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verschiedene: Die Gartenlaube (1862)

Sie nahm den angewiesenen Sitz ein, während Graham sich ihr gegenüber niederließ, aber der ausschauende Blick des Letzteren traf in ein völlig unerregtes, gleichgültiges Auge.

„Sie sind heute Mistreß Graham, das will heißen: meine Frau geworden, Jessy,“ begann er nach einer kurzen Pause, „wir haben einen Contract auf Lebenszeit gemacht, und ich bin ihn trotz der von Ihnen mir gestellten Bedingungen eingegangen. Ich möchte Sie nun aber fragen, ob wir es für die Dauer eines ganzen Daseins wohl ertragen werden, in einem Verhältniß neben einander herzugehen, das den peinlichsten Zwang in unser häusliches Leben führen, jede heimathliche Wärme, jede innere Befriedigung ausschließen, uns selbst aber für einander zu gegenseitigen Steinen des Anstoßes machen muß – und das Alles ohne eine Hoffnung auf jemalige Aenderung, als Abschluß dessen, was wir für immer vom Leben zu erwarten haben? Sie, Jessy, sind noch zu jung und ich noch zu wenig kalt für eine Zukunft, die nie einen Lichtstrahl böte, und darum muß ich trotz Allem sprechen, was Ihr eigenthümlicher Sinn Ihnen auch als künftige Selbstbefriedigung vorgemalt haben mag. Sie lieben mich nicht, Jessy, aber ich hoffe, Sie dürfen mich achten, und eine auf Achtung gegründete Zuneigung ist dauernder und für das praktische Leben mehr werth, als das Meiste von dem, was Liebe genannt wird. Diese Zuneigung mir aber von Ihnen zu erringen, müssen Sie mir erlauben, Jessy; in ihr liegt die einzige Hoffnung für unseren vereinten Weg, in mir allein haben Sie Ihr ganzes Leben zum Abschluß gebracht, und stoßen Sie mich kalt von sich, verweigern Sie jeden aufrichtigen Versuch, mich von meinen bessern Seiten kennen und so endlich in innigerer Vereinigung mit mir das Leben ertragen zu lernen, so haben Sie sich eben so elend gemacht, wie mich selbst! – Seien Sie vernünftig, Jessy, und glauben Sie doch nicht, daß ein Verhältniß überhaupt bestehen kann, wie Sie es sich ausgedacht!“ fuhr er lebendiger fort und suchte ihre Hand zu fassen; sie aber hatte sich bei seinen letzten Worten rasch erhöben.

„Bleiben Sie von mir, Sir!“ erwiderte sie mit aufblitzendem Auge und trat einen Schritt zurück. „Sie wissen das Elend voll zu malen, das uns erwartet, und dennoch haben Sie den Contract für Lebenszeit vollzogen, haben ihn angenommen, trotz der bündigsten Bedingungen meinerseits – warum, Sir, wenn es nicht unter dem einfachen Vorbehalte geschah, ein schwaches Mädchen zu betrügen, sobald es in Ihre Macht gegeben sei – und soll dies vielleicht die Achtung erzeugen, aus welcher sich eine Zuneigung für Sie entwickelt? Ich habe Ihnen die Abneigung, die in mir lebte, offen genug gezeigt – und Sie haben trotzdem meiner begehrt. Sie haben das gezwungene Opfer nicht verschmäht, das ich dem Glücke meiner Familie brachte, Sie haben mit Ihrem Ehrenworte versprochen, die widernatürlichsten Bedingungen zu halten – wenn nun wirklich der Mensch in Ihnen noch so viel Macht über den Geschäftsmann hat, daß die Folgen Sie elend machen können, so nehmen Sie jetzt auch hin, was Sie selbst hervorgerufen. Ich aber, verlassen Sie sich darauf, Sir, werde eher mein Leben verlieren, als zu einer Selbstentwürdigung meine Hand reichen!“

Graham hatte beim Beginne ihrer Rede langsam seinen Stuhl verlassen, und sein Gesicht zeigte jetzt wieder die gewöhnlichen steifen Züge. „Very well, Ma'am!“ erwiderte er, während ein leichter Ausdruck von Hohn um seinen Mund stand, „Sie wollen Ihren Einfall wirklich in Scene setzen; nun, so müssen wir erwarten, was die Zukunft bringt. Jedenfalls werden Sie mir erlauben müssen, meine Partie noch nicht verloren zu geben. Wenn ich Sie, schon der Dienstleute halber, beim Abendessen sehen dürfte, würde es mich freuen!“

Er hatte sich nachlässig dem Fenster zugewandt; Jessy aber schritt mit erhobenem Kopfe und fest auf einander gepreßten Lippen nach der Halle und dort die mit Teppichen belegte Treppe hinauf.

Oben öffnete sie die Thür zu einem als Sitting-Room elegant eingerichteten Zimmer, dessen offene Seitenthür den Blick in ein kleines Schlafgemach gestattete, und bedeutete wortlos die ihr entgegenkommende Mulattin, sie zu verlassen. Dann schloß sie die Thür ab, that Hut und Shawl von sich und wandte sich nach dem Schlafzimmer. Lautlos fiel sie hier an ihrem Bette in die Kniee und drückte das Gesicht in die Kissen; aber ihr ganzer Körper zuckte unter einem gewaltsam hervorbrechenden Schmerze, von dem Niemand erfahren durfte, als Gott und ihr eigenes Herz.




