Seite:Die Gartenlaube (1862) 166.jpg

Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
verschiedene: Die Gartenlaube (1862)

gelang es, einen Theil der Studentenschaft gegen ihn zu verhetzen, obgleich die Autorität seines Wortes so groß gewesen, daß beim Beginne dieser Wirrsale die Mitglieder der drei zu Jena bestehenden Orden dem verehrten Lehrer feierlich hatten erklären lassen, sie seien ihm zu Liebe bereit, ihre Verbindungen aufzulösen. Nun kam noch ein Anlaß, welchen Fichte’s Feinde zu benutzen sich beeilten. Er veröffentlichte nämlich in dem von ihm und Niethammer herausgegebenen philosophischen Journal seinen Aufsatz: „Ueber die Gründe unseres Glaubens an eine göttliche Weltregierung.“ Hierauf basirten seine Feinde die Anklage auf Atheismus, und sie agirten so geschickt, daß der Dresdner Hof, obscur wie er war, diese Anklage zu seiner Sache machte und zu Weimar drohende Schritte that. Fichte ließ gegen diese Machinationen eine „Appellation an das Publicum“ ausgehen, worin er klar darthat und unumwunden, vielleicht zu unumwunden, aussprach, daß nicht sein wirklicher oder angeblicher Atheismus der Grund der Anklage sei, sondern vielmehr der Geist der Freiheit und Selbstständigkeit, zu welchem seine Philosophie erziehe. Die Weimarsche Regierung suchte den Handel in einer Weise beizulegen, die, wie sie glaubte, für Fichte so schonend als möglich wäre. Er sollte sich nur einen Verweis „wegen Unvorsichtigkeit“ gefallen lassen. Allein Fichte, den Kampf für Geistes- und Lehrfreiheit mit stolzer Entschiedenheit durchfechtend, war nicht so Einer, der einen Verweis hinnimmt, wo er von seinem Recht überzeugt ist. Er drang auf eine ehrenvolle Freisprechung von der gegen ihn erhobenen Anklage oder auf seinen Abschied. Den letztern erhielt er und zwar in ziemlich brüsker Weise.

Man muß, um der Weimarer Regierung nicht Unrecht zu thun, unbedenklich zugestehen, daß in dem ganzen Handel Fichte’s oben berührter Mangel an „Delicatesse und Feinheit“ sich sehr bemerkbar gemacht hat. Aber bei alledem war er doch unzweifelhaft in seinem Rechte, und darum ist es schmerzlich, sagen zu müssen, daß sich Goethe und Schiller in dieser Angelegenheit nicht benahmen, wie sie gesollt hätten. Goethe’s höfischer Quietismus macht freilich das bedauernde Achselzucken, womit er dem Ausgang der Sache zusah, erklärlich; die Verehrer Schiller’s aber müssen lebhaft wünschen, daß derselbe den, milde gesagt, sehr unschillerschen Brief, worin er sich am 14. Juni 1799 gegen Goethe über Fichte’s „Unklugheit“ und „incorrigible Schiefheiten“ ausließ, nicht geschrieben haben möchte. Hier geziemte sich fürwahr nicht nörgelnde Wiederholung feindseligen Klatsches, sondern herzliche Theilnahme.

Mit Wegweisung aus Jena bedroht und vom Fürsten von Rudolstadt, in dessen „Staaten“ er eine Zuflucht suchen wollte, abschlägig beschieden, ging Fichte im Juli 1799 auf Gerathewohl nach Berlin, wohin er Frau und Kind – es war ihm zu Jena ein Sohn geboren worden – nachkommen ließ, als seinem Aufenthalt in der preußischen Hauptstadt kein Hinderniß in den Weg gelegt wurde und seine Existenz daselbst mehr sich befestigt hatte. Es gereicht Friedrich Wilhelm III., der damals noch nicht, wie später geschah, in Leuten wie Kamptz, Schmalz und Tzschoppe Stützen von Thron und Altar erblickte, zu hoher Ehre, daß er, nicht im Sinne der Bischoffswerder-Wöllner’schen Periode, sondern im Geiste der Zeit Friedrich’s des Großen, dem verfolgten, auch in Berlin gehörig denuncirten Philosophen den Aufenthalt in seiner Hauptstadt gestattete und zwar mit der Aeußerung: „Ist es wahr, daß Fichte mit dem lieben Gotte in Feindseligkeiten begriffen ist, so mag das der liebe Gott mit ihm abmachen. Mir thut das Nichts.“ … Auf die damaligen Berliner Zustände werfen die Briefe, welche Fichte während der ersten Zeit seines dortigen Aufenthaltes an seine Frau schrieb, mitunter ein sehr eigenthümliches Licht. Wir sehen da ein Gemisch von Bettelhaftigkeit, Prätension und Unsittlichkeit, das zuweilen einen Anstrich von Komik hat, z. B. wenn Fichte erzählt, wie Beamte mit 300 Thalern jährlicher Besoldung lebten. Brief vom 17. August 1799: „Ich kenne einen Kriegsrath, der einen Bedienten in prächtiger Livree hält. Dieser kochte verwichenen Sonnabend für die Familie ein halbes Pfund Rindfleisch und für sechs Pfennige Kartoffeln und Mohrrüben zum Mittagsessen. Es findet sich, daß das Fleisch nicht weich gekocht ist, es wird sonach nur das Gemüse verspeist und das halbe Pfund Fleisch, den andern Tag wieder gekocht zum Sonntagsessen. Seine Frau wäscht das Hemd, das sie den Sonntag tragen will, Sonnabends selbst in ihrer Stube und geht indeß ohne Hemd. So sollen viele Berliner leben.“

