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verschiedene: Die Gartenlaube (1862)

Ich selbst hörte von einem Treiber, der sich an einer Gruppe Menschen vorbei bewegte, die schon bereit stand, das seltsame Schauspiel zu beobachten, die Aeußerung:

„Viel’ schlechte Leut’ giebt’s hier,
Das darf man schon sag’n;
Bis wir da überall aufarbeit’n,
Das kost’ noch a Plag’n.“ – –

Nachdem nun die Haberfeldtreiber ihre Rügen sämmtlich angebracht, ermahnt der Redner zur Besserung und droht mit Wiederholung des Rügegerichtes, „wenn sich noch einmal so was zutrag’n thät,“ und endlich spielt noch der unvermeidliche Kaiser Karl, als dessen Gesandte sich diese Richter bezeichnen, die Schlußrolle. Ich will die Knittelreime, die in dieser Beziehung fast bei jedem Haberfeldtreiben vernommen werden, hier anführen:

„So, Leut’, jetzt b’hüt’ Gott, und seid’s fein brav g’scheid,
Wir müss’n jetzt geh’n, der Weg ist gar weit;
Und wenn uns’re Musik hat Vielen nicht g’fall’n,
So müss’n’s halt denken, man braucht auch nichts z’ zahl’n.
Jetzt thut Euch halt bessern, und laßt’s Schlechte bleib’n,
Sonst kema[1] bald wieder zum Haberfeldtreib’n.
Von uns muß jetzt Einer in Untersberg ’nein,
Und bitten halt Karl, den Kaiser, recht fein,
Daß er die G’schicht’ in’s Buch thut einschreib’n,
Weil sonst so a Sach oft vergessn könnt bleib’n.“

„Ja Kaiser Karl muß wiederkommen und ’s Protokoll unterschreib’n,
Damit wir nächst in Grafing und Ebersberg können’s Haberfeld treib’n.“

Nach diesen Schlußreimen ermahnen Signalschüsse die Treiber zum Abziehen, und das plötzliche Erscheinen wechselt nun mit einem ebenso schnellen Verschwinden. Fast augenblicklich ist die so belebte Richtstelle leer, und tiefe Stille herrscht ringsum. Nur die Zuhörer ziehen sich nach allen Richtungen plaudernd und lachend hinweg, indeß dienstbare Geister – aber gewiß nicht die an diesem Tage thätigen Sittenrichter – die Lärminstrumente, welche ohnehin größtentheils in nächster Umgebung gesammelt wurden, still und[WS 1] eilig hinwegschaffen und den Eigenthümern zurückstellen. Natürlich liegt hier die Vermuthung nahe, daß noch an jedem Orte, wo das Rügegericht geübt wurde, so manche der dortigen Bewohner mit den Haberfeldtreibern förmlich im Einverständnisse waren. Wenn ich an solche Bauern, aus deren Scheunen und Häusern, wie ich vernahm, die Lärmwerkzeuge herrührten, die Frage stellte, wie doch diese Gegenstände in die Hände der Treiber gekommen seien, erhielt ich immer verschiedene Antworten. Da sagte mir der Eine: „G’rad’ heut’ Nacht ist’s Tennenthor offen geblieb’n, sonst aber nie; ich meine, sie haben’s g’schmeckt.“ Ein Anderer: „Ja schau’, wer kann da Widerstand thun? sind halt die Kerl kommen, und hab’n da mitg’nommen, was ihnen taugt hat, und ich hab’ mir denkt: Macht’s nur recht Musik damit; einen Guten geht’s nicht an, und einem Lumpen gehört nicht mehr.“ Als ich an diesen die weitere Frage stellte, ob er keinen der Haberfeldtreiber erkannt habe, erwiderte er: „Nein, sind ja lauter Fremde; schau so Bergler sind’s halt g’wesen, die riech’n die liederlichen Leut’ auf hundert Stund’ weit,“ etc. Uebrigens wurde anderseits auf diesem Wege meine gewonnene Ueberzeugung, daß nämlich alle Haberfeldtreiber mit Schießgewehren bewaffnet sind, noch mehr befestiget; denn die mir mitgetheilten Erfahrungen Anderer stimmten in dieser Hinsicht immer mit den meinigen vollkommen überein. Und wenn auch beim Rügeacte Männer mit Dreschflegeln und Sensen gesehen werden, so darf man sich nicht zu dem Schlusse hinreißen lassen, als seien dieselben ohne Schußwaffe auf dem Lynchplatze erschienen. Davon konnte ich mich namentlich bei dem Haberfeldtreiben in Rott am Inn in der Nacht vom 17. auf den 18. October 1846 sattsam überzeugen.