5. In’s neue Leben.

Im vierten Stocke eines großen amerikanischen Hotels befanden sich in einem kleinen Zimmer, das von der breiten Bettstelle darin zum größten Theile eingenommen wurde, zwei junge Männer. Der Eine benutzte den engen Raum, um nachdenklich auf und ab zu wandern; der Andere saß an einem schmalen Tische, starrte in das Licht der Kerze vor sich und pfiff halblaut eine Melodie, die er mit einem Trommeln seiner breiten Finger begleitete.

„So, hier wären wir also!“ unterbrach der Letztere plötzlich seine Unterhaltung, ohne indessen seine Stellung zu ändern, „und hoffentlich wird man einmal wieder eine Art Mensch werden können. Sechs Wochen auf dem Schiffe eingepökelt,“ begann er an den Fingern herzuzählen, „drei New-Yorker Tage und Nächte mit den Wanzen Krieg geführt und endlich in die Flucht geschlagen worden; acht Tage mit Dampf- und anderen Booten auf der Reise und keinen Laut vor den Ohren, als das englische Kauderwälsch, keinen Bissen im Munde, den eine vernünftige Creatur verschlucken würde, wenn sie nicht unter diesen Unmenschen verhungern müßte – gut! bis hierher und nicht weiter, sonst könnte man aus purer Alteration jetzt schon das Heimweh bekommen –“ er zog eine wunderliche Grimasse und preßte die zusammengeballte Hand fest auf den Tisch. Dann aber drehte er mit einem beobachtenden Blicke den Kopf nach dem Gefährten. „Noch immer nicht zu sprechen, Herr Referendar?“ fragte er nach einer kurzen Weile.

Der Angeredete hemmte seinen Schritt, blickte den Dasitzenden eine Secunde lang wie gedankenabwesend an und strich sich dann mit der Hand über das Gesicht. „Hast Recht, Heinrich, es kommt bei dem Grübeln jetzt am wenigsten heraus,“ sagte er, sich langsam auf den Rand des Bettes niederlassend, „aber die Gedanken, die sich jetzt erst mit einem Male einstellen, lassen sich kaum abweisen. Für unsere beiderseitige Existenz wäre es wahrscheinlich besser gewesen, wir wären in New-York geblieben –“

„Wenigstens kürzer und wohlfeiler!“ brummte der Andere.

„Richtig! indessen weißt Du, was mich hieher zog, und die Stadt ist groß genug, um Chancen jeder Art zu bieten – Du sollst auch unter keinen Umständen bereuen, daß Du mir treulich gefolgt bist, denn ich behalte wenigstens noch Geld genug, um Dich nöthigenfalls wieder nach New-York spediren zu können.“

„Heiliges –! das fehlt mir gerade noch, um desperat zu werden!“ unterbrach ihn Jener aufspringend. „Die Reise über das Wasser herüber hat er für mich bezahlt, gefüttert hat er mich bis hierher, und nun – aber warte einmal!“ Er trat dicht vor den Dasitzenden und legte beide Hände auf seine Schultern. „Ein Tischler, der sich zu helfen weiß, Hugo, findet in diesem Amerika seinen Verdienst überall, und im Lande drin oft noch besser, als in New-York, wo alles Fremde sitzen bleibt. Darum konnte mir’s nur recht sein, daß ich mit Dir hierher ging, und Gott gebe mir nur einen deutschen Meister und ein ordentliches Glas Bier. Ueber Deine Sachen hatte ich nichts zu sagen und nichts zu denken, aber ich wußte doch eins, von dem ich in New-York ganz absonderliche Beispiele gesehen. Wo der Handwerker hier fortkommt, hat der feine Mann mit aller Gelehrtheit oft Noth, und ich habe mein Gewissen, das schwer von alle dem Gelde ist, das ich Dir entzogen, damit getröstet, daß, wenn einmal eine Zeit eintreten sollte, wo – na und so weiter!“ unterbrach er sich mit einer raschen, halbverlegenen Kopfbewegung, „daß dann der Mangold auch da wäre, um jedenfalls als seine verfluchte Schuldigkeit Alles zu theilen, was er hat und verdient. – Das aber habe ich sagen müssen,“ fuhr er rascher fort, als fürchte er eine Unterbrechung, „damit ich Dir wenigstens wieder gerade in’s Gesicht sehen kann, und willst Du mich einen Esel nennen, so habe ich in Gottes Namen auch nichts dawider! So! und nun rede von Deinen Sachen!“

Er nahm seinen Sitz wieder ein; Hugo aber sah mit leicht zusammengezogenen Brauen vor sich nieder und blickte erst nach einer kurzen Weile, dem Tischler die Hand entgegenstreckend, auf. „Es ist gut, Heinrich, und Du hast jedenfalls praktischer geurtheilt, als ich,“ sagte er, den kräftigen Druck des Andern erwidernd; „ich weiß jetzt selbst kaum, was ich hier will. Da ist die Karte,“ fuhr er, langsam sein Portefeuille ziehend, fort, „die ich wie einen Schicksalswink betrachtete, als ich sie in Deinem Briefe fand, die mir auf der ganzen Reise ein Ziel gab, da ich nirgends ein anderes hatte, und der ich ohne einen andern Gedanken gefolgt bin, als daß es Wohl gleich sei, wo ich mein neues Leben beginne. Ueber dem Flusse, ein Stück drüben in’s Land hinein, soll jetzt die

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