Seite:Die Gartenlaube (1862) 451.jpg

Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
verschiedene: Die Gartenlaube (1862)

Sie, wo ich wohne!“ Er drückte seinem Gaste die Hand und rief nach dem Porter zur Fortschaffung des Gepäcks. –

Es lag ein stiller Druck auf dem jungen Manne, als er durch die dunkelnden Straßen nach seiner künftigen Wohnung schritt; und er wußte, daß es nicht allein die Vernichtung aller seiner stillen Träume war, was auf seiner Seele lastete; es waren auch die soeben gehörten Gespräche, welche durch Marquart’s Hinzutritt eine ganz eigene Verbindung mit dem erhielten, was der Wirth am Morgen über Winter’s Geschäft gegen ihn geäußert. Und je weniger er die Möglichkeit sah, sich durch sich selbst Klarheit zu schaffen, je mehr fühlte er eine unbestimmte Unruhe in sich wachsen. Erst als er sich das Familienbild, das sich ihm heute geboten, wieder vor die Augen rief, als ihm Winter’s ruhiges Wohlwollen gegen ihn selbst in die Erinnerung kam, als er darauf, die erhellte Treppe in dem Geschäftshause hinaufgestiegen, in das offenstehende erleuchtete Zimmer trat, das ihm so behaglich und heimlich wie ein von guten Geistern bereitetes Asyl entgegenblickte, vermochte er es wieder, mit einem kräftigen Entschlusse alle beunruhigenden Gedanken von sich zu werfen und seinem eigenen spätern Blicke das Urtheil anheim zu geben.

Er hatte kaum den Packträger entlassen und einen Blick über die Einzelnheiten der Zimmer-Einrichtung geworfen, als der Alte mit einem „Gutes Glück zum Eintritt, Sir!“ in der Thür erschien. „Mein Zimmer ist nach hinten, gerade hier gegenüber,“ fuhr er fort, „falls Sie noch irgend etwas zu fragen hätten!“

Hugo meinte in seiner augenblicklichen Stimmung kaum einen willkommeneren Gesellschafter finden zu können. „Ich denke, ich besehe mir Ihr Zimmer ein anderes Mal, Mr. Henderson, und wir rauchen hier eine Cigarre zusammen,“ erwiderte er; „zu fragen hat ein Mensch, der wie ich in ganz unbekannte Verhältnisse tritt, nur zu viel, und Sie erzeigen mir eine wahre Liebe, wenn Sie sich ein Weilchen zu mir setzen.“ Er deutete nach dem bequemen Divan und öffnete dann sein Cigarren-Etui.

Der Alte strich sich mit einem Lächeln voll stiller Laune das glattrasirte Kinn. „Ich rauche zwar höchst selten,“ sagte er, „aber ich werde mich heute, da Sie noch keine bessere Gesellschaft haben, Ihnen doch zur Disposition stellen!“ Er trat heran, zündete langsam die gebotene Cigarre an der Gasflamme an und zog dann einen Stuhl herbei, sich ziemlich steif dein Divan gegenüber niederlassend.

„Sie werden es nicht lächerlich finden, Sir,“ begann Hugo, sich bequem in die weichen Polster versenkend, „daß ich noch nicht eine Idee von dem Geschäfte habe, dem ich angehören soll, und doch möchte ich in dieser vollen Unwissenheit nicht gern meinen Anfang machen. Wollen Sie mir nicht eine Art Bild von dem Wesen, der Betriebsweise und was sonst dazu gehören mag, geben? ich würde Ihnen von Herzen dankbar dafür sein.“

Der Alte hob nachdenklich die Augenbrauen, während ein launiger Zug nicht von seinem Munde wich. „Ich muß Ihnen sagen, Sir,“ begann er nach einer kurzen Pause zu Boden blickend, „daß ich zwar schon im Geschäfte bin, so lange es besteht, daß ich mir aber die Regel gemacht habe, mich nur um das zu kümmern, was mir eben übertragen wird. – Und ich habe mich dabei sehr wohl gestanden, Sir,“ fuhr er langsam aufsehend fort, „habe meine Arbeit gewissenhaft gethan, ohne mir einen Gedanken oder eine Sorge über Dinge zu machen, die ich doch niemals völlig hätte übersehen können, und das Uebrige dem Principale überlassen. Und ich denke, wenn Sie ruhig mit demselben Grundsätze anfangen, werden Sie selbst kaum viel von Ihrer Unkenntniß wahrnehmen. Unser Geschäft ist, wie es auf dem Schilde steht, ein Commissions- und Speditions-Geschäft, das in die allerverschiedensten Handelszweige einschlägt, und so warten Sie nur, wohin Sie Mr. Winter stellt, dann wird Ihnen die Kenntniß schon von selbst kommen!“

Hugo blickte den, alten Manne in’s Gesicht und wußte nicht, war dieser wirklich so harmlos, als er sich stellte, oder wollte er ihm eine Lehre für sein künftiges Verhalten geben; indessen lag für seine augenblickliche Lage eine Art Trost in den Worten, und er beantwortete den unschuldigen Gesichtsausdruck des Alten mit einem Zuge offenen Humors. „Auf diese Weise werde ich allerdings nicht viel zu fragen haben!“ sagte er.

„Warum nicht, Sir?“ war die ruhige Erwiderung, „außergeschäftlich weiß ich vielleicht etwas mehr.“

Der junge Mann drückte einen Augenblick die Hand gegen die Augen. „Nun, ich hörte heute den Namen eines Mr. Graham nennen, der vor Kurzem Miß Winter geheirathet hat,“ begann er dann von Neuem und erhob sich rasch, um seine Cigarre an die Gasflamme zu halten.

