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verschiedene: Die Gartenlaube (1861)

zu öffnen, den ich als einen lieben Freund verehre und dem ich daher so gern mit ganzem, vollem Vertrauen entgegen kommen möchte, da ich weiß, daß er mich und mein ganzes Wesen erkannt hat und richtig zu beurtheilen versteht. Lassen Sie mich mein nächstkünftiges Leben an der Hoffnung aufrichten, die mir von Weitem lächelt, daß ich bald einmal die liebe eigentliche Heimath wiedersehen werde.“

Aus der Zeit ihres nächsten Aufenthalts in Deutschland (Sommer 1856) bewahrte Wilhelmine als Curiosum ihren kurzen Briefwechsel mit einer Fürstin, deren Namen ich verschweigen will; ich kann mir aber nicht versagen, als Beitrag zur Culturgeschichte unseres Jahrhunderts den Schluß des ersten Briefes der Fürstin hier einzuschalten. Sie war mit Wilhelminen sehr befreundet gewesen, war ihr zu ernstem Danke verpflichtet, fühlte sich aber – wahrscheinlich weil Wilhelmine politisch compromittirt war – veranlaßt, sich von ihr zurückzuziehen. Nachdem sie Wilhelminen in Berlin flüchtig begegnet war, traf sie in Carlsbad abermals mit ihr zusammen und schrieb ihr einen Brief, in welchem sie sich und ihre Töchter entschuldigt, daß sie nicht mehr öffentlich mit der „geliebten und verehrten Künstlerin“ verkehren könnten. Träfen sie sich allein, auf einsamen Spaziergängen, fährt die Fürstin fort, so würde sie sich freuen, von Wilhelminens Freuden und Schmerzen zu hören. Sie schließt mit den Worten: „O, wie gern hörte ich Sie wieder einmal singen! Ja – da meldet sich doch das Verlangen nach irdischen Freuden in meiner Brust, und ich glaubte, daß mich hier nichts mehr sehr freudig erregen könnte; aber der Mensch hofft und wünscht, bis er die müden Glieder ganz zur Ruhe legt; nun sind diese Wünsche ruhigerer Natur, und man ist nicht mehr unglücklich, wenn sie auch nicht erfüllt werden! – Möge Gott Ihnen den Frieden schenken, dessen ich mich jetzt so sehr erfreue, durch das mir fast unentbehrlich gewordene Geisterklopfen! – –“

Wilhelmine antwortete umgehend:

„Soeben erhalte ich Ew. Durchlaucht Zuschrift und will keinen Augenblick säumen, Ihnen die nöthige Beruhigung zu geben. Sie hätten sich die Angst und den Brief ersparen können, denn es war seit meinem Zusammentreffen mit Ihnen in Berlin mein fester Vorsatz, Sie wie Ihre Töchter bei einer abermaligen Begegnung gänzlich zu ignoriren. Ich bin nicht die Frau, die ein unehrerbietiges Betragen von jungen, unbedeutenden Mädchen duldet, deren Bildung so mangelhaft ist, daß sie das Recht zu haben glauben, einer Frau, die so weit über ihnen steht, nach Belieben ihren Hochmuth fühlbar machen zu dürfen.

Wenn Sie mich recht verstanden hätten, so mußten Sie wissen, daß ich damals in Berlin für dieses Leben Abschied von Ihnen genommen hatte und zwar mit dem Ausdrucke des Dankes, den ich Ihrer früheren Freundlichkeit gegen mich schuldig zu sein glaubte. Es thut mir für Sie leid, daß Sie den Verhältnissen unterliegen mußten; für mich hat ein solches Gebahren nur etwas höchst Lächerliches! Möchte Ihnen die Gnade durch Gott zu Theil werden, den Geist herbeizuklopfen, der uns die eigentliche

Menschenwürde verleiht.

Wilhelmine von Bock.“

Die Fürstin schrieb darauf noch einen langen Brief, in welchem sie wiederholt von ihrer unwandelbaren Liebe für Wilhelmine spricht und die Hoffnung ausdrückt, daß diese nach einiger Ueberlegung erkennen würde, wie ungerecht sie ihre fürstliche Freundin beurtheilt hätte. Sie hat auf diesen Brief keine Antwort bekommen.

Wilhelmine hat in ihren geselligen und freundschaftlichen Beziehungen eine Menge ähnlicher Erfahrungen machen müssen. War die erste Empörung überwunden, so lachte sie darüber und warf die Menschen, die sich dumm, feig oder undankbar benahmen, zu den Todten. Viel tiefer schmerzte sie der Undank, den sie als Künstlerin erfuhr oder zu erfahren glaubte. Das Bewußtsein, durch ihr künstlerisches Schaffen, so groß und glänzend dasselbe auch gewesen war, keinen nachhaltigen Einfluß errungen zu haben, verursachte ihr eine Pein, die sie zuweilen mißtrauisch, bitter, selbst ungerecht werden ließ. 1855 schrieb sie an ihren Freund, den Kammerherrn von Donop:

