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verschiedene: Die Gartenlaube (1861)

und, ohne einen Blick nach dem Mädchen zu werfen, sichtlich mit einem Entschlusse zu kämpfen schien – dann aber ebenso plötzlich die Peitsche brauchte, als wollte er die kurze Zögerung wieder einbringen, und bald neben der Wartenden anhielt.

„Sie scheinen schon früh auf den Füßen gewesen zu sein!“ rief Lucy, welche sich über die eigenthümlichen Bewegungen des Mannes kaum einen Gedanken gemacht, und mit einem: „Man muß ja wohl!“ sprang dieser vom Wagen.

„’s ist mir eigentlich ganz lieb, daß ich Sie treffe, Miß,“ fuhr er fort, während sein Blick, dem Auge des Mädchens ausweichend, irgend einen Gegenstand in der Entfernung zu betrachten schien. „Sie sind eine Deutsche, auf der ein Landsmann nichts sitzen lassen sollte, und meine Frau hat Sie viel zu lieb, als daß ich nicht gegen Sie gerade heraus reden müßte!“ Er machte eine Pause, als wisse er nicht sogleich, wie fortzufahren; Lucy aber hatte bei der sonderbaren Begrüßung zuerst in leichter Verwunderung den Kopf gehoben, dann indessen, wie in einer plötzlich erwachten Ahnung, groß und erwartend die Augen geöffnet.

„Sie haben mir etwas zu sagen, Mr. Reinert!“ sprach sie, sich fast hörbar zu einem ruhigen Tone zwingend, „bitte, sprechen Sie ohne jeden Umschweif, was ist es? “

„Nun ja, ich muß es auch,“ erwiderte er, Lucy’s Blick von Neuem vermeidend, „ich glaube nicht dran, aber es ist Ihret- und unsertwegen, wir sind doch alle Deutsche, die sich schon straff genug gegen die Amerikaner halten müssen. Also ich war soeben auf der Farm, gerade hier hinüber, um Kraut zu holen, und der Amerikaner, Brown heißt er, hatte, während ich auflud, ein Gespräch mit seiner Frau, in das ich gern selber ein gehöriges Wort gegeben hätte, wenn ich nur gleich gewußt hätte, wie. Es war die Rede von Ihnen, ich konnt’ es mit den Händen greifen. Der Major in dem Hause, wo Sie jetzt sind, habe Sie nur kommen lassen, hieß es, um – nun gerade heraus, um eine neue Liebste zu haben, er wolle durchaus nicht mehr heirathen, und Sie stünden schon so gut mit ihm, daß seine Schwester dort kein Wort mehr im Hause zu sagen habe. – Nun, ich mußte an die sonderbaren Augen der alten Lady denken, als ich Sie vorgestern besuchte,“ fuhr er mit einem halb scheuen Blick in Lucy’s Gesicht fort, „sonst wäre ich doch richtig deutsch losgefahren, und dann sagte auch der Amerikaner noch, der Major wäre wegen dergleichen Geschichten bekannt, und die Frau thue am besten, nicht wieder nach seinem Hause zu gehen –“ er hielt inne, wie erschrocken vor der Todtenbleiche, welche sich über des Mädchens Züge ergossen. „Ich wußte ja wohl, daß so etwas nicht sein könne,“ fuhr er rasch fort, „aber ich konnte doch eben nichts Anderes thun, als es Ihnen sagen, da ich Sie gerade traf –“

„Warten Sie,“ unterbrach ihn Lucy, als ob die innere Aufregung ihre Stimme lähme, und legte mit einem eigenthümlich starren Blick ihre Hand an seinen Arm, „wo ist der Mann, der Worte in dem Sinne, welchen Sie eben angedeutet, ausgesprochen?“

„Ich sage Ihnen ja, gleich hier drüben auf der Farm, nicht eine Viertelmeile weit; aber,“ setzte er eifrig hinzu, „ich glaube kein Wort davon, verlassen Sie sich darauf!“

„Und wollen Sie mit mir gehen,“ fuhr das Mädchen fort, „und vor demselben Manne bezeugen, was Sie gehört?“

Eine gänzliche Veränderung fand plötzlich in Reinert’s Haltung statt. Sein Kopf hob sich, seine Augen blitzten auf und wandten sich fest der vor ihm Stehenden zu, eine Art freudiger Genugthuung schien in seinem Gesichte aufzusteigen. „Sie – Sie wollen ihm selbst auf den Leib rücken? Hier bin ich, Miß!“ rief er, „jedes Wort bis aufs Pünktchen will ich ihm unter die Nase halten; das ist der Weg – ich wußte ja wohl, wie es stand!“

„So kommen Sie!“ entgegnete sie energisch, während ihre bleichen Züge eine Art steinernen Ausdrucks annahmen, und bog rasch in die Straße ein, auf welcher der Gemüsehändler herangekommen.

„Wollen Sie nicht lieber aufsitzen, Miß?“ rief ihr dieser nach, aber nur ein kurzes Kopfschütteln antwortete ihm, und mit einem Nicken voll sichtlicher Befriedigung ließ er das Pferd den Wagen drehen und trieb es an ihre Seite.

