht weichen? Können wir denn noch immer nichts Andres thun, als einem entschlafenen Helden jener Zeit ein Denkmal errichten und es mit den Blumen der Erinnerung bekränzen? Von Frühling zu Frühling harren wir – wann endlich kommt der, der uns wieder an die Feuerröhre Jungmann’s stellt und uns die Bajonnete von Kolding in die Hand drückt?


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