Henderson nickte unmerklich, und ein leiser Zug von Spannung ging über sein Gesicht, der aber schon wieder verschwunden war, als der Andere seinen Platz von Neuem einnahm.

„Kennen Sie den Gentleman, Mr. Henderson, oder wissen Sie vielleicht, wie die Sache sich so geschwind gemacht hat? Ich lernte Miß Winter vor kaum zwei Monaten in Deutschland kennen und erhielt dort keine Ahnung, daß sie Braut sei!“

„Muß doch wohl so gewesen sein, denn es ging hier mit der Heirath so geschwind, daß kaum Jemand außer dem Hause etwas davon erfuhr,“ erwiderte der Alte, den jungen Mann mit einem eigenthümlich aufmerksamen Blicke betrachtend; „bin indessen selbst nicht recht darin klug geworden, Sir, so viel Vertrauen mir auch sonst Miß Jessy schon seit ihren Kinderjahren geschenkt hat. Mr. Graham kommt jeden Tag in unsere Office, und dort können Sie ihn auch morgen sehen. Jedenfalls werden Sie aber doch der jetzigen Mrs. Graham Ihren Besuch machen, da Sie mit ihr bekannt sind?“

Hugo betrachtete aufmerksam die Asche seiner Cigarre. „Ich bin ihr dazu wohl kaum nahe genug befreundet gewesen, Sir; weiß auch nicht einmal, ob ich in meiner jetzigen Stellung ein Recht dazu hätte!“ sagte er, ohne aufzublicken, und Henderson’s Blick schien sich einen Moment nur um so schärfer auf sein Gesicht zu heften.

„Ich meinte aber doch, daß Mr. Winter von Verpflichtungen gegen Sie gesprochen hätte, durch welche Sie sich auch seine eigene Familie geöffnet!“ versetzte der Letztere. „Ich sollte denken, Mrs. Graham, die ohnedies recht einsam lebt, da ihr Mann den ganzen Tag im Geschäft ist, würde sich freuen, einen europäischen Bekannten wieder zu sehen, mit dem sie plaudern könnte!“

Es lag etwas Sonderbares in dem Tone des Sprechenden, das den Deutschen rasch aufsehen machte, aber er begegnete nur einem gutmüthigen, völlig unschuldigen Gesichte. „Ich bin nur als Lehrer in Mr. Winter’s Familie eingeführt,“ erwiderte er, „und es ist für Jeden gut, nicht über den Kreis, der ihm angewiesen ist, hinauszugehen. Mrs. Graham wird mich am wenigsten vermissen!“ Aber die letzten Worte schienen ihm, kaum daß er sie gesprochen, mehr zu sagen, als er beabsichtigt; wider seinen Willen hatte darin ein Ton aus seinem verletzten Herzen geklungen, und er erhob sich rasch, sich nach seinem Gepäck wendend, als wolle er sich dort nach irgend einem Gegenstände umsehen.

Henderson blickte scharf vor sich nieder, nickte dann wie einen eigenen Gedanken bestätigend und verließ gleichfalls seinen Platz.

„Sie werden wohl noch auspacken und einrichten wollen, ich lasse Sie also lieber allein, Sir,“ sagte er; „wenn Sie mich in irgend einer Weise nöthig haben, so wissen Sie, wo ich bin!“

Hugo fühlte sich nicht mehr in der Stimmung, ihn aufzuhalten, und der Mann hatte überdies Recht, der Ankömmling hatte seine Habseligkeiten einzuräumen und sich heimisch zu machen, wenn er beim morgenden Beginn der Arbeit in Ordnung sein wollte. Er drückte dem Alten die Hand, und als die Thür hinter diesem zugefallen war, fing er an seinen Koffer zu öffnen und sich mit Eifer seiner neuen Einrichtung zu widmen. Lange aber währte es nicht, so begannen einzelne Stücke des stattgehabten Gespräches in seinem Ohre wieder zu klingen – „Mrs. Graham, die ohnedies recht einsam lebt“ – und er strebte vergebens, sich ein Bild von der Zurückgezogenheit eines so lebensprühenden Charakters zu machen, wie ihm der ihre entgegengetreten war. Und warum lebte sie einsam, sie, welche die Krone der gesellschaftlichen Cirkel hätte sein können? Dann folgte die Idee eines Besuchs bei ihr, die Henderson geäußert, und er preßte die Hand gegen die Stirn. Seine ganze Sehnsucht, sich noch einmal in dieses wunderbare Auge versenken, in ihrem klaren Lächeln berauschen zu können, erwachte plötzlich in ihm; hatte er doch noch niemals weiter hinaus gedacht, als ihr hier wieder zu begegnen; und doch, wenn er sich jetzt eine Wiederbegegnung dachte, empfand er, daß seine Gefühle in stillen Hoffnungen gewurzelt hatten, die nun wie Nebel zerronnen waren. Sie war verheirathet; was hatte er Anderes zu erwarten, als daß sie ihm mit der freundlichen Würde einer jungen Frau entgegentrat und wohl nicht einmal durch einen leichten Farbenwechsel die Erinnerung an einen Augenblick andeutete, der in ihm unauslöschlich stand? was konnte ihm ihr Auge, ihr Lächeln noch sagen, als

Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1862). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1862, Seite 451. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1862)_451.jpg&oldid=- (Version vom 15.9.2022)