Seite:Die Gartenlaube (1862) 394.jpg

Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
verschiedene: Die Gartenlaube (1862)

bin, eine Skizze des Unterrichts und der dänischen Lehrer an der ersten deutschen Gelehrtenschule in Schleswig, an der Schleswiger Domschule. Meine Skizze wird oft wie eine alberne Farce klingen, wie ein Stück aus einer halb burlesken, halb obscönen Posse auf einem der niedrigsten Vorstadttheater; – in den Seelen der Mütter, deren Kinder geistig gemordet und körperlich mißhandelt werden auf den Bänken dieser Schule, klingt sie wie ein Stück bitterer Tragödie voll Herzeleid und Jammer! - -

Treten wir ohne Weiteres in die erste beste Classe dieser deutschen Gelehrtenschule. Der Adjunct Quistgaard Munsmann steht gerade auf dem Katheder. Seit August 1855 fungirt er als Lehrer. Als er sein Katheder in der Domschule bestieg, sprach er einzig und allein die Sprache von Kopenhagen. Deutsch sprach und verstand er gar nicht. Während der sieben Jahre, daß er nun deutschen Schulunterricht giebt, hat er nur so viel deutsch radebrechen gelernt, um sich mit Mühe verständlich machen zu können. Aus dem Schulprogramm von 1856 entnehme ich, daß er ein Jüte ist und 1822 in Aarhuus geboren wurde. Seine Bildung erhielt er auf der dortigen Kathedralschule und auf der Kopenhagener Universität, absolvirte das philologisch-philosophische Examen, hielt sich in Norwegen, Paris und Oxford auf und kehrte dann nach dem dänischen Mekka des Nordens, nach Kopenhagen zurück, um eine Lehrerstelle an der Domschule in Schleswig anzunehmen, als deren Danisirung begann. Wie er diese letztere betreibt, zeige das folgende Beispiel: Der Sohn eines Schleswiger Bürgers, eines braven Handwerkers, wurde von Munsmann in der Schreibestunde gefragt, wo die Stadt Schleswig liege.

„In Schleswig,“ antwortete natürlich der zehnjährige Knabe.

„Nein,“ schrie der Lehrer das Kind an, „in Südjütland in Dänemark. Weißt Du nun, wo Schleswig liegt?“

Keine Antwort. Der Knabe konnte sich nicht überzeugen, daß Schleswig plötzlich „Südjütland“ geworden sein solle. Nochmals wurde er von dem Lehrer in der barschesten Weise angefahren; aber seine Erwiderung lautete:

„In Schleswig!“

Da stieg dem Dänen der Eiderdanismus zu Kopfe. Roth vor Wuth und Erbitterung schlug er das Kind mit der Faust. – „Wo liegt Schleswig?“

Ein langes Schluchzen des mißhandelten Knaben war die einzige Antwort. Wiederholte Ohrfeigen und Faustschläge. Endlich hörte man die leise Antwort des Kindes:

„In Dänemark!“

Wie wird sich Orla Lehmann, der jetzige Minister in Kopenhagen, gefreut haben, als er diesen Act der Brutalität gegen ein armes Kind vernahm! Das war so recht in seinem Sinn gehandelt. „Man soll es den Schleswigern mit blutiger Schrift auf den Rücken schreiben, daß sie „Dänen“ sind!“ Das Wort stammt von ihm, als er noch Amtmann in Veile war. Aber auch Du, deutsches Volk, erinnere Dich einst des mißhandelten Knaben! Der Tag wird kommen, wo all das Bullbeißergebell und die Gladiatorenstellungen jenseit der Eider auf einmal ein plötzliches und rasches Ende nehmen werden, und Orla Lehmann zum zweiten Mal gefangen eingebracht wird!

Ein deutscher Renegat, seit Kurzem aus seinem Amte geschieden, um für seine glänzenden Verdienste um die Wissenschaft würdig belohnt zu werden, heißt Christian Claus Lorenzen. Er ist der Verfasser des berüchtigten „Lesebuchs für deutsche Volks- und Gelehrtenschulen“, welches der loyale dänische Propst Thieß sich durchaus weigerte, in die Schulen der deutschen Propstei Gottors einzuführen, „weil es ebenso unchristlich wie unsittlich und undeutsch“ sei,[1] und lieber seinen Abschied nahm. Wie Lorenzen’s pädagogische Fähigkeit und Lehrunterricht gewesen sein mag, möge man aus jeder Seite dieses berüchtigten Lesebuchs beurtheilen; trotz alledem ist der Verfasser aber durch allerhöchste Resolution zum Prediger in Angeln – in einem ganz deutschen District – zur besondern Belohnung für seine genialen Leistungen an der Schleswiger Domschule ernannt worden.

Mit ihm verließ der Lehrer Gilbert Preysz die danisirte Domschule. Seit dem August 1852 half er die deutsche Gelehrtenschule danisiren. Auch er war ohne jedes pädagogische Talent, dazu der deutschen Sprache nur insoweit mächtig, um sich eben verständlich machen zu können, und zeigte ganz deutliche Spuren des Irrsinns. Ende 1853 endigte dieser halbblödsinnige Zustand, wie es im Schulprogramm heißt, mit einer derartigen allgemeinen Nervenschwäche, daß er den Unterricht vollkommen aufgeben mußte. Trotz alledem bestieg er später noch einmal das Katheder, bis sein Zustand sich dermaßen verschlimmerte, daß er zur Cur eine Reise in’s Ausland machen mußte. Man sah in Kopenhagen denn doch endlich ein, daß es mit dem Dociren nicht weiter ging – und da wurde er zur Belohnung für seine vielfachen Verdienste und Danisirungsbestrebungen – – zum Prediger in einem ganz deutschen District in der Nähe von Flensburg ernannt.

