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verschiedene: Die Gartenlaube (1862)

An diese grauen und geheimnißvollen Naturdenksäulen verlegt die Sage den Dienst der deutschen Götter, sie weiht sie zur Stätte, wo des Varus Römerlegionen ihr letztes Schicksal ereilte, wo die siegjubelnden Schaaren Hermanns die gefangenen Tribunen und vornehmsten Hauptleute der Römer den Göttern an ihrem Heiligthume opferten; selbst für die germanische Wahrsagerin Velleda öffnet die Sage hier geheime Hallen, läßt auch die Irmensäule hier gefunden werden und nimmt den alten Kaiser Karl unter die Gestalten auf, mit denen sie die Vergangenheit dieser Felsthürme schmückt. Hier sieht das Volk noch heute den Ort, wo er die Opferaltäre der mannhaften heidnischen Sachsen zerstörte und mit blutigem Schwerte dem Christenthum eine Stätte weihte.

Mit dem 11. Jahrhundert beginnt die Zeit der Urkunden über die Externsteine. Wir finden sie im Besitz des Klosters Abdinghof, dem kirchlichen Dienst geweiht und allen Wundern und Wunderlichkeiten der religiösen Sage erschlossen, und damit das Romantisch-Grauenhafte nicht fehle, müssen Mönche und Eremiten die Höhlen am Tage zum Beten und bei Nacht zu Mord und Raub an den friedlichen Wanderern benutzen. Trotz alledem blieben die Kirchen und Kapellen der Externsteine vielbesuchte Wallfahrtsorte, bis die Reformation ihnen die Thore schloß.

Seit dem 17. Jahrhundert lenkte der Blick der regierenden Landesherrschaft von Lippe sich den vielgefeierten Naturherrlichkeiten zu. Sie ließen (zuerst ein Graf Hermann Adolph) Jagdschlösser dort bauen, die Felsen ersteigbar machen und sie endlich sogar mit schönen Anlagen umgeben, wozu auch der anmuthige Teich unter dem ersten Felsen gehört.

Die Fürstin Pauline von Lippe-Detmold machte auch der Gefahr, mit welcher hier eine böse Sage ihre Dynastie bedrohte, rasch ein Ende. Da steht auf dem vierten Felsen, gerade auf die Heerstraße herabdräuend, ein schier amboßförmiges Felsstück, anscheinlich so locker und leicht vorgeneigt, daß man ihm wohl die schändliche Absicht zutrauen könnte, daß es einmal eine Landesmutter aus dem lippeschen Grafenhause erschlagen wolle. Um diesem Verbrechen der erhabenen Natur vorzubeugen, bestiegen starke Männer den Fels und versuchten mit aller Kraft den gefährlichen Amboß der sagenhaften Schicksalsschmiede in die Tiefe zu stürzen. Aber vergeblich. Der Block wich nicht und wankte nicht. Darum schickte man die Schmiede von Horn über ihn, die legten ihm eiserne Fesseln an und klammerten ihn fest an seinen Felsstock, so daß fortan jede Landesmutter mit beruhigtem Herzen unter ihm weilen und wandeln kann.

Fr. Hfm.


Das Quartier Mouffetard und die Pariser Lumpensammler.

Zu den wenigen Straßen, die in Paris noch den ganzen Stempel ihrer Eigenthümlichkeit tragen, gehört auch die berüchtigte Rue Mouffetard im Faubourg Saint-Marceau – neben dem Faubourg Saint-Antoine der Hauptsitz der Insurgenten in den Jahren der letzten Revolution. Dieselbe schließt sich hinter dem Pantheon an die Rue Descartes an und zieht sich vor der berühmten Teppichmanufactur der Gobelins vorbei bis über die jetzt verschwundene Barrière d’Italie hinaus. Betritt man sie am Tage vom neugebauten Boulevard Sebastopol, also von der Grenze des Lateinerlandes aus, so staunt man über den schneidenden Contrast, der zwischen der Bevölkerung des soeben verlassenen und der des betretenen Stadttheils in Bezug auf Anstand und äußeres Wesen überhaupt herrscht. Begegneten wir in der Rue Mazarin gravitätisch einherschreitenden Advocaten und Schriftgelehrten, so begegnen wir hier geschäftig rennenden Waarenmäklern und Kleinhändlern; sahen wir in der Rue Dauphine kecke Studenten am Arm nicht minder kecker „Studentinnen“, so sehen wir hier schlendernde Arbeiter neben promenirenden Arbeiterinnen; stießen wir in der Rue de l’Ecole de Médecine auf grübelnde Männer der Wissenschaft, so stoßen wir hier auf lustige Adepten gewerblicher Kunst; waren dort Hut und Rock vorherrschend, so sind es hier Mütze und Blouse; ging man dort in lackirtem krachendem Schuhwerk, so geht man hier in Schlappschuhen und Spadrillen; rauchte man dort „Londres“, so dampft man hier den schwarzgerauchten Brûlot oder Souscigarren, – mit einem Worte: dort der gründlich aufgefaßte Ernst des Lebens und tolle Jugendlust unter sauberem Decorum, hier gezwungener Ernst und ausgelassener Leichtsinn unter den Lumpen der Misère.

