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verschiedene: Die Gartenlaube (1861)

zur unerträglichen Pein. Sich selbst hat sie das niemals klar gemacht und hat immer nur in äußern Zufälligkeiten die Ursache des Leidens gesucht, das tief in ihrer Natur begründet war.

Es fehlte freilich auch nicht an äußerer Veranlassung zum Unbehagen. Klima, Lebensweise, häusliche Einrichtungen, Alles war anders als in Deutschland, und Wilhelmine war nicht mehr jung genug, um sich in das fremde Wesen einzuleben.

Sie suchte ihre Umgebung den eignen Wünschen und Gewohnheiten nachzuformen, aber der Versuch mißlang, mußte mißlingen, da die Menschen, auf die sie wirken wollte, nicht einmal ihre Sprache verstanden. „Mit der ganzen Energie meiner Seele warf ich mich auf die Thätigkeit in meinem Hausstande,“ schreibt sie; „ich hoffte dadurch die Lücke auszufüllen, die durch das Aufgeben meines künstlerischen Berufes in mein Leben gekommen war. Ich wollte reformiren, wollte die Menschen aus ihrer Verthierung herausziehen, wollte sie lehren und unterweisen – aber alle Mühe war vergebens! Umsonst habe ich ein volles Jahr mit Trägheit, Rohheit, Sclavensinn, mit Dummheit, Böswilligkeit und Unsauberkeit gekämpft, bis meine Kraft zusammenbrach und meine ganz zerrüttete Gesundheit die Rückkehr nach Deutschland nothwendig machte.“

Ein Brief Wilhelminens an ihren langjährigen Freund, den Geheimrath C. G. Carus in Dresden, giebt ein treues Bild ihrer Stimmung und Lebensweise. Sie schreibt:

„Mein hochverehrter Freund! Sie hätten längst meinen Dank für Ihr liebes, liebes Schreiben empfangen, wäre ich nicht zum größten Theil durch Krankheit und dann durch Besuche abgehalten worden, die man hier zu Lande gleich auf mehrere Tage im Hause hat. Vor allen Dingen möchte ich Ihnen noch danken, daß Sie das Zeichen meiner Anhänglichkeit und Verehrung so freundlich aufgenommen und im Herzen gefühlt haben, daß ich Sie nie und nimmermehr vergessen kann. Es ist mir immer schwer geworden, für Gefühle, in welche meine ganze Seele getaucht war, Worte zu finden, und so können Sie es eigentlich bis zu dieser Stunde noch nicht wissen, was ich Ihnen in meinem Herzen eingeräumt habe. Nur so viel weiß ich, daß ich die Tage, an denen Sie zu mir gesprochen, in einer erhöhten Stimmung zubrachte, welche ich nicht selten in meine Darstellungen, meine Lieder übertrug. Sah ich Sie in der Loge, im Saale sitzen, mir aufmerksam zuschauend und horchend, da habe ich oft ganz allein nur für Sie gesungen und hätte es Ihnen gerne so recht zu Danke gemacht. Ihre freundlichen Worte haben mich dann über manches Mißlungene getröstet und beruhigt und mich angefeuert, es das nächste Mal besser zu machen. Wußt’ ich doch, daß Sie unter so viel Larven nicht allein die einzige fühlende Brust, sondern auch die ruhige Klarheit des besonnenen Urtheils mitbrachten. Lob und Tadel war mir aus Ihrem Munde gleich erfreulich. Habe ich nun zwar lange nicht erreicht, was ich gewollt, bin ich auch weit hinter dem zurückgeblieben, was ich eigentlich empfunden, so muß ich mich, muß ich Euch, die Ihr wohl manchmal mit Recht mehr von mir fordern konntet, mit dem alten Sprüchwort trösten: ein Schelm’ macht’s besser als er kann – ich habe gethan, was ich konnte. Jetzt blicke ich manchmal nicht ohne Wehmuth auf mein künstlerisches Wirken zurück, denn war ich auch noch weit vom Ziel entfernt, so war ich doch immer den Andern ein großes Stück voraus. Doch das ist von der Mehrzahl längst vergessen, und das Mittelmäßige, was jetzt in meiner Kunst geleistet wird, genügt vollkommen. Ich spreche das eben Gesagte nicht ohne Schmerz aus, denn ich hatte gehofft, für länger als einen flüchtigen Augenblick gestrebt zu haben. Doch das ist das traurige Loos des Mimen, daß, einmal aus dem Kreis des Wirkens herausgetreten, seine Spur nur allzuschnell verweht wird! und doch weiß ich, daß ich in manchen Herzen fortlebe, die mir tausend andere aufwiegen, und in dieser Gewißheit liegt für mich ein großer Trost, eine freundliche Genugthuung.

Sie wollen von meinem Leben wissen, theurer Freund! Es ist still und einfach und mitunter wohl etwas zu monoton, was hauptsächlich in den hiesigen Ortsverhältnissen liegt; man lebt einsam auf seinem Gute, kommt mit den nächstwohnenden Nachbarn höchst selten zusammen und muß seine Zeit, so gut es bei dem gänzlichen Mangel an äußerer Anregung gehen will, aus sich selbst heraus auszufüllen suchen. Ich habe viel gelesen und mich an ältern Sachen erhoben und erbaut, zumal an Goethe, der uns überall mit so viel Würde, Klarheit und antiker Ruhe entgegen tritt, daß seine Nähe uns immer in eine „behagliche“ Stimmung versetzt. „Wahrheit und Dichtung“ habe ich wieder mit unendlicher Befriedigung gelesen, nur ist dadurch meine Sehnsucht nach Italien wieder hoch in mir aufgeflammt! Nun, wer weiß, vielleicht sehe ich das Wunderland früher als ich denke. Ihnen, mein theurer Freund, haben wir auch schöne und feierliche Stunden zu danken.

