Seite:Die Gartenlaube (1862) 234.jpg

Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
verschiedene: Die Gartenlaube (1862)

und die ganze fatale Geschichte möglichst ohne Lärm und Pulverdampf abzumachen.

Ich hatte meinem französischen Tischnachbar aus Homburg versprochen, mit ihm an einem bestimmten Tage in Frankfurt zusammen zu treffen und dann eine gemeinschaftliche Fahrt nach Wiesbaden und Baden zu unternehmen. Bevor wir indeß nach Wiesbaden gingen, machten wir einen kleinen Ausflug nach Wilhelmsbad, von wo aus bekanntlich die kurhessische Verfassung von 1831 datirt ist, und wohin sich der jetzige Kurfürst im Jahre 1850 begab, als die Kurhessen Herrn Hassenpflug nicht als den besten und ehrenhaftesten Minister anerkennen wollten. Wilhelmsbad ist kein Bad, sondern ein einzelnes von einem Parke umgebenes, schloßartiges Gebäude, dessen Erdgeschosse zur Spielhölle eingerichtet sind. Es war ein Sonntag, an dem ich den Ort besuchte, und ich kann mich noch in der Erinnerung des Schauders nicht erwehren, den der Anblick der armen Leute, die dort spielten, in mir erweckt hat. Es waren größtenteils Kleinbürger, Handlungscommis und Fabrikarbeiter aus der Umgebung, aus Offenbach, Aschaffenburg, Frankfurt und Hanau; denn wohlgemerkt! der Kurfürst von Hessen verbietet seinen Unterthanen nicht, zu spielen, und selbst einige kurfürstliche Officiere in Uniform befanden sich unter den Kunden des Roulette-Tisches. Ein armer Portefeuille-Arbeiter aus Offenbach hatte seinen ganzen Wochenlohn verloren, und es war so herzzerreißend, seine und seiner sehr anständig aussehenden Braut Klagen anzuhören, daß selbst mein Gefährte, der blasirte Franzose, sich der Bewegung nicht erwehren konnte, und seine Meinung über manche Einrichtungen in dem „ehrlichen Deutschland“ in bitteren Worten aussprach, die ich hier nicht wiedergeben darf, auf die ich aber auch leider nichts zu entgegnen wußte. Nur die eine seiner Bemerkungen will ich hier anführen: „Wir Franzosen,“ sagte er, „sind ein corrumpirtes Volk, und wir denken überhaupt ganz anders und weniger scrupulös über manche Dinge, als die Deutschen; aber dessen könnt Ihr hier in Eurem Tugend predigenden Deutschland sicher sein: Wenn der allmächtige französische Kaiser, der Despot, oder wie Ihr ihn immer nennen mögt, die Spielhäuser wieder in Paris einführte, und wenn in einem derselben eine Scene vorkommen würde, wie die, welcher wir eben beiwohnten, so demolirten die Arbeiter die Höhle noch am selben Tage, und die Regierung – würde nichts thun können.“ Ich schwieg, und dachte Manches, was ich dem Franzosen doch nicht eingestehen wollte; wir fuhren noch denselben Abend nach Wiesbaden.

Die Hauptstadt des Herzogthums Nassau gehört bekanntlich zu den reizendst gelegenen Orten Deutschlands, und die Heilkraft ihrer Quellen ist selbst von den Skeptikern unter den Aerzten anerkannt. Der Leser wird von mir keine weitere Beschreibung der Oertlichkeit, der schönen Gegend erwarten und mir erlauben, nur von dem „Curhause“ zu sprechen. Dasselbe ist, sowie das Curhaus in Ems, Eigenthum der Domaine, der Pachtertrag derselben gehört also zu den Einkünften der Krone. Bis zum Jahre 1857 waren die beiden Spielhäuser einer geschlossenen Gesellschaft, an deren Spitze die Herren Gunz und Simon aus Straßburg standen, pachtweise überlassen und sechs Monate, vom 1. Mai bis letzten October, geöffnet. Dann traten die eigentlichen Wiesbadener Directoren mit ihrem Antheile in eine Actiengesellschaft über, die sich unter den Auspicien von Wiesbadner und Frankfurter Banquiers gebildet hatte, der Widerstand der Emser Directoren wurde beseitigt, und die neue Administration begann ihre Thätigkeit unter der Oberleitung eines Herrn v. Wellen, der früher in Homburg dieselbe Function ausgeübt hatte. Die neue Gesellschaft zahlte das Dreifache des bisherigen Pachtzinses, wofür ihr auch das Privilegium eingeräumt wurde, in Wiesbaden vom 1. April bis Ende December spielen zu lassen. Sie hat das Etablissement nach dem Muster von Homburg reorganisirt, um diesem Concurrenz zu machen, hat das halbe refait und die Roulette mit einem Zéro eingeführt, das Personale bedeutend vermehrt, bestreitet die Concerte etc. aus ihren eigenen Mitteln, hat den Park und sämmtliche Anlagen in der Umgebung des Curhauses auf’s Prachtvollste umändern lassen; und Wiesbaden, das früher ein Spielbad war, ist eine Spielhölle geworden.