Von dem täglichen Schalten und Walten der in diesem Quartier Mouffetard wohnenden gefürchteten Vorstädter betrachten wir diesmal speciell nur den Lumpensammler.

Ich hatte die Adresse eines solchen in der Tasche. Der Mann werde mich schon auf den rechten Weg führen, war mir bedeutet worden. Er wohnte am äußersten Ende der berüchtigten Gasse, gerade vor der italienischen Barrière. Schon von Weitem sah ich ihm den Lumpenhändler „im Kleinen“ an. Seine Wohnung war ein roh gemauerter großer Kasten, möchte ich sagen, dessen ganze Einrichtung in einem geräumigen Magazin nebst daranstoßendem Wohnzimmer bestand. Der Eingang zum erstern war im eigentlichen Sinne des Worts verbarrikadirt mit Früchten der nächtlichen Lumpensammlerthätigkeit. Es stand da Korb an Korb hoch angefüllt mit den buntesten Lappen. Es lagen da Haufen über Haufen der mannigfaltigsten Bruchstücke menschlicher Bekleidung. Als ich mir über Trümmer aller Art einen Weg in’s Innere gebahnt, unterschied ich im Hintergrunde des nichts weniger als hellen Raumes eine weibliche Gestalt, die mit Anfüllen eines groben Leinensackes beschäftigt war, und hinter ihr einen kleinen, schwarzäugigen Burschen in blauer Blouse, dem ich als dem Helden meiner Adresse sofort mein Anliegen vortrug. „Ob es nicht in der Rue Mouffetard eine Lumpensammler-Colonie gebe?“ fragte ich. „Nicht daß ich wüßte, mein Herr,“ lautete die Antwort. „Das große Haus dort oben, in dem sonst ihrer vierhundert beisammen wohnten, ist seit acht Monaten anderweitig vermiethet, und im Quartier Mouffetard wohnen die Lumpensammler zerstreut in den Hotels garnis. Wenn’s Ihnen jedoch auf zehn Minuten Wegs nicht ankommt, so will ich Ihnen eine Colonie zeigen, wo Sie gewiß finden werden, was Sie suchen. Wollen Sie gefälligst mitkommen, mein Herr?“ Wir gingen.

An der Ecke der nächsten Straße blieb der höfliche Franzose stehen. „Sehen Sie den freien Platz dort unten, mein Herr? Es ist die Place des Deux-Moulins. Links davon steht eine große Gruppe zum Theil einstöckiger Häuser. Es ist die Cité Doré. Dort wohnen mehr als funfzehnhundert Lumpensammler. Wenden Sie sich nur an den Portier.“

Ich dankte dem Manne, der ein Trinkgeld dankend ablehnte, setzte meinen Weg allein fort, und betrat das längs dieser Häuserreihe hinlaufende Trottoir. Es führt uns zu einer engen Gasse, der Rue de la Cité Doré, die mit der Häusermasse parallel läuft. Die linke Gassenwand bildet ein halbverfaultes schwarzes Breterstacket, hinter dem sich ein großer Küchengarten ausdehnt; rechts erheben sich bis an’s Ende der Gasse, nur von einzelnen Hofmauern unterbrochen, gelb übertünchte ein- bis zweistöckige Häuschen, die, in gerader Linie fortlaufend, mit ihren von Abstand zu Abstand sich wiederholenden Fenstern und Thüren eine entfernte Aehnlichkeit mit einer deutschen Unterofficier-Caserne haben. Dies ist die innere Seite der Colonie. Gehen wir sie entlang, so bemerken wir in erster Linie das Wort „Concierge“ über einer schmalen Hausthür.

An den Portier hatte ich mich zu wenden, und da die niedrige Thür offen stand, trat ich getrost in die Cerberus-Wohnung ein. Du lieber Gott, welche Misère! Ein viereckiges Loch mit vier nackten Wänden, einem natürlichen Fußboden und absoluter Möbellosigkeit, wenn ich einen Stuhl und eine Drechslerbank abrechnete. Von Feuerung keine Spur. Dessenungeachtet bei den Insassen des Locals, dem Portier und seiner Frau, nicht die mindeste Idee von Mißbehagen. Ersterer drechselte an der Werkbank, Letztere band Stühle, und Beide belehrten mich um die Wette über ihre Colonie. „Funfzehnhundert sei allerdings übertrieben,“ meinte die Frau. „Zwar habe sich beim letzten Census eine Bevölkerung von 3000 Seelen (Männer, Weiber und Kinder) herausgestellt, doch gehöre der größere Theil derselben dem Arbeiterstande an.“ – „Ein paar tausend Individuen,“ commentirte der Mann, „gehen des Morgens und Abends da aus und ein. Mithin sei es sehr schwer, festzustellen, wer in der Mehrzahl, die Lumpensammler oder

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verschiedene: Die Gartenlaube (1862). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1862, Seite 382. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1862)_382.jpg&oldid=- (Version vom 10.6.2020)