Mein Mann hat mir Ihre „Psyche“ vorgelesen und was mir in diesem hohen und edlen Werke unzugänglich war, wußte er mir mit Verstand und Klarheit näher zu bringen. Die würdige Richtung, die mein Mann auch in der Musik hat, läßt auch in diesem Fache nichts von der neuen Seichtheit zu, und so sind Beethoven, Mozart, Schumann und Schubert immer unsere Auserwählten. Ich habe für Sie manches Lied aus dem reichen Schatze, den uns Schubert hinterlassen, hervorgesucht, die will ich Ihnen vorsingen und das vielleicht bald. Was mich sonst in meiner nächsten Nähe umgiebt, ist häßlich und grauenhaft; die Menschen sind kaum Menschen zu nennen, und was sie thun, treiben und hervorbringen, zeugt von der niedern Culturstufe, auf welcher diese Unglücklichen noch stehen. Was ließe sich über hiesige Zustände nicht Alles sagen – sie sind entsetzlich. – Mein Mann ist ein edler, begabter Mensch, voll zarter Liebe und Sorgfalt für mich, ach! und darum kein „Scheinbild“! Sie werden ihn hoffentlich bald kennen lernen, denn wir wollen einmal wieder freiere Luft athmen und uns Gesundheit holen, die uns leider Beiden fehlt. Ich bin sehr elend; zu meinen alten Leiden haben sich, durch Klima und eine meiner ganzen Natur heterogene Lebensweise hervorgerufen, neue gesellt, und besonders ist es die Leber, die mir viel zu schaffen macht. Da muß Carus helfen! und da der Haß in der Leber sitzt, müssen wir die vor allen Dingen vornehmen, denn weil so viel Liebe in meinem Herzen lebt, will ich nun auch den Haß vollends abschütteln, den ich doch noch gegen manches Menschenkind im Busen trage.

Sie erinnern mich an meine Memoiren – noch habe ich mich nicht entschließen können ans Werk zu gehen; ich muß da so manche Wunde aufreißen, die kaum geheilt, manch strenges, unerbitlliches Urtheil fällen über Solche, die noch leben und die ich gerne schonen möchte. Einen Schritt habe ich für diese Arbeit gethan, ich habe meine Papier geordnet, und kommt einmal die gehörige Stimmung über mich, so liegt Manches schon bereit.“

Wilhelmine ging nach Ems (1851); im Herbst traf sie mit ihrem Gatten, der das Seebad von Ostende gebraucht hatte, wieder zusammen und machte mit ihm eine Reise nach Dresden. Kaum waren sie hier angelangt, als Wilhelmine wegen ihrer angeblichen Betheiligung am Maiaufstande zur Untersuchung gezogen wurde. Herr von Bock stellte Caution, und Wilhelmine, die Zeit ihres Lebens nichts so sehr gescheut hatte, als Conflicte mit den Behörden, ging sofort nach Berlin, um von dort aus die nöthigen Schritte zu thun. Hier traf sie ein neuer Schlag – auf Grund der Dresdner Anklage wurde sie aus Rußland ausgewiesen.

Ihre Verzweiflung kannte keine Grenzen, besonders als Herr von Bock im Frühjahr nach Livland zurückkehren mußte. Alles, was ihr peinlich, beinah unerträglich gewesen war, trat zurück vor dem Verlangen mit ihrem Manne vereinigt zu sein, aber während schon zu Ende 1851 die Untersuchung in Dresden niedergeschlagen wurde, mußte Wilhelmine bis zum Winter 1853 warten, ehe die ersehnte Erlaubniß zur Rückkehr nach Rußland erfolgte. Welchen verdüsternden Einfluß diese Verwicklungen auf sie ausübten, geht am deutlichsten aus einem Briefe an Carus hervor, dem sie am 2. Januar 1852 von Berlin aus schreibt:

„Hochverehrter Freund! Sie haben mir so manches Jahr gestattet, mich an dem Tage Ihres Wiegenfestes in den Kreis derer mischen zu dürfen, die sich um Sie drängen, um ihre Glückwünsche zu bringen – sei es mir, der Ausgestoßenen, auch dies Jahr vergönnt, die Wünsche wiederholen zu dürfen, die ich Ihnen in den vergangenen Jahren aus vollem, treuem, wahrhaftem Herzen gebracht hatte. Mögen Sie denn ihnen Allen, denen Sie Freund, Rather und Tröster sein können, noch lange, recht lange erhalten bleiben! Gern hätte ich Ihnen diesmal, da mich der Zufall so in Ihrer Nähe hält, diese Wünsche selbst überbracht, aber mein Fuß wird jene Stadt, die mich mit dankbarem Jubel, statt mit polizeilichen Maßregeln hätte empfangen sollen, in diesem Leben nicht mehr betreten. Es beschleicht mich überhaupt bei dem Schreiben dieser Zeilen ein Gefühl der Wehmuth, denn mir ist, als müsse ich Ihnen ein ewiges Lebewohl sagen. Durch das ruchlose Verfahren gegen mich in Dresden bin ich – Dank sei es den Machinationen meiner dortigen Freunde – heimathlos geworden, und

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verschiedene: Die Gartenlaube (1861). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1861, Seite 718. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1861)_718.jpg&oldid=- (Version vom 10.11.2022)