Fichte’s Sohn hat mit Grund bemerkt, daß die Uebersiedelung seines Vaters nach Berlin auch „innerlich einen wichtigen Abschnitt“ in dessen Leben bezeichne. Die Richtung seines Philosophirens auf praktische Ziele blieb dieselbe, ja sie erhöhte sich sogar noch, wie wir sehen werden; allein sein System erfuhr eine völlige Erneuerung und Umbildung, dadurch nämlich, daß er in demselben, wie früher die moralische, jetzt die religiöse Weltanschauung zur Geltung zu bringen suchte. Daß übrigens die Religiosität Fichte’s eine lichte und helle war und blieb, ist selbstverständlich. Dieser Kopf war nicht dazu organisirt, sich à la Schelling mystisch benebeln zu lassen. Er hatte, ohne eine amtliche Stellung zu besitzen, in Berlin bald eine zahlreiche Zuhörerschaft für seine Vortrage gewonnen. Die hervorragendsten Männer besuchten sein Auditorium, welches für eine Weile auch das Curiosum darbot, daß daselbst die Todfeinde A. W. Schlegel und Kotzebue friedsam neben einander saßen. Fichte erkannte, daß sich ihm auf dem Boden der Hauptstadt Preußens eine bedeutende Wirksamkeit eröffne; er fühlte, daß er hier eine Mission zu vollziehen habe. In diesem Bewußtsein trug er tapfer, wie er ja all sein Schicksal getragen hat, das Prekäre seiner Existenz und schlug erst einen an ihn ergangenen Ruf nach Charkow in Rußland und dann einen zweiten nach Landshut aus.

Zum Dank erhielt er auf Beyme’s, Altenstein’s und Hardenberg’s Betreiben die Bestallung als Professor der Philosophie an der (damals noch preußischen) Universität Erlangen, und zwar mit der besondern Vergünstigung, nur im Sommersemester dort lesen zu müssen, den Winter aber in Berlin zubringen zu dürfen. Im Mai von 1805 trat er sein neues Lehramt an. Allein im Spätherbst des folgenden Jahres erfolgte die Schlacht bei Jena und mit ihr der Zusammensturz des „Staates Friedrich’s des Großen“, an welchem von oben bis unten Alles morsch und faul geworden war. Nicht gewillt, es zu machen, wie es z. B. Johannes von Müller machte, d. h. dem übermüthigen Sieger so oder so sich zu unterwerfen und dann etwa nach Art des Genannten ein westphälischer Figurant am Lenkseil bonapartischer Polizei zu werden, verließ Fichte vor dem Einrücken der Franzosen Berlin und begab sich nach Königsberg, von wo er am 4. Mai 1807 an seine in Berlin zurückgebliebene Frau, die ihm gemeldet hatte, daß Müller sich zu Napoleon bekehrt habe und von diesem zu Gnaden angenommen worden sei, die Worte schrieb: „Müller beneide ich nicht, sondern freue mich, daß mir die schmachvolle Ehre nicht zu Theil geworden, wie ihm; auch daß ich frei geathmet, geredet, gedacht habe und meinen Nacken nie unter das Joch des Treibers gebogen.“… Er schiffte sich dann, da bei der trostlosen Lage Preußens zunächst nach dem Frieden von Tilsit kein Raum zu gewünschter Wirksamkeit für ihn sich finden wollte, zu Memel nach Kopenhagen ein, wo seiner jedoch nur Enttäuschungen warteten. Um sich darüber, wie über den Kummer der Zeit, hiuwegzuheben, studirte er in jenen trüben Tagen eifrigst das Pestalozzi’sche Erziehungssystem, ein Studium, aus welchem der große Gedanke der Begründung einer nationalen Erziehung des deutschen Volkes erwuchs, dem Fichte bald so beredte Worte leihen sollte.

Denn gegen Ende Augusts 1807 kehrte er nach Berlin zurück, wo damals jenes glorreiche Werk der Wiedergeburt des preußischen Staats an die Hand genommen wurde, welches zu kennzeichnen man nur die Namen Stein und Scharnhorst zu nennen braucht. Sogar dem stumpfsten Verstande hatte das Unglück die Einsicht aufgedrungen, daß mittelst des Junkerthums, mittelst jenes Junkerthums, welches bei Jena commandirt, bei Prenzlau capitulirt und die stärksten Festungen unerhört schmachvoll dem Feinde überliefert hatte, Preußen aus seiner tiefen Erniedrigung nicht wieder aufzurichten sei. Man mußte sich schon bequemen, es ging nicht anders, man mußte „den Geist anrufen in der Noth“. Der Geist ist aber ein gutmüthiger Geselle; er hilft auch solchen aus der Patsche, von denen er weiß, daß sie ihn eben nur in der Noth anrufen und nachmals wieder verleugnen werden.

Noch im Laufe des Jahres 1807 faßten erleuchtete Patrioten den Plan der Gründung einer Hochschule zu Berlin ins Auge, und Fichte arbeitete einen Entwurf aus, welcher den alten Universitätsschlendrian, den mittelalterlichen Formalismus ganz bei Seite warf. Dieser Entwurf ist freilich selber bei Seite gelegt worden, weil mit Stein’s Entfernung vom Staatsruder die preußische Staatsreform überhaupt ihren energischen Schwung einbüßte. Die Berliner Universität wurde dann bekanntlich ganz in der gewohnten Weise gestaltet, aber da Lehrer wie Fichte an sie berufen wurden, so hat sie wenigstens in der ersten Zeit ihres Bestehens im

Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1862). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1862, Seite 166. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1862)_166.jpg&oldid=- (Version vom 2.4.2020)