Wichtige Geschäfte, die ich mit dem dortigen Gutsbesitzer abzumachen hatte, nahmen mich auch einen Theil der Nacht in Anspruch. Es war bereits 11 Uhr, als ich nach vollendeter Arbeit das dortige Gasthaus betrat, um noch ein Glas Bier zu trinken. Kaum hatte ich da an einem Tische Platz genommen, als ungefähr 40 bis 50 fremde Männer zur Thüre hereindrangen, sich an den Tischen herum gruppirten und eilig Bier verlangten. Sie waren alle gleich gekleidet; trugen Joppen und sogenannte Miesbacher Hüte mit Spielhahnfedern geziert, und daß sie zu den Bergbewohnern zählten, stand außer Zweifel. Im ersten Augenblicke fragte mich der an meiner Seite sitzende Gastwirth, woher doch diese Leute seien, während ich ihm eben dieselbe Frage stellen wollte. Doch plötzlich stieg in mir die Vermuthung auf, es könnte, vielleicht gar hier Haberfeld getrieben werden, und theilte selbe auch meinem Nachbar mit. Die Ankömmlinge tranken in raschen Zügen aus Maßkrügen, welche von Hand zu Hand wanderten; sprachen unter sich kein Wort, und auffallend waren mir die ernsten Mienen, die sich auf jedem Gesichte bemerkbar machten. Während sie nach einigen Minuten Aufenthalt die Zeche bezahlten, begab ich mich in die erleuchtete Hausflur, und nun wurde meine Vermuthung zur Gewißheit, denn hier hatten die sonderbaren Gäste ihre Gewehre an die Wände gelehnt und drei Männer waren zur Bewachung derselben aufgestellt. Ein dumpfes Gemurmel lockte mich alsbald zur Hausthüre hinaus, und was sah ich da? Der ganze große Platz zwischen dem Wirthshause und den Klostergebäuden war mit Treibern förmlich überfüllt. Eben begann der Zug nach der Stelle, wo der Rügeact stattfinden sollte. Da ein großer Theil der Schaar an dem Wirthshause vorbeidefilirte, und der starke Lichtschimmer aus den Fenstern des Gastzimmers mir die Gestalten so ziemlich beleuchtete, so hatte ich Gelegenheit zu genauer Beobachtung. Nicht Einen sah ich unbewaffnet; ebenso konnte ich keinen im Gesichte Geschwärzten und ebenso wenig einen irgend Vermummten erblickten. Wahrscheinlich wird die Vorsichtsmaßregel, sich durch Vermummung und Gesichtsschwärzung unkenntlich zu machen, nur im Gebirge, dem Hauptheerde der Haberfeldtreiber, beobachtet, während man weiterhin auch ohne dieselbe nicht zu befürchten hat, erkannt zu werden.

Wenn man nun glauben möchte, daß nur allein im bairischen Alpengebirge solche Sittenrichterei existire, so würde man im Irrthume sein; denn wenn die mir gerüchtweise als Haberfeldtreiber bezeichneten Männer wirklich zu ihnen gehören, woran ich nicht zweifle, so streckt der geheime Bund seine Hörner weit in’s Flachland hinaus. Außerdem steht auch noch eine andere Ueberzeugung in mir fest, nämlich die, daß an jedem Orte, wo das Rügegericht bisher geübt wurde, sich die Haberfeldtreiber aus der nächsten Umgebung an dem Acte nie betheiliget haben, denn gerade die mir als solche Bezeichneten waren es immer, die sich unter den Zuhörern am meisten bemerkbar machten, und zwar wahrscheinlich um für den Fall, daß Untersuchung gegen sie eingeleitet worden wäre, ein Alibi zu gewinnen.

So viel über die Uebung des Haberfeldtreibens selbst. Ungeachtet ich nun von 1830 bis 1855, somit 25 volle Jahre, in einer Gegend des Flachlandes zwischen dem Inn und der Isar und nahe am Gebirge lebte, wo diese Sittengerichte nicht zur Seltenheit gehörten, und selbst viermal Zeuge solcher Acte war, ist es mir doch nie gelungen, in das innere Wesen des Geheimbundes einzudringen, denn darüber ist ein dichter, unlüftbarer Schleier geworfen. Ich erkläre offen, daß ich hätte eher Wasser aus einem Felsen schlagen können, als daß es mir möglich gewesen wäre, einem der als Haberfeldtreiber bezeichneten Leute auch nur den geringsten Theil des Geheimnisses zu entlocken.

So gesetzwidrig aber auch die Handlungsweise dieser unberufenen Sittenrichter erscheint, so auffallend ist es zugleich, daß solche Rügeacte durchaus nicht von schlechten Individuen aus Bosheit oder Rachsucht, sondern immer von ganz gut beleumundeten Männern und Burschen geübt werden, zu welcher Annahme schon der Umstand berechtigt, daß gerade im bairischen Alpengebirge, dem Hauptsitze dieses geheimen Bundes, noch ein echt christliches Kernvolk lebt, dessen Sitten weithin gepriesen werden. Uebrigens standen auch die in meiner Nähe gerüchtweise als Haberfeldtreiber bezeichneten Männer, wenigstens damals, im besten Rufe. Daß aber ein fürchterlicher Eid jedes Glied des Geheimbundes zur strengsten Verschwiegenheit verpflichtet, und daß wahrscheinlich der Dagegenhandelnde mit Todesstrafe bedroht ist, dürfte auf platter Hand liegen; denn anders ließe sich ja die Verstocktheit dieser Vehmrichter, denen noch kein Geständniß entpreßt werden konnte, so wie die Unwirksamkeit der strengsten obrigkeitlichen Maßregeln gegen dieselben nicht erklären.

Ueben aber wirklich diese Rügeacte einen moralischen Einfluß auf das Volk? Diese Frage ist schon oft aufgeworfen worden. Ich kann sie nur dahin beantworten, daß man dieses Gericht sehr fürchtet, daß die von ihm Betroffenen alle Achtung von Seite der ländlichen Bevölkerung verlieren und einer Schmach preisgegeben sind, die wirklich tief empfunden werden muß. Man zeigt förmlich mit den Fingern auf solche Personen und drückt öffentlich seinen Abscheu gegen sie aus. „Der,“ heißt es unter Anderem, „ist gar ein sauberes Möbel; der ist ja so grundliederlich, daß ihm

  1. Kema, d. i. kommen wir.

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Vorlage: uud
Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1862). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1862, Seite 282. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1862)_282.jpg&oldid=- (Version vom 4.8.2020)