Werfen wir nun einmal einen Blick in die Classe, wo Unterricht in der Mathematik gegeben wird. Vor der schwarzen Tafel steht, ein Stück Kreide in der Hand, ein hektisch aussehender Mensch. Er scheint höchst jähzorniger Natur zu sein; oder vielleicht ist es die Krankheit, welche ihm das Blut in den Kopf treibt? Heute jagt in seinem Vortrag ein Zornausbruch den andern. Er spricht in Ausdrücken und Redensarten, welche nur in der Mathematikclasse der danisirten Domschule, aber nicht in der Gartenlaube öffentlich wiederholt werden können. Sowie ein derartiger Ausdruck gefallen ist, entsteht unter den Schülern ein Murren der Entrüstung. Es wird mit den Füßen getrampelt, ein schallendes Gelächter folgt dem andern. Das Deutsch des Vortrages ist ganz miserabel. „Ein neues Punkt“ – „Der Quadrat“ – „Nordenwind“ – „Die mütterliche Schatten“ – „Tempus heißt eine Zeitveränderung“ – „Der Satz sollte in Conjunctiv übergehen“ – „Dazu zeugen“ (soll heißen: Eid leisten) – „Da ist keine neue Griffel zu Dir“. – So geht es eine Zeit lang fort. Dann zeichnet der geistreiche Mathematiker eine Mondscheibe auf die schwarze Tafel. Er fragt einen Schüler, was diese Mondscheibe bedeute. Niemand weiß eine Antwort. Da lacht der Mathematiklehrer laut auf, sein hektisches Gesicht überfliegt eine purpurne Röthe. Er schreit: „Ich will es sie sagen. Es ist Euer schleswig-holsteinsches Vaterland.“

Und nun folgt ein fürchterlicher Spectakel, den der Lehrer, dem der Eiderdanismus zu Kopfe gestiegen ist, durch die rohsten Ausbrüche zu überbieten trachtet.

Soll man etwa über derartige Scenen lachen? – Ich dachte daran, von welcher Wichtigkeit die Mathematik in der geistigen Ausbildung unserer Jugend ist, und wie dieser Zweig der Wissenschaft in der ersten Gelehrtenschule des Landes selbstredend bei einem solchen Vortrage vernachlässigt werden muß! –

In der zweiten Classe des Gymnasiums fungirt der Subrector Henning Niß Lorenzen als Lehrer. Er gehört jedenfalls zu den dänischen Lehrern an der Domschule, welche der deutschen Sprache am wenigsten mächtig sind. Aus seinen Vorträgen sind mir unglaubliche Dinge mitgetheilt worden, welche mit darin ihren Grund haben müssen, daß der Lehrer die deutsche Sprache in einer ganz miserablen Weise spricht. „Die Königin Margarethe legte den Thron nieder,“ sagte er in einem Vortrage über nordische Götterlehre, und in einer Lehrstunde der Geschichte äußerte er: „Das Concil versetzte sich nach Basel und starb daselbst.“ Zuweilen wurde der Vortrag so unverständlich, daß die Schüler glauben mußten, vollkommenen Unsinn zu hören. „Es war ein unehelicher Sohn seiner im vierten Lebensjahre verstorbenen Schwester,“ ist doch wohl eine Probe dieses vollkommenen Unsinns.

Ich kann und darf es mir nicht nehmen lassen, noch einige Specialitäten aus den geistvollen Geschichtsvorträgen Lorenzen’s anzuführen, da sie oft ganz sinnlose Dinge enthalten. Ob die Unkenntniß der deutschen Sprache oder Mangel an historischen Kenntnissen die Ursache dieser sinnlosen Mittheilungen ist, wage ich nicht zu entscheiden. „Franz des Ersten Mutter war acht Jahr alt,“ äußerte er, „Franz war zwanzig Jahre alt, so legen wir noch zwanzig Jahre hinzu, so ist sie volle dreißig Jahre“ – „Wie bekannt, wurde Alexander der Große in Abwesenheit seiner Eltern geboren“ – „Wenn der Menschen Leichnam stirbt“ – „Konnte denn Marcus auch Latein sprechen?“ fragte er einmal in höchst geistreicher Weise, und ein anderes Mal warf er die höchst naive Frage auf: „Wie heißt die Sprache der Araber?“ – „Wie sahen die Säulen aus, Herr Subrector, auf denen die Säulenheiligen lebten?“ fragte einst ein etwas neugieriger Schüler. Der Lehrer gerieth in sichtbare Verlegenheit. Dann antwortete er in einem etwas schwankenden Tone: „Ich weiß es nicht ’mal, ich habe sie nicht gesehen.“

Eduard Sidonius Boje lehrte an der Domschule Geographie und Geschichte. Vollkommen indolent, versteht er fast gar kein Deutsch. Zu seinen Vortragen über Geschichte und Geographie ist

Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1862). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1862, Seite 394. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1862)_394.jpg&oldid=- (Version vom 31.3.2021)
  1. So wörtlich in der Preußisch-ministeriellen Denkschrift.