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verschiedene: Die Gartenlaube (1862)

in Kleinschelken, Mediasch, Golvilág bringe ich in meinen letzten Augenblicken meinen Dank für Alles dar, was sie mir gethan haben, auch für das, was sie meinen Kindern noch thun werden.

Die Frau Lehrerin wird mir einen Gefallen thun, wenn sie so lange noch da bleibt, bis meine Habseligkeiten werden verordnet und jedes Kind unter einem Flügel sein wird. Das Theilamt wird ihr für ihre treuen Dienste gerecht werden.

Das ungarische Findelkind, welches ich zur Aufziehung aufgenommen, bitte ich ferner zu unterhalten. Nur wenn es die Eltern verlangen sollten, hätten sie ein näheres Recht dazu. Ich habe ohnedem keines mehr auf dieser Welt. Meiner Meschner Kirchenkinder, meiner Nimescher gedenke ich in Liebe. Lasse Gott diese Gemeinden reich an Früchten der Gottseligkeit werden, wie Fruchtbäume, deren belastete Aeste bis zum Boden hangen. Ich habe wenig an ihrer Veredelung gearbeitet und nur wenigen Samen ausgestreut. Möge der Herr der Ernte die Halme um so körnerreicher machen! Liebe habe ich gepredigt und redliches Wesen. Mein Tod möge meinen ausgestreuten Worten in ihren Herzen um so größern Nachklang verschaffen. Lebet wohl, lieben Leute!

Mit meiner Nation habe ich es wohlgemeint, ohne es mit den andern Nationen übel gemeint zu haben. Meine Amtirungen in Elisabethstadt und Kokelburg habe ich aus Gehorsam in einem höhern Willen geleitet. Dieses ist das politische Verbrechen, welches mir den Tod zuzieht. Eines Verbrechens bin ich mir nicht bewußt. Fehlgriffe könnten es sein, was ich gethan hätte, vorsätzlich gewiß kein Unrecht. Es freuet mich jetzt in meinen letzten Augenblicken, das Eigenthum und das Gut des Adels nach Möglichkeit geschützt zu haben.

Unter meinem Schreibtische befinden sich die Programme der herauszugebenden Schul- und Kirchenzeitung. Der Nationalkörper ist zerschlagen – ich glaube an keine äußerliche Verbindung der Glieder mehr. Um so mehr wünsche ich die Erhaltung des Geistes, der einmal in diesen Formen wohnte. Ich bitte daher meine hinterbleibenden Amtsbrüder, für die Ausführung dieser Zeitschrift zu sorgen, um Charakter, reine Sitten und Redlichkeit des Willens in dem Volke zu erhalten. Ist es aber im Rath der Geschichte beschlossen unterzugehen, so geschehe es auf eine Art, daß der Name der Vorfahren nicht schamroth werde.

Nur von den licitirten Sachen des Gál Miklos (siehe Protokoll) ist das Geld als Depositum bei mir. Das übrige Geld hat Commende. Ich schreibe dieses blos deswegen hier, um meinen ganz elternlosen Kindern nicht wissentlich Unrecht geschehen zu lassen. Ein guter Name ist von einem Vater auch ein gutes Erbstück. Dieses Geld, das ich gut versorgt hatte, mußte ich in die Brandsteuer für Mediasch geben, um diese Stadt zu retten. In der vorfindlichen Obligation von 1000 fl. C.-M. besteht mein Antheil aus dieser Summe. Ich hatte kein eigenes Geld zu geben, da man mir in Kokelburg meine ganze Baarschaft gestohlen hatte.

Die Zeit eilt. – Ob der kranke Leib meinen willigen Geist tragen werde, weiß ich nicht. Alle, die ich beleidigt habe, bitte ich um herzliche Verzeihung. Ich meinestheils gehe aus der Welt ohne Haß und bitte Gott, meinen Feinden zu verzeihen. Mein gutes Bewußtsein wird mich auf meinem letzten Gange trösten. Gott sei mir gnädig, führe mich in’s Licht, wenn ich im Dunkeln war, und lasse diese Voranstalten, die mich umgeben, meine Sühne sein für das, was ich in dieser Sterblichkeit gefehlt habe.

So sei es denn geschlossen – in Gottes Namen.

Klausenburg, am 11. Mai 1849.

Stephan Ludwig Roth,
evangel. Pfarrer in Meschen.

Nachträglich muß ich noch ansetzen, daß ich weder im Leben noch im Tode ein Feind der ungarischen Nation gewesen bin. Mögen sie mir, als dem Sterbenden, dieses auf mein Wort glauben, in dem Augenblicke, wo alle Heuchelei abfällt.