„Nun habe ich eine Bitte an Sie. Ein junger, sehr talentvoller Bildhauer in Gotha hat ein Medaillon in Marmor von mir gemacht, welches in der Gothaer Kunstausstellung den ersten Preis erhielt und vergangenes Jahr in Berlin den ganzen Winter in der permanenten Kunstausstellung aufgestellt war und dort die allgemeinste Anerkennung fand. Dieses Medaillon in Lebensgröße hatte ich als Geschenk für Dresden bestimmt, wo man es zu meinem Gedächtniß in den Hallen aufstellen sollte, wo ich so oft mit voller Begeisterung, mit dem ganzen Enthusiasmus meiner Seele vor ein Volk hingetreten bin, das nur zu schnell über neue Erscheinungen, wären sie auch noch so mittelmäßig, das früher Gebotene vergißt. Weil ich nun aber fühle, daß das, was ich gegeben, wohl werth war, der Vergessenheit entrissen zu werden, so wollte ich als Mahnung jenes Kunstwerk hinstellen, das außer meinen genial ausgeführten und ähnlichen Gesichtszügen auch noch die Namen von vier aus meiner innigsten Seele entsprungenen Schöpfungen trägt. Die schmachvolle Behandlung aber, die ich bei meinem letzten Aufenthalt in Dresden, im Herbst 1851, erfahren mußte, hat mich bestimmt, das Geschenk nicht zu machen. Nun wünsche ich diesem Medaillon aber einen würdigen Platz zu geben, denn es in der Kiste verpackt vermodern zu lassen, wäre wirklich zu schade. Da wollte ich Sie nun bitten, ihm in Ihrer Bibliothek ein Plätzchen zu gönnen und es zu meinem Andenken dort aufzustellen. Wer kümmert sich jetzt in Deutschland noch um die Schröder-Devrient? Darum will ich es keinem öffentlichen Kunstinstitute aufdrängen, sondern bei Ihnen will ich es wissen, der Sie ja auch der Künstlerin Ihr ganzes Interesse zugewendet hatten. Gönnen Sie unter den hohen Geistern, die in ihren Werken Sie umgeben, dem Abbild einer Frau ein stilles Eckchen, in deren Busen ein Herz voll heiliger Begeisterung schlug, die die Kunst um ihrer selbst willen geliebt und verehrt hat, und nicht um den schnöden Gewinn einzig und allein, wie es viele der jetzigen entarteten Priester und Priesterinnen der holden Musen thun, welche gewiß ob der Schmach, die ihnen angethan wird, oft ihr Antlitz erzürnt abwenden.

Ich habe im vorigen Winter oft mit blutendem Herzen im Theater gesessen … Man hat es ihnen doch vorgemacht, wie kommt es denn, daß sich auch nicht eine leise Andeutung übertragen hat von dem, was ich vor dem ganzen Olymp verantworten konnte?

Das Publicum, was mich doch auch gesehen und gehört hat, jubelte und schrie, mehr als es jemals bei mir gethan. Da rollte mir wohl eine stille Thräne über die Wangen, und leise seufzend rief ich aus: Unsinn, Du siegst, und ich muß untergehen! Es giebt wohl kein schmerzlicheres Gefühl, als das – umsonst gelebt zu haben. Aber ist nicht jetzt die ganze Welt ein großes Narrenhaus? Wohin man sieht, ist an die Stelle der göttlichen Vernunft ein Zerrbild getreten. Wahrheit und Natur sind verschwunden, vor Allem aus der darstellenden Kunst, und das einzige Ziel, welchem nachgejagt wird, ist – ein voller Geldbeutel, gleichviel, durch welche Mittel er gefüllt wird. Zum größten Theile sind die Künstler der Jetztzeit Heuchler außer der Bühne, wie aus derselben – und wo im Leben keine Wahrheit ist, da ist sie auch nicht in der Kunst.“

Trotz dieser Schmerzen waren die Erinnerungen an die Zeit ihrer künstlerischen Wirksamkeit Wilhelminens Trost und Freude in der Einsamkeit ihres russischen Lebens. Tagelang war sie ganz allein, während ihr Gatte seine weitläufigen Güter inspicirte. Neue Bücher kommen schwer nach Rußland. Von Allem, was ihr durch Freunde empfohlen worden war, erlangte Wilhelmine nur Lübke’s Geschichte der Architektur. Singen mochte sie nicht; der Ton ihrer Stimme – die hier so ungehört verhallte, während sie einst das Entzücken von Tausenden gewesen war – brachte sie zum Weinen. Die Beschäftigung mit ihrem Haushalt wurde ihr durch die Rohheit und Dummheit der Dienstboten zur Qual – so saß sie denn stundenlang, tagelang mit irgend einer mühsamen Stickerei beschäftigt und versenkte sich tiefer und tiefer in die Erinnerung an vergangene Zeiten. Mit der Erinnerung kam die Sehnsucht nach dem, was sie aufgegeben hatte; mit der Sehnsucht die Hoffnung, daß sie es wiederfinden könnte. Sie fühlte sich heißer als je zuvor vom Enthusiasmus für die Kunst durchglüht; ihre Ansprüche an den Künstler waren in dem Maße gewachsen, wie sich ihre rastlos fortschreitende Seele erweitert und verlieft hatte – und Alles, was in Deutschland in ihrer Kunst geleistet wurde, blieb so weit hinter ihren Anforderungen zurück, daß ihr jede Opernvorstellung namenlose Pein bereitete. Der Drang, mit ihrer Gluth und Kraft da einzuschreiten, wo sie so viel Lauheit, Schwäche und Unwahrheit sah, wurde immer mächtiger, Ob ihre Mittel noch ausreichen würden, das zur Erscheinung dem bringen, was die schöpferische Kraft ihrer Seele dem geistigen Auge so klar und gewaltig

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verschiedene: Die Gartenlaube (1861). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1861, Seite 799. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1861)_799.jpg&oldid=- (Version vom 13.12.2022)