Wortlos, starr vor sich in’s Weite blickend, schritt Lucy raschen Schritts dahin, bis nach kurzer Zeit das Wohnhaus der angedeuteten Besitzung vor ihnen auftauchte. Zu ihr war es so klarer, schrecklicher Tag geworden, daß sie vor seiner blendenden Helle nur das nächste Eine erkennen konnte: der volle Ruin ihrer Ehre war es, durch den ihre Gegnerinnen sie hinwegzutreiben gedachten, und die Blicke der Gesellschaft, welche sie sich zwei Tage zuvor nicht hatte erklären können, zeigten sich jetzt in der einfachsten, fürchterlichsten Deutung; in einer Art von Verzweiflung aber strebte sie jetzt nur danach, sich selbst zu überführen, wie weit der Plan ihrer Feinde gelungen. Nicht mit einer der Frauen, welche sie damals gesehen, hätte sie deshalb verkehren mögen – „ich hasse die Frauen!“ tönten ihr des Majors frühere Worte im Ohre, und fast war es ihr, als wäre es nur ein Klang aus ihrer eigenen Seele; aber der Deutsche hatte von einem Manne gesprochen, und dieser war gezwungen, ihr für die gefallenen Worte Rede zu stehen.

„Dort ist der Gentleman!“ hörte sie ihres Begleiters Stimme, als sie kaum die Nähe des Hauses erreicht hatten, und rasch aufsehend erblickte sie den noch jungen Besitzer, welcher einige neu gepflanzte Bäume zu besichtigen schien, bei dem Geräusch des herankommenden Wagens aber den Kopf nach den Ankommenden gehoben hatte.

Lucy ließ einen einzigen forschenden Blick über das Aeußere des Mannes gleiten und schritt dann, während der Gemüsehändler die Zügel kurz an den Wagen schlang und ihr folgte, hochaufgerichtet dem Dastehenden entgegen.

„Ich bin die Erzieherin der Kinder des Major Wood, Sir,“ sagte sie, den Blick fest in das überraschte Auge des Angeredeten heftend, „ein Mädchen, das allein steht, das mit dem, was sie gelernt, bestrebt ist, sich eine ehrenhafte Existenz zu schaffen, das Niemand hat, um für ihren guten Namen einzustehen, als sich selbst – und ich möchte Sie fragen, Sir, was Sie von einem mich entehrenden Gerüchte wissen, das Sie vor Kurzem in einem von Ihnen geführten Gespräche erwähnt, dem es dieser Mann hier entnommen. Ich bitte Sie von Grund meines Herzens, mir nichts vorzuenthalten, Sir, sich in die Seele einer Schwester hineinzudenken, wenn diese das Unglück haben sollte, in meinem Verhältnisse unter Fremden zu stehen –“ sie hielt inne, da sie ihre Stimme brechen fühlte, sie rang gewaltsam nach Fassung, aber sie konnte es nicht hindern, daß zwei große, schwere Thränen aus ihren Augen drangen.

„Ich bitte Sie doch herzlich, Miß – ich weiß kaum, wovon Sie reden!“ erwiderte der Amerikaner, sichtlich mit einer ihn überraschenden Verlegenheit kämpfend und dabei einen unwilligen Blick nach dem herangetretenen Gemüsehändler werfend; dieser aber schien nur hierauf gewartet zu haben.

„Aber ich weiß, wovon gesprochen Worten ist, Sir!“ rief er, den Kopf trotzig hebend, „dies hier ist meine Landsmännin, die ich nicht erst von heute kenne, und eine so achtbare Lady, als es nur eine hier geben mag; wahrscheinlich würden Sie auch nicht geschwiegen haben, wenn von einer Ihrer Bekannten das gesagt worden wäre, was ich vor kaum einer halben Stunde hier anzuhören hatte.“

„Nun wohl, Miß,“ entgegnete der Erstere, wie zu einem Entschlusse kommend, „was ich ausgesprochen, ist weder meine Erfindung, noch etwas Anderes, als was seit kurzer Zeit in der ganzen Nachbarschaft cursirt. Wenn Ihnen Unrecht damit geschieht, was ich nach der Art Ihres Auftretens fast vermuthe, so mögen Sie die Duelle in des Majors Wood eigenem Hause suchen. Aber treten Sie mit in’s Zimmer, damit wir nicht unberufene Zuhörer erhalten!“ schloß er, sich besorgt umblickend.

„Es ist genug, Sir, mehr als genug!“ preßte Lucy hervor und wandte sich ohne Abschiedswort wieder der Straße zu, als könne sie ihre hervorbrechenden Empfindungen nicht mehr verbergen; Reinert aber sah einen Augenblick wie unschlüssig erst finster den Amerikaner an, dann dem davongehenden Mädchen nach, ergriff endlich mit einem unverständlichen Kraftworte die Zügel und wandte hastig den Wagen, um das Pferd der Voraneilenden nachzutreiben.

„Ich habe mir doch fast etwas gedacht, als ich hörte, daß Sie unter die Amerikaner gingen!“ sagte er, als er die Letztere eingeholt, augenscheinlich aber nur um etwas zu sprechen; Lucy indessen hörte nicht einmal die Worte; in ihr klang es: „was in der ganzen Nachbarschaft cursirt – seine Liebste!“ daß es ihr wurde, als müsse sie wahnsinnig davon werden. War es nicht die Wiederholung derselben Geschichte, die Mary zu Grunde gerichtet? Und dahin also deuteten die Worte der Wirthschafterin! Die Bilder ihres letzten Traumes tauchten vor ihr auf – daß Gartenhaus stand leer, und ihr fehlte nach ihrer jetzigen Stimmung kaum mehr viel, um davon Besitz nehmen zu können. Eine peinliche,

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verschiedene: Die Gartenlaube (1861). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1861, Seite 749. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1861)_749.jpg&oldid=- (Version vom 29.12.2019)