Idem ut supra.“

Bei der Rückkunft Gintz’s von Chány vernahm Roth mit edler Fassung, daß er auf keine Gnade hoffen dürfe. Auf Gintz’s Erinnerung, daß des Lebens letzter Augenblick wohl der Religion bedürfe, um mit Fassung das schwere Schicksal zu tragen, erwiderte Roth: „Ach, lieber Bruder, es hat auch in meinem Leben nicht an so Manchem gefehlt, worauf ich mit Beschämung und Reue zurückblicke. Nach höherer Vollkommenheit habe ich zwar allezeit gestrebt, aber Fehltritte mancher Art habe ich denn doch auch begangen und müßte, wenn ich nicht jenseits mehr Gnade als hier erwartete, vor der Ewigkeit zurückbeben. Doch ich getröste mich des Allbarmherzigen, der den redlichen Willen für die That nimmt und den verirrten aber reuevoll zurückkehrenden Sohn nicht verstößt, sondern mit Vaterarmen aufnimmt, und das macht mich im Angesicht des Todes ruhig.“ Hierauf las er aus Wimmer’s Hausaltar, aus dem Abschnitte „Christliche Sterbeschule“ das vierte Gebet mit solchem Nachdruck und Verklärung vor, daß selbst die umstehenden Officiere sich auf’s Tiefste erschüttert fühlten, und Einer im Drange des Gefühls zu der Aeußerung hingerissen wurde: „Nein, eine Seelengröße wie dieser Mann beweist, habe ich niemals wieder gesehen – wie schade, daß er so elend umkommen soll!“ Nach vollendetem Gebet blickte Roth auf die Uhr und sprach: „Noch vier Minuten habe ich, und da fällt mir noch die Berichtigung einer etwa möglichen falschen Ansicht meines politischen Thuns und Wirkens ein. Es mögen nämlich Viele sein, die da meinen, ich sei ein Feind der ungarischen Nation und habe aus Haß gegen sie mich wider sie gebrauchen lassen. Ich versichere Jeden, daß dem nicht so ist. Wenn ich gegen sie aufgetreten bin, so geschah es, weil ich der Ueberzeugung war, die Ungarn seien im Unrechte, und ich müsse dem meinem Könige geleisteten Eide treu bleiben. Ich verzeihe selbst denen, die meinen Tod so ungerechter Weise beschlossen haben, und damit diese meine Versicherung nicht flüchtig mit dem Laute verhalle, will ich sie als Postscript meinem Briefe an meine Kinder beifügen.“ Hierauf blickte er wieder auf die Uhr und sprach zu Gintz sich wendend: „Noch zwei Minuten! diese benütze ich, um Ihnen, theurer Freund und Bruder, meinen wärmsten Dank für Ihre Freundschaft darzubringen. Gott segne Sie dafür! Bewahren Sie mein Andenken, bis wir uns jenseits wiedersehen. Als Unterpfand meiner Freundschaft empfangen Sie dieses mein Gebetbuch, das mich in meiner Gefangenschaft getröstet und woraus ich auch in diesem letzten schmerzlichen Augenblicke Muth und Freudigkeit im Tode geschöpft habe.“

Indessen war die zur Execution bestimmte Compagnie unter das Gewehr getreten, und der anführende Officier trat mit den Worten hervor: „Wenn es gefällig ist, Herr Pfarrer, es schlägt eben jetzt Fünf.“ Worauf Roth sogleich aufstehend und nach seinem Hute greifend halb scherzend erwiderte: „Von gefällig sein, Herr Hauptmann, kann eben nicht die Rede sein, es wäre mir gefälliger zu leben, aber,“ fuhr er hohen Ernstes fort, „ich füge mich dem Befehle der Obrigkeit, die Gewalt über mich hat, und erblicke auch darin den Willen meines Schöpfers, nach dem Worte des frommen Apostels: Jedermann sei Unterthan der Obrigkeit, die Gewalt über ihn hat, denn es ist keine Obrigkeit ohne von Gott.“ Hierauf wendete er sich hervortretend an die versammelten Officiere und sagte mit hoher Würde: „Meine Herren Officiere, ich bitte Sie, hassen und verabscheuen Sie meine Nation nicht. Sie ist mit der Ihrigen zwar jetzt in Conflict gerathen, aber sie besitzt eine Fülle der schönsten Tugenden und wird der Ihrigen, wenn sie mild und schonend mit ihr verfahren, gewiß eine treue liebende Schwester sein.“ Worauf Einer in schönem Deutsch erwiderte: daß die ungarische Nation auch gewiß nichts Böses im Sinne hätte; und wenn die unsere nur Ergebenheit und Treue zeige, solle sie gewiß brüderlich behandelt werden.

Hierauf setzte sich der Zug in Bewegung, Roth wollte die Begleitung Gintz’s nicht annehmen, dieser begleitete jedoch den Freund bis zum letzten Ziel. Die ungeheuere Volksmenge, welche ihn begleitete, höhnte ihn mit Schimpf- und Scheltworten, worauf Roth zu Gintz sprach: „Nun, das ist ja der Lauf der Welt und ist viel frömmeren Menschen, als ich bin, ja selbst meinem Heilande nicht besser gegangen. Das gehört mit zur Prüfung, die ich zu bestehen hatte.“ Festen Schrittes und ungebrochenen Muthes ging Roth weiter. Auf der obersten Stiege, wo der Weg in das gegen Süden gelegene Thor der Citadelle führt, einen Augenblick stille stehend und seine Blicke über die Stadt und das schöne Samosthal werfend, sprach er zu Gintz: „Herr Bruder! wie schön ist doch Gottes Welt – und wie ganz eigenthümlich sieht sie aus, wenn man sie zum letzten Mal sieht!“ Tief ergriffen machte ihn Gintz aufmerksam, wie er ja bald die Herrlichkeit der Welt von einem höhern Standpunkt aus erblicken werde. „Ja wohl,“ erwiderte er, „hoffe ich das mit Zuversicht; mein Glaube an die Unsterblichkeit meiner Seele steht fest und ist der Stab, der mich jetzt aufrecht erhält. Wie unglücklich sind diejenigen, die hieran zweifeln können!“ In dankbarer Liebe gedachte er im Weitergehen

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