Die Gesellschaft des Curhauses, die ich während meines zehntägigen Aufenthalts in Wiesbaden zu beobachten Gelegenheit hatte, war, besonders in Bezug auf die Damen, noch schlechter als die in Homburg; es ist geradezu unbegreiflich, wie in einer Residenz von 15,000 Einwohnern, dem Sitze des Regenten, eines ziemlich zahlreichen Adels, der viele alte Namen zählt, höherer Behörden, eines gebildeten Beamtenstandes, vermöglicher Bürger, in einem Ort, wo jährlich Kammern über das Wohl des Landes berathen, wie da ein solcher Zusammenfluß von Personen geduldet werden kann, die als Abhub der Gesellschaft zu bezeichnen sind. Freilich giebt es – wie ich mich überzeugt habe – auch in Baden-Baden Courtisanen genug, aber sie verschwinden wenigstens unter der Masse, müssen doch einen gewissen äußeren Anstrich wahren und entfernen sich mit dem Ende des Spieles, im October. Aber der Wiesbadner Cursaal wird von dieser Gattung Wesen durch neun Monate des Jahres förmlich beherrscht, sie sitzen am Spieltische, an den Fenstern, auf den Canapés, im Speisesaale; sie theilen sich in Gruppen oder stehen auch unter der Protektion und Aufsicht älterer „Damen“; sie knüpfen sehr oft mit glücklichen Spielern ein Gespräch an; ihnen gehört das Reich der Spielhölle, und anständige Damen müssen es vermeiden, des Abends in den Anlagen oder in dem Parke hinter dem Curhause zu lustwandeln. Daß sich unter jenem Trosse auch manche befinden, deren äußere Haltung eine gemessenere ist, solche, die über große Summen zu verfügen haben und daher die niedrigeren Verrichtungen des Handwerks verschmähen, nur mit großen und reichen Herren umgehen, nur bei Tage und oft in Equipagen nach dem Saale kommen, versteht sich wohl von selbst. Ich sah die in ihrer Art berühmte Adele Courtois[1], die vor zwei Jahren, nach vielen, vielen Abenteuern und in einem Alter, wo die Jugendblüthe schon seit einiger Zeit vergangen war, den X.’schen Gesandten in einer Weise umstrickt hatte, daß er sich nicht scheute, mit ihr öffentlich in seiner Equipage in den Champs Elysees spazieren zu fahren, und daß er sie zuletzt geheirathet hätte, wenn nicht plötzlich ein Monsieur Courtois, legitimer Gemahl der Dame, erschienen wäre. Mein Reisegefährte sprach mit einer Dame, die allgemein als die Gemahlin eines Spielers galt, aber – wenigstens dem Tone ihrer Conversation nach zu urtheilen – zu den alten Bekanntschaften meines Franzosen gehörte.

Hier fand ich auch jenen Vicomte mit dem jungen schönen Mädchen mit dem Loch im Mantillen-Aermel wieder; der Vicomte spielte noch einige Male, dann war er ruinirt, verließ Wiesbaden, und nur das Mädchen blieb zurück – täglich in dem Kreise der Courtisanen, nun wahrscheinlich selbst eine Courtisane.

Soll ich nun meine aufrichtige Meinung aussprechen? Mir erschien das Gebahren dieser nobeln Courtisanen – der Franzose bezeichnete sie mit dem furchtbaren, aber passenden Ausdrucke: die Königinnen der Schande (reines de la honte) – noch verwerflicher, als das ihrer niedriger stehenden Colleginnen, weil sie nicht einmal die Noth, den Drang der Verhältnisse oder der Leidenschaften als Entschuldigung anführen können. Und habe ich Unrecht, wenn ich nur die verurtheile, welche, nachdem das Glück sie so weit begünstigt hat, daß sie zu einem besseren oder doch wenigstens anständigeren Lebenswandel zurückkehren könnten, mit der traurigen Berühmtheit, die sie erlangt, prunken, also nicht etwa dem Impuls einer Leidenschaft oder der Verhältnisse folgen, sondern nur noch dem Eigennutze fröhnen und das Diadem der Schande zur Schau tragen? Aber gerade diese sind es ja, welche zu den begünstigtsten Bundesgenossinnen der Spielbanken gehören; ihren niedriger stehenden Colleginnen kann es passiren, daß sie als zu unanständig – und weil sie kein Geld haben – entfernt werden; jene aber geben dem Etablissement ein gewisses Relief; ihre Anwesenheit in diesem oder jenem Bade wird sogar von manchen französischen Journalen gemeldet, damit ihre Verehrer doch wissen, wohin sie ihr Geld zu tragen haben, wo sie sich in der besten Gesellschaft ruiniren können.

Unter den hervorragendsten Persönlichkeiten, welche sich während meines Aufenthaltes in Wiesbaden befanden, ist der große Garcia zu nennen, der auch hier mit dem immensen Glücke spielte, das ihn schon in Homburg begünstigt hatte, und sich auch hier ebenso wenig gentlemanlike betrug als dort; neben ihm glänzte ein deutscher Spieler, ein ehemaliger preußischer Officier, der, wie es schien, ebenfalls große Summen gewann, sich aber wirklich anständig und ruhig benahm und sich von jeder zweifelhaften Gesellschaft möglichst fern zu halten schien; endlich ein fremder Königssohn; sein Vater war früher ein alljährlicher Besucher Wiesbadens und

  1. Name und Geschichte sind so sehr bekannt, in französischen Journalen so oft angeführt worden, daß ich hier durchaus keine Indiskretion begehe.
Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1862). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1862, Seite 234. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1862)_234.jpg&oldid=- (Version vom 4.8.2020)