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verschiedene: Die Gartenlaube (1862)

Ein Zug Saumthiere vom Schneesturm überfallen.
Originalzeichnung von H. Jenny.

oder es kamen langsam, in weiten wallenden grauen Talaren, die Nebelgeister herauf gewallt aus den unergründlich tiefen Schluchten des Gebirgs, umspannten den Verwegenen, der es gewagt, ihr Revier zu betreten, mit ihren trügerischen Schleiern, bis sein strauchelnder Fuß, vom geblendeten Auge nicht mehr geleitet, die schmale Grenze zwischen Tod und Leben nicht mehr zu unterscheiden vermochte, die schmale Kante längs des Felsens nicht findend, hinaustrat in’s Leere, und Roß und Reiter zerschellend auf’s unsichtbare Felsenbette hinunterstürzten. Zuweilen waren es die Schneekönigin und ihr treuer Genosse, der Wirbelwind, die den Wanderer mit ihrem eisigen Blumennetz umspannen, und den Beiden war nur schwer zu entkommen, denn ihre Schlingen legten sich so ermattend um die steifer und steifer werdenden Glieder, bis die vollständige Ermattung selbst die Sinne erfaßte und unüberwindliches Schlafbedürfniß dem Wehrlosen die Zügel des Saumthieres aus den Händen wand. Da hatte Schneekönigin weiter nichts mehr zu thun, als den bereit gehaltenen weißen Mantel über die Schläfer zu decken, und sie durfte sicher sein, daß kein Sterblicher Roß und Mann je wieder aufweckte.

Doch dieser primitive Zustand des Säumerpfades dauerte eben an den meisten Punkten nicht länger als bis zu dem Zeitpunkte, wo aus der Nacht der Zeit auch das anfangs freilich sehr spärliche Licht der helvetischen Geschichte auftaucht, und den welterobernden Römern war es vorbehalten, zuerst jene Pfade in „Pässe“ oder in eine Art von Straßen umzuwandeln. Zur Bezwingung der Cimbern und Teutonen überschritt der Consul Lucius Cassius den Mont-Cenis, und Marius benutzte nach seiner Niederlage denselben Weg für sich und seine römischen Legionen; die einsamen schneeigen Höhen des großen St. Bernhard sahen den welterschütternden Julius Cäsar mit seinen unbezwinglichen Cohorten vorüberziehen,

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verschiedene: Die Gartenlaube (1862). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1862, Seite 421. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1862)_421.jpg&oldid=- (Version vom